Ein volles Plattenregal - LP oder CD - macht schon was her. Ständig ist die Lieblingsmusik parat, lange Musikabende sind kein Problem, und vor seinem Freundes- und Bekanntenkreis lässt sich auch prima damit strunzen. Was aber hilft die überfüllte Auswahl, wenn wegen der immensen Vielfalt mancher Leckerbissen in Vergessenheit geraten ist? So geschehen auch hier, obwohl doch "Nur" - der eine staunt, der Musiknarr lächelt milde - ca. 2.100 Tonträger vorhanden sind.
Vergessen war gestern - heute führte ein Zufall zu einem Prachtexemplar, welches in der nächsten Zeit garantiert manche Runde drehen wird - nebst den anderen Werken dieses grandiosen Künstlers. Also, los geht's:
Jackie Leven - Shining Brother Shining Sister | Folk, Folkrock | GB 2003
Wer DOLL BY DOLL kennt und schätzt, den wird die Spurensuche unweigerlich zu deren Gründer Jackie Leven geführt haben. Mit seiner einzigartigen Stimme hat er der Musikwelt unzählige, meist sehr einfühlsame Songs geschenkt. Seine Texte behandeln meist komplexe Themen, und oft hat er für seine Veröffentlichungen mit den verschiedensten Künstlern zusammengearbeitet.
Was also schert mich die fast miserable Kritik des Magazins "Uncut"? Für mich gehört dieses Album mit zu den besten der Leven-Veröffentlichungen. Wunderschöne Melodien, toll eingestreute Klangeffekte und - natürlich wieder ausgefeilte Texte. Mit seinem gefühlvollen Gesang und seinen musikalischen Mitstreitern hat Leven hier einen Anwärter für sein Top-Album geschaffen.
Im achtminütigen Eröffnungsstück "---> Classic Northern Diversions" lauten die ersten Textzeilen:
I took a train out of Leeds in the smear and stain / I saw the city pass by in the shuffling rain,
und so verwundert es bei Leven nicht, dass zu Beginn des Songs erst einmal die metallenen Räder einer heranrauschenden Eisenbahn auf den Schienen zu hören sind, bis nach langsamen, etwas bedrohlichem Bassground, Levens Stimme zu hören ist. Schön schmissig, die Drums im Takt der fahrenden Train, fein eingestreute E-Gitarre, rollt das Stück seinem Ende entgegen. Jackie Leven ist zum Schluss noch verzerrt mit einer Textzeile aus „Baby Please Don't Go“ von Big Joe Williams zu hören, bevor der amerikanische Dichter Robert Bly einen Teil eines mittelalterlichen französischen Gebets rezitiert. Einer meiner Favoriten...
Ob "My Philosophy" mein Lieblingssong auf diesem Album ist? - an manchen Tagen ist er das. Trompete und Orgel tragen diesen Song, ruhig und träumerisch fließt er dahin. Im Hintergrund ist ab und an die britische Sängerin Deborah Greenwood zu hören, wunderschöner Chorgesang trägt zu der verträumten Stimmung bei. Auch dieses Stück endet - wie manch anderes auch auf diesem Longplayer - mit einem Zitat. " "You turned into a photograph of somebody who's trying not to laugh at somebody who's trying not to cry"". Dies trägt hier niemand anders als der kanadische Singer-Songwriter ---> Ron Sexsmith vor. Das Zitat stammt aus einem Gedicht des amerikanischen Dichters und Schriftstellers ---> E.E. Cummings.
Eingebettetes Medium: https://www.youtube.com/watch?v=UtBKyAoU0LM
"A Little Voice In Space" dauert ca. 10 Minuten. Wie auch "My Philosophy" ist dies ein langsames, getragenes Stück. Wieder schwebt der Synthie über dem Song, wird er begleitet von bezauberndem Hintergrundchor. Keine einzige der zehn Minuten kommt Langeweile auf, habe ich das Verlangen, endlich zum nächsten Stück zu kommen. Erwähnte ich, dass auf diesem Album des Öfteren Zitate einfließen? So auch hier. Nach fast neun Minuten endet der Titel damit, dass Leven ein Gedicht von ---> Osip Mandelstam rezitiert. Ein starkes Lied, welches diese zehn Minuten braucht, sich zu entfalten. Zweifelsfrei eines meiner weiteren Highlights dieses Albums
Eingebettetes Medium: https://www.youtube.com/watch?v=URyjizaVWlQ
War David Thomas (PERE UBU) bereits auf vorigen Leven-Veröffentlichungen zu hören, übernimmt er hier ein "Spoken Word". Vorgetragen wird ein Text von Rainer Maria Rilke, "Gesichter", ---> hier kann dieser gelesen werden. Dem Text angemessen, wird dieser in einer schönen Melodie eingebettet und unter dem Titel ---> Faces sehr bedächtig und stimmungsvoll vorgetragen.
Mit "Heroin Dealer Blues" folgt ein weiterer meiner Favoriten. Somit schwanke ich, je nach Stimmungslage, zwischen diesem Stück und den bereits erwähnten "My Philosophy", "Classic Northern Diversions" sowie "A Little Voice In Space".
Bedrohlich ist die Atmosphäre, in der der Dealer Blues daherkommt. Düsteres Bassgewaber, traurige Trompetenklänge, der schleppende Gesang - das passt zum Text. Levin in einem Interview zu dem Song:
" Ich mag die Leute auf der Scheibe, weil sie - auch wenn sie eine unangenehme Persönlichkeit haben - doch ein gutes Herz haben." Etwa wie Dusty, der Heroin-Dealer? Es ist ja schon ziemlich ungewöhnlich einen Song über einen Dealer zu machen. "Weißt du, ich suche mir die Leute nicht aus, über die ich schreibe", erklärt Jackie, "es ist eher so, dass sie mich finden. Ich setze mich nicht hin und überlege mir einen Song über einen schottischen Dealer zu schreiben, der eine blöde Vorstellung davon hat, wie sein Leben weiter geht obwohl ich genau weiß, dass dem nicht so sein wird. Es ist ähnlich wie bei den Traum-Sachen, über die wir gerade gesprochen haben: Irgendwie wird mir gesagt, dass ich diesen Song schreiben solle. Es ist wohl auch immer über einen bestimmten, verarmten Teil meiner selbst. Ich hoffe, dass das auch anderen Leuten hilft. Denn es ist ja wohl so, dass je mehr Geld die Leute haben, andere Teile von ihnen eher verarmen. Die Gesellschaft reicht die Verantwortung nach unten durch - das ist der Grund, warum der arme Heroin Dealer den Blues bekommt."
Eingebettetes Medium: https://www.youtube.com/watch?v=MR6JlG_kVC8
Ein wunderbares, entspanntes und entspannendes Album. Mit seiner unverkennbaren Stimme, der perfekten Auswahl der Gaststars - auch ehemaliger Mitglieder der DOLL BY DOLL sind vertreten - und der perfekten Vertonung seiner Texte hat Levin für mich einen Meilenstein veröffentlicht. Nicht umsonst hat er in unserem MUSIKZIRKUS im Genre Folk vor bspw. Tracy Chapman oder THE PENTANGLE den ersten Platz erzielt. Zwar nicht mit dem hier rezensierten Album, aber "The Mystery of Love Is Greater Than the Mystery of Death" ist ja nun auch nicht zu verachten.
Ob mit Gastmusikern oder nicht, allein mit seiner Persönlichkeit vermochte er live, nur mit einer Gitarre auf einem Stuhl sitzend, Raum und Publikum einzunehmen.
Jackie Leven verstarb im Alter von 61 Jahren nach schwerer Krankheit. In meiner Livebiographie reiht er sich leider in die Liste der Künstler ein, die ich versäumt habe zu erleben.
Welch ein Glück, dass der altehrwürdige Rockpalast seine Talente zu schätzen wusste.
Eingebettetes Medium: https://www.youtube.com/watch?v=3pcJw_Zjf94
[Die Songs]
01 Classic Northern Diversions
02 Irresistible Romance
03 Dust Elegy
04 Savannah Waltz
05 My Philosophy
06 Another Man in the Old Arcade
07 A Little Voice in Space
08 Heroin Dealer Blues
09 Faces
10 Tied-Up House
11 Bells of Grey Crystal
12 1798
[Mitwirkende] (dem Internet entnommen)
* Acoustic Guitar, Electric Guitar – Jackie Leven
* Bagpipes [Scottish Short Pipes] – Dougie Bampot
* Bass – Kevin Foster
* Drums, Percussion – Steve Killer Jackson
* Electric Guitar [Low Telecaster Guitar] – Joe Shaw*
* Engineer – David Wrench
* French Horn – Michael Cosgrave
* Keyboards [Moog] – David Wrench (Titel: 1)
* Keyboards, Guitar Synthesizer [Casio Synth Guitar] – Michael Cosgrave
* Mandolin – Graham Preskett
* Melodica – Michael Cosgrave
* Piano – Michael Cosgrave
* Trumpet – Geoffrey Burgon (Titel: 3), Michael Cosgrave
* Violin – Graham Preskett
* Vocals – Jackie Leven
* Vocals [All Female Vocals] – Deborah Greenwood
* Voice – David Thomas (2) (Titel: 9), Gabrielle Gane (Titel: 11), Robert Bly (Titel: 1), Ron Sexsmith (Titel: 5), S E Rogie
* Voice [Further Female Voice] – Jaqueline Kroft
* Words By – Jackie Leven (Titel: 1 to 8, 10)
Vergessen war gestern - heute führte ein Zufall zu einem Prachtexemplar, welches in der nächsten Zeit garantiert manche Runde drehen wird - nebst den anderen Werken dieses grandiosen Künstlers. Also, los geht's:
Jackie Leven - Shining Brother Shining Sister | Folk, Folkrock | GB 2003
Wer DOLL BY DOLL kennt und schätzt, den wird die Spurensuche unweigerlich zu deren Gründer Jackie Leven geführt haben. Mit seiner einzigartigen Stimme hat er der Musikwelt unzählige, meist sehr einfühlsame Songs geschenkt. Seine Texte behandeln meist komplexe Themen, und oft hat er für seine Veröffentlichungen mit den verschiedensten Künstlern zusammengearbeitet.
Was also schert mich die fast miserable Kritik des Magazins "Uncut"? Für mich gehört dieses Album mit zu den besten der Leven-Veröffentlichungen. Wunderschöne Melodien, toll eingestreute Klangeffekte und - natürlich wieder ausgefeilte Texte. Mit seinem gefühlvollen Gesang und seinen musikalischen Mitstreitern hat Leven hier einen Anwärter für sein Top-Album geschaffen.
Im achtminütigen Eröffnungsstück "---> Classic Northern Diversions" lauten die ersten Textzeilen:
I took a train out of Leeds in the smear and stain / I saw the city pass by in the shuffling rain,
und so verwundert es bei Leven nicht, dass zu Beginn des Songs erst einmal die metallenen Räder einer heranrauschenden Eisenbahn auf den Schienen zu hören sind, bis nach langsamen, etwas bedrohlichem Bassground, Levens Stimme zu hören ist. Schön schmissig, die Drums im Takt der fahrenden Train, fein eingestreute E-Gitarre, rollt das Stück seinem Ende entgegen. Jackie Leven ist zum Schluss noch verzerrt mit einer Textzeile aus „Baby Please Don't Go“ von Big Joe Williams zu hören, bevor der amerikanische Dichter Robert Bly einen Teil eines mittelalterlichen französischen Gebets rezitiert. Einer meiner Favoriten...
Ob "My Philosophy" mein Lieblingssong auf diesem Album ist? - an manchen Tagen ist er das. Trompete und Orgel tragen diesen Song, ruhig und träumerisch fließt er dahin. Im Hintergrund ist ab und an die britische Sängerin Deborah Greenwood zu hören, wunderschöner Chorgesang trägt zu der verträumten Stimmung bei. Auch dieses Stück endet - wie manch anderes auch auf diesem Longplayer - mit einem Zitat. " "You turned into a photograph of somebody who's trying not to laugh at somebody who's trying not to cry"". Dies trägt hier niemand anders als der kanadische Singer-Songwriter ---> Ron Sexsmith vor. Das Zitat stammt aus einem Gedicht des amerikanischen Dichters und Schriftstellers ---> E.E. Cummings.
Eingebettetes Medium: https://www.youtube.com/watch?v=UtBKyAoU0LM
"A Little Voice In Space" dauert ca. 10 Minuten. Wie auch "My Philosophy" ist dies ein langsames, getragenes Stück. Wieder schwebt der Synthie über dem Song, wird er begleitet von bezauberndem Hintergrundchor. Keine einzige der zehn Minuten kommt Langeweile auf, habe ich das Verlangen, endlich zum nächsten Stück zu kommen. Erwähnte ich, dass auf diesem Album des Öfteren Zitate einfließen? So auch hier. Nach fast neun Minuten endet der Titel damit, dass Leven ein Gedicht von ---> Osip Mandelstam rezitiert. Ein starkes Lied, welches diese zehn Minuten braucht, sich zu entfalten. Zweifelsfrei eines meiner weiteren Highlights dieses Albums
Eingebettetes Medium: https://www.youtube.com/watch?v=URyjizaVWlQ
War David Thomas (PERE UBU) bereits auf vorigen Leven-Veröffentlichungen zu hören, übernimmt er hier ein "Spoken Word". Vorgetragen wird ein Text von Rainer Maria Rilke, "Gesichter", ---> hier kann dieser gelesen werden. Dem Text angemessen, wird dieser in einer schönen Melodie eingebettet und unter dem Titel ---> Faces sehr bedächtig und stimmungsvoll vorgetragen.
Mit "Heroin Dealer Blues" folgt ein weiterer meiner Favoriten. Somit schwanke ich, je nach Stimmungslage, zwischen diesem Stück und den bereits erwähnten "My Philosophy", "Classic Northern Diversions" sowie "A Little Voice In Space".
Bedrohlich ist die Atmosphäre, in der der Dealer Blues daherkommt. Düsteres Bassgewaber, traurige Trompetenklänge, der schleppende Gesang - das passt zum Text. Levin in einem Interview zu dem Song:
" Ich mag die Leute auf der Scheibe, weil sie - auch wenn sie eine unangenehme Persönlichkeit haben - doch ein gutes Herz haben." Etwa wie Dusty, der Heroin-Dealer? Es ist ja schon ziemlich ungewöhnlich einen Song über einen Dealer zu machen. "Weißt du, ich suche mir die Leute nicht aus, über die ich schreibe", erklärt Jackie, "es ist eher so, dass sie mich finden. Ich setze mich nicht hin und überlege mir einen Song über einen schottischen Dealer zu schreiben, der eine blöde Vorstellung davon hat, wie sein Leben weiter geht obwohl ich genau weiß, dass dem nicht so sein wird. Es ist ähnlich wie bei den Traum-Sachen, über die wir gerade gesprochen haben: Irgendwie wird mir gesagt, dass ich diesen Song schreiben solle. Es ist wohl auch immer über einen bestimmten, verarmten Teil meiner selbst. Ich hoffe, dass das auch anderen Leuten hilft. Denn es ist ja wohl so, dass je mehr Geld die Leute haben, andere Teile von ihnen eher verarmen. Die Gesellschaft reicht die Verantwortung nach unten durch - das ist der Grund, warum der arme Heroin Dealer den Blues bekommt."
Eingebettetes Medium: https://www.youtube.com/watch?v=MR6JlG_kVC8
Ein wunderbares, entspanntes und entspannendes Album. Mit seiner unverkennbaren Stimme, der perfekten Auswahl der Gaststars - auch ehemaliger Mitglieder der DOLL BY DOLL sind vertreten - und der perfekten Vertonung seiner Texte hat Levin für mich einen Meilenstein veröffentlicht. Nicht umsonst hat er in unserem MUSIKZIRKUS im Genre Folk vor bspw. Tracy Chapman oder THE PENTANGLE den ersten Platz erzielt. Zwar nicht mit dem hier rezensierten Album, aber "The Mystery of Love Is Greater Than the Mystery of Death" ist ja nun auch nicht zu verachten.
Ob mit Gastmusikern oder nicht, allein mit seiner Persönlichkeit vermochte er live, nur mit einer Gitarre auf einem Stuhl sitzend, Raum und Publikum einzunehmen.
Jackie Leven verstarb im Alter von 61 Jahren nach schwerer Krankheit. In meiner Livebiographie reiht er sich leider in die Liste der Künstler ein, die ich versäumt habe zu erleben.
Welch ein Glück, dass der altehrwürdige Rockpalast seine Talente zu schätzen wusste.
Eingebettetes Medium: https://www.youtube.com/watch?v=3pcJw_Zjf94
[Die Songs]
01 Classic Northern Diversions
02 Irresistible Romance
03 Dust Elegy
04 Savannah Waltz
05 My Philosophy
06 Another Man in the Old Arcade
07 A Little Voice in Space
08 Heroin Dealer Blues
09 Faces
10 Tied-Up House
11 Bells of Grey Crystal
12 1798
[Mitwirkende] (dem Internet entnommen)
* Acoustic Guitar, Electric Guitar – Jackie Leven
* Bagpipes [Scottish Short Pipes] – Dougie Bampot
* Bass – Kevin Foster
* Drums, Percussion – Steve Killer Jackson
* Electric Guitar [Low Telecaster Guitar] – Joe Shaw*
* Engineer – David Wrench
* French Horn – Michael Cosgrave
* Keyboards [Moog] – David Wrench (Titel: 1)
* Keyboards, Guitar Synthesizer [Casio Synth Guitar] – Michael Cosgrave
* Mandolin – Graham Preskett
* Melodica – Michael Cosgrave
* Piano – Michael Cosgrave
* Trumpet – Geoffrey Burgon (Titel: 3), Michael Cosgrave
* Violin – Graham Preskett
* Vocals – Jackie Leven
* Vocals [All Female Vocals] – Deborah Greenwood
* Voice – David Thomas (2) (Titel: 9), Gabrielle Gane (Titel: 11), Robert Bly (Titel: 1), Ron Sexsmith (Titel: 5), S E Rogie
* Voice [Further Female Voice] – Jaqueline Kroft
* Words By – Jackie Leven (Titel: 1 to 8, 10)