Boston und der Bosstown Sound
Der erste Versuch, die Stadt in der Mitte des Musik-Weltatlas zu positionieren erfolgte 1965,
als 'Die Überreste'; also 'The Remains' (aka Barry & The Remains) Support für die Beatles
spielen durften und anschließend eine Vermarktungskampagne als die 'Amerikanischen Beatles'
durchlaufen mußten.
Nun, die Band war allererste Sahne und legte eine LP vor, die unbedingt zu den Klassikern
jener Jahre gezählt wird. Leider war kein einziger Hitparaden-Hit darauf (damals unumgänglich,
um Erfolg zu haben) und noch bevor eine zweite LP eingespielt wurde, war dieses erste Boston
Wunder schon wieder Geschichte (Ob John, Paul, George & Ringo das überhaupt zur Kenntnis
nahmen...?).
1967 erreichten Rising Storm noch weniger (hatten allerdings auch keine irgendwie gearteten
Ambitionen), als sie mitten im Kernjahr der Psychedelia mit 'Calm Before ....' eine LP mit
feinster Garagen-Psychedelia veröffentlichten. Nicht ganz mit dem harten Sound der Urmütter,
13th Floor Elevators, aber dennoch ein zukünftiger Meilenstein.
Aber die Band bestand aus Studenten, denen der akademische Abschluß wichtiger war als die
Rock'n'Roll-Karriere. Als sie 15 Jahre später ein Re-Union-Konzert spielten und als LP heraus
brachten ('Alive Again'; ausschließlich Coverversionen und völlig uninteressant), lag der Preis
des Debuts schon bei über 1,000 DM (!)
'Frozen Laughter'
https://www.youtube.com/watch?v=IZxRzykWPZ0
Als aber Rising Storm die Unitüren hinter sich schlossen, gab es schon eine Menge anderer
vielversprechender Bands die nachdrängten. Sie hatten alle von San Francisco gehört und sich
von neuen Ideen beeinflussen lassen und natürlich spielten sie auch alle reihum in den angesagten
Clubs. Aber eine der West Coast vergleichbare Szene war das nicht; es gab keinen gemeinsamen Sound
und all die Mechanismen San Franciscos (von den Diggers bis zu den Be-Ins, etc.) gab es nicht oder
sie wurden nur schwach imitiert.
Alan Lorber, verantwortlich für MGM-Records wollte das ändern und da er ein rechter Svengali,
Manipulator und Vermarkter vor dem Herrn war, geschah dies mit Getöse; mit einer großen
Werbekampagne und allerlautesten Tönen (vor allem von Alan himself):
'Der Boston Sound ist viel größer und wichtiger als der San Francisco Sound!'
Aus irgend einem Grund spielte die (Musik-)Presse, die ja immer bereit ist, sich manipulieren und
bestechen zu lassen, diesmal nicht mit und auch die Fans auf den Straßen strömten nicht in Scharen
nach Boston oder zumindest in die Plattenläden.
Auch europäischen Rock-Enthusiasten blieben außen vor; die meisten hatten nie vom Bosstown
Sound gehört und nur einige Platten schafften den Sprung über den Teich, wo sie in den wenigen
Plattenläden von vielleicht London, Amsterdam, Berlin, Hamburg zu finden waren, aber sonst
nirgends.
Die finanzielle Bauchlandung Lorbers und von MGM Records ließ nicht auf sich warten und damit
war das Thema bis zum Aufkommen des 60s-Sammlerbooms Anfang der 80er vom Tisch.
Nun kauften sich die Sammler ein; oftmals zu günstigen Preisen, denn Lorber hatte in seinem
Größenwahn große Stückzahlen von Ultimate Spinach oder Beacon St. Union pressen lassen.
Bald fand man heraus, daß es noch weitere 2-3 Dutzend interessante Namen gab, deren Lps
immer noch relativ preisgünstig zu kaufen waren.
Dieses neu entflammte Interesse brachte Lorber dazu, im aufkommenden CD-Zeitalter noch einmal
Material auf den Markt zu werfen; immer unterstrichen durch seine 'Ich-Ich-Und-Ich-Bin-Der-Größte'-
Rhetorik.
Aber zum Glück wußten die hardnasigen Sammler schon längst Bescheid; sie vervollständigten ihre
Sammlung und ignorierten das Großmaul Alan.
Schade nur, daß zufällige Sammler vielleicht abgeschreckt werden.
Nun das müssen sie nicht! Denn nochmal zur Wiederholung: es gab eine Menge wirklich toller
Bands und LPs in Boston.
Zunächst mal stellen wir fest, daß viele Gruppen teils oder ganz aus Studenten bestanden, die
das Muckemachen als Hobby und Zusatzeinkommen betrachteten und die, wie Rising Storm,
kaum eine Musikkarriere planten. Eine LP, selten auch zwei; und dann waren sie schon wieder
aus dieser Welt verschwunden. Nur zur Erinnerung, Boston ist Harvard.
Außerdem gab es zwar verschiedene Einflüsse; speziell Jazz und Folk, aber Blues und Soul oder
Latinoklänge, die man an der West Coast fand, hörte man seltener.
Es gab kaum zwei bands, die man in die gleiche Schublade stecken konnte; ein gemeinsamer
Sound...?... wer hätte den ausgemacht:
Längst nicht alle Bands waren bei Lorber unter Vertrag und viele, die sich damals nicht unter
diesem 'Boston-Sound-Schirm' wähnten, werden heute dazugezählt; einfach weil sie ungefähr
in den Jahren '67 - '70 am selben Ort waren.
Am bekanntesten wurden wohl Ultimate Spinach mit ihrer schon fast gotischen und düsteren
Folk-Psychedelia; getragen durch Orgel und ätherische Frauenstimme
Zwei hervorragende LPs und eine mäßige... und damit waren sie schon die
Größten. Tip: 'Same' + 'Behold & See'.
Beacon St. Union hinterließen zwei superbe Garagen-Psych-Werke ('The Eyes Of' und 'Clown Died
In Marvin Gardens') bevor sie sich zu Eagle umformierten und mit 'Come Under Naney's Tent'
einfacheren Rock machten.
'May I Light Your Cigarette'
https://www.youtube.com/watch?v=dG-ZWEmPxEo
Eden's Children wurden als Ersatz-Cream hochgejubelt, nur weil sie ein Trio waren.
Aber dieser jazz-beeinflußte hard rock hat mit Cream wirklich wenig zu tun. Trotzdem zwei
sehr gelungene LPs: 'Same' + 'Sure Looks Real'
Ill Wind - Flashes: 4 Typen mit Sängerin...aha, muß also ein bißchen Richtung Jefferson Airplane
gehen. Allerdings ohne einen Jorma Kaukonen an der Gitarre. Nur eine LP...dicker Tip.
Earth Opera - 'Same' + 'Great American Eagle Tragedy': ein bißchen Jazz, Country, Folk... mir
rockt das viel zuwenig, aber andere Fans sind begeistert.
Ford Mudge Memorial Dump - 'Same' ziemlich nahe an West Coast-Klängen und mit prima
Gitarre.
Chameleon Church - 'Same'. Soft Psych um den später sehr bekannten Komiker Chevy Chase.
Tolles Werk!
Listening - 'Same' wird gerne als 'Vanilla-Fudge-beeinflußt' bezeichnet; wir hören 'heavy soul'.
Pluph - 'Same'. Auch hier Psychedelia der etwas lebendigeren Art mit Orgel- und Gitarrendominanz.
Quill - 'Same'. Haben (m.W.) das Woodstock-Festival eröffnet; zu sehen auf dem Director's Cut.
Die LP bietet prima psych/prog mit etwas Hippie-Geschmack.
Freeborne - 'Peak Impressions'. Acid Psych-Klassiker, natürlich mit Genretypischer Gitarre.
Applepie Motherhood Band - 'Same' + 'Apple Pie' Hippierock mit Garagenwurzeln; ein bißchen
Blues ging auch. Zwei LP-Treffer.
Front Page News - 'Mystic Soldiers'. Fast schon ein bißchen progressive mit viel Orgel und elegischem
Gesang; mal ein bißchen folkig, dann wieder mit Fuzz und gutem Rhythmus.
Tea Company - 'Same'. Im Zeitlupentempo, eine der psychedelichsten Scheiben überhaupt. Ein Muß!
Das sind längst nicht alle wichtigen Gruppen (ein paar schlechte wie Bagatelle oder Orpheus hab ich
weggelassen) und sie bestanden auch keineswegs alle aus Studenten oder Ortsansässigen (in den
USA gibts ja eh kaum jemand mit echten Wurzeln-am-Ort).
Die Rock-Welt haben sie alle nicht verändert, aber etwas Eigenes und Wichtiges hinzugefügt, nun,
das haben sie schon. Und ihre musikalische Hinterlassenschaft läßt sich heute noch mit Begeisterung
hören.
Bis auf zwei Ausnahmen: Soundbeispiele erspare ich mir wegen der vielen Tips, die man machen müßte;
aber man findet sie bei Youtube oder direkt in meinen Regalen....
Der erste Versuch, die Stadt in der Mitte des Musik-Weltatlas zu positionieren erfolgte 1965,
als 'Die Überreste'; also 'The Remains' (aka Barry & The Remains) Support für die Beatles
spielen durften und anschließend eine Vermarktungskampagne als die 'Amerikanischen Beatles'
durchlaufen mußten.
Nun, die Band war allererste Sahne und legte eine LP vor, die unbedingt zu den Klassikern
jener Jahre gezählt wird. Leider war kein einziger Hitparaden-Hit darauf (damals unumgänglich,
um Erfolg zu haben) und noch bevor eine zweite LP eingespielt wurde, war dieses erste Boston
Wunder schon wieder Geschichte (Ob John, Paul, George & Ringo das überhaupt zur Kenntnis
nahmen...?).
1967 erreichten Rising Storm noch weniger (hatten allerdings auch keine irgendwie gearteten
Ambitionen), als sie mitten im Kernjahr der Psychedelia mit 'Calm Before ....' eine LP mit
feinster Garagen-Psychedelia veröffentlichten. Nicht ganz mit dem harten Sound der Urmütter,
13th Floor Elevators, aber dennoch ein zukünftiger Meilenstein.
Aber die Band bestand aus Studenten, denen der akademische Abschluß wichtiger war als die
Rock'n'Roll-Karriere. Als sie 15 Jahre später ein Re-Union-Konzert spielten und als LP heraus
brachten ('Alive Again'; ausschließlich Coverversionen und völlig uninteressant), lag der Preis
des Debuts schon bei über 1,000 DM (!)
'Frozen Laughter'
https://www.youtube.com/watch?v=IZxRzykWPZ0
Als aber Rising Storm die Unitüren hinter sich schlossen, gab es schon eine Menge anderer
vielversprechender Bands die nachdrängten. Sie hatten alle von San Francisco gehört und sich
von neuen Ideen beeinflussen lassen und natürlich spielten sie auch alle reihum in den angesagten
Clubs. Aber eine der West Coast vergleichbare Szene war das nicht; es gab keinen gemeinsamen Sound
und all die Mechanismen San Franciscos (von den Diggers bis zu den Be-Ins, etc.) gab es nicht oder
sie wurden nur schwach imitiert.
Alan Lorber, verantwortlich für MGM-Records wollte das ändern und da er ein rechter Svengali,
Manipulator und Vermarkter vor dem Herrn war, geschah dies mit Getöse; mit einer großen
Werbekampagne und allerlautesten Tönen (vor allem von Alan himself):
'Der Boston Sound ist viel größer und wichtiger als der San Francisco Sound!'
Aus irgend einem Grund spielte die (Musik-)Presse, die ja immer bereit ist, sich manipulieren und
bestechen zu lassen, diesmal nicht mit und auch die Fans auf den Straßen strömten nicht in Scharen
nach Boston oder zumindest in die Plattenläden.
Auch europäischen Rock-Enthusiasten blieben außen vor; die meisten hatten nie vom Bosstown
Sound gehört und nur einige Platten schafften den Sprung über den Teich, wo sie in den wenigen
Plattenläden von vielleicht London, Amsterdam, Berlin, Hamburg zu finden waren, aber sonst
nirgends.
Die finanzielle Bauchlandung Lorbers und von MGM Records ließ nicht auf sich warten und damit
war das Thema bis zum Aufkommen des 60s-Sammlerbooms Anfang der 80er vom Tisch.
Nun kauften sich die Sammler ein; oftmals zu günstigen Preisen, denn Lorber hatte in seinem
Größenwahn große Stückzahlen von Ultimate Spinach oder Beacon St. Union pressen lassen.
Bald fand man heraus, daß es noch weitere 2-3 Dutzend interessante Namen gab, deren Lps
immer noch relativ preisgünstig zu kaufen waren.
Dieses neu entflammte Interesse brachte Lorber dazu, im aufkommenden CD-Zeitalter noch einmal
Material auf den Markt zu werfen; immer unterstrichen durch seine 'Ich-Ich-Und-Ich-Bin-Der-Größte'-
Rhetorik.
Aber zum Glück wußten die hardnasigen Sammler schon längst Bescheid; sie vervollständigten ihre
Sammlung und ignorierten das Großmaul Alan.
Schade nur, daß zufällige Sammler vielleicht abgeschreckt werden.
Nun das müssen sie nicht! Denn nochmal zur Wiederholung: es gab eine Menge wirklich toller
Bands und LPs in Boston.
Zunächst mal stellen wir fest, daß viele Gruppen teils oder ganz aus Studenten bestanden, die
das Muckemachen als Hobby und Zusatzeinkommen betrachteten und die, wie Rising Storm,
kaum eine Musikkarriere planten. Eine LP, selten auch zwei; und dann waren sie schon wieder
aus dieser Welt verschwunden. Nur zur Erinnerung, Boston ist Harvard.
Außerdem gab es zwar verschiedene Einflüsse; speziell Jazz und Folk, aber Blues und Soul oder
Latinoklänge, die man an der West Coast fand, hörte man seltener.
Es gab kaum zwei bands, die man in die gleiche Schublade stecken konnte; ein gemeinsamer
Sound...?... wer hätte den ausgemacht:
Längst nicht alle Bands waren bei Lorber unter Vertrag und viele, die sich damals nicht unter
diesem 'Boston-Sound-Schirm' wähnten, werden heute dazugezählt; einfach weil sie ungefähr
in den Jahren '67 - '70 am selben Ort waren.
Am bekanntesten wurden wohl Ultimate Spinach mit ihrer schon fast gotischen und düsteren
Folk-Psychedelia; getragen durch Orgel und ätherische Frauenstimme
Zwei hervorragende LPs und eine mäßige... und damit waren sie schon die
Größten. Tip: 'Same' + 'Behold & See'.
Beacon St. Union hinterließen zwei superbe Garagen-Psych-Werke ('The Eyes Of' und 'Clown Died
In Marvin Gardens') bevor sie sich zu Eagle umformierten und mit 'Come Under Naney's Tent'
einfacheren Rock machten.
'May I Light Your Cigarette'
https://www.youtube.com/watch?v=dG-ZWEmPxEo
Eden's Children wurden als Ersatz-Cream hochgejubelt, nur weil sie ein Trio waren.
Aber dieser jazz-beeinflußte hard rock hat mit Cream wirklich wenig zu tun. Trotzdem zwei
sehr gelungene LPs: 'Same' + 'Sure Looks Real'
Ill Wind - Flashes: 4 Typen mit Sängerin...aha, muß also ein bißchen Richtung Jefferson Airplane
gehen. Allerdings ohne einen Jorma Kaukonen an der Gitarre. Nur eine LP...dicker Tip.
Earth Opera - 'Same' + 'Great American Eagle Tragedy': ein bißchen Jazz, Country, Folk... mir
rockt das viel zuwenig, aber andere Fans sind begeistert.
Ford Mudge Memorial Dump - 'Same' ziemlich nahe an West Coast-Klängen und mit prima
Gitarre.
Chameleon Church - 'Same'. Soft Psych um den später sehr bekannten Komiker Chevy Chase.
Tolles Werk!
Listening - 'Same' wird gerne als 'Vanilla-Fudge-beeinflußt' bezeichnet; wir hören 'heavy soul'.
Pluph - 'Same'. Auch hier Psychedelia der etwas lebendigeren Art mit Orgel- und Gitarrendominanz.
Quill - 'Same'. Haben (m.W.) das Woodstock-Festival eröffnet; zu sehen auf dem Director's Cut.
Die LP bietet prima psych/prog mit etwas Hippie-Geschmack.
Freeborne - 'Peak Impressions'. Acid Psych-Klassiker, natürlich mit Genretypischer Gitarre.
Applepie Motherhood Band - 'Same' + 'Apple Pie' Hippierock mit Garagenwurzeln; ein bißchen
Blues ging auch. Zwei LP-Treffer.
Front Page News - 'Mystic Soldiers'. Fast schon ein bißchen progressive mit viel Orgel und elegischem
Gesang; mal ein bißchen folkig, dann wieder mit Fuzz und gutem Rhythmus.
Tea Company - 'Same'. Im Zeitlupentempo, eine der psychedelichsten Scheiben überhaupt. Ein Muß!
Das sind längst nicht alle wichtigen Gruppen (ein paar schlechte wie Bagatelle oder Orpheus hab ich
weggelassen) und sie bestanden auch keineswegs alle aus Studenten oder Ortsansässigen (in den
USA gibts ja eh kaum jemand mit echten Wurzeln-am-Ort).
Die Rock-Welt haben sie alle nicht verändert, aber etwas Eigenes und Wichtiges hinzugefügt, nun,
das haben sie schon. Und ihre musikalische Hinterlassenschaft läßt sich heute noch mit Begeisterung
hören.
Bis auf zwei Ausnahmen: Soundbeispiele erspare ich mir wegen der vielen Tips, die man machen müßte;
aber man findet sie bei Youtube oder direkt in meinen Regalen....