Cream - Disraeli Gears

 
firebyrd
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Cream - Disraeli Gears

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Gepostet: 17.11.2022 - 18:38 Uhr  ·  #1
Cream - Disraeli Gears

Nachdem ich vor Jahren schon das Debüt der Band vorstellte ( forum/topic.php?p=658470#real658470 ), sollte es an der Zeit sein, auch den Nachfolger noch einmal in das kollektive Gedächtnis zu rufen, vor Allem für die Spätgeborenen.....

Zwar lernte ich "Fresh Cream" auch erst nach "Disraeli Gears" kennen, doch damals, auch im Nachhinein, war das ein für mich wichtiges Album, konnte jedoch bis heute "Disraeli Gears" nicht toppen. Auch weil sich im Vergleich zum Vorgänger die Musik wesentlich weiter entwickelt hatte. Gab es auf "Fresh Cream" überwiegend Coverversionen, so konnte man nun fast ausschließlich mit Eigenkompositionen aufwarten. Und auch diese waren zwischenzeitlich von hörerer Qualität als die früheren. Darüber hinaus war es gelungen, einen insgesamt mehr einheitlicheren und dichten Sound zu schaffen.

Mit der Single aus 1967, "Strange Brew", startet das Album, und sogleich wird die nächste Single mit "Sunshine Of Your Love" nachgeliefert. Insofern gab es bereits mit "Strange Brew", das bereits im Mai des Jahres erschien (das Album im November), einen kleinen Vorgeschmack. Der Song wurde im Übrigen gemeinschaftlich komponiert von Eric Clapton, Gail Collins und Felix Pappalardi (Mountain), der das Album auch produzierte.

Neben den Spuren von "Fresh Cream" mit bluesiger Ausrichtung öffnete man sich nun auch dezenten psychedelischen Klängen und auch Pop, auf der Basis von Rock, jedoch nicht, ohne ansatzweise Strukturen des Blues außen vor zu lassen, zum Beispiel im gerade erwähnten "Strange Brew", das sich an Riffs von Albert King anlehnte. Wesentlichen Anteil an der Entwicklung mag auch der Poet Pete Brown gehabt haben, der verstärkt als Songwriter in Erscheinung trat. Doch besonders drückte sich der neue Stil auch aus durch Songs wie das geheimnisvoll wirkende "World Of Pain", Bruce mit hoher Stimme und Clapton mit Wah Wah-Gitarre, und dazu der mit seinem außergewöhnlichen Drive agierende Baker.

Hinsichtlich Clapton kann ich feststellen, dass er nach "Disraeli Gears" als auch "Wheels Of Fire" nie so richtig wieder diese Vielfalt in seinem Spiel aufwies, hinsichtlich der Arrangements und verschiedenen Arten, die Gitarre klingen zu lassen. Gemeinsam zeichnete man ein faszinierendes Bild eines Power-Trios, mit einer sanften Hinwendung zur Popmusik, in dieser Hinsicht kann man "Dance the Night Away" als ein hervorragendes Beispiel für diese Verquickung und Neugestaltung nennen, heute hieße das vielleicht Indie-Pop-Rock.

Nun, auch Schwachpunkte sollte man nicht unterschlagen, denn "Blue Condition" von Baker ist wahrhaftig keine Meisterleitung, einmal abgesehen von seinem ohnehin nicht vorhandenem Gesang. Da knie ich mich doch lieber voll hinein in "Tales Of Brave Ulysses", hier ist Baker doch besser aufgehoben als herrlich variabel agierender Drummer. Und der Song strahlt eine Art geheimnisvoller Atmosphäre aus, noch heute zählt er zu meinen Lieblingstiteln der Platte. Ein nicht nur vom Titel her skurril wirkender Song ist "SWLABR". Angeblich soll es eine Abkürzung sein für "She Walks Like a Bearded Rainbow", später soll Bruce gemeint haben, das "Walks" sei durch "Was" zu ersetzen...Aber auch hier ist es brillant und vorzüglich, wie die drei Akteure diesen Song vortragen, mehrere Gitarrenschichten, der grummelnde Bass und das mitgestaltende Schlagzeug. Letztlich bemerkt man an vielen Stellen der Platte, wie wichtig die Jazz-Vergangenheit von Bruce und Baker für die Gestaltung war, und wie stark sich Clapton hier mit seinen Ideen hat einbringen können, noch immer von seiner Blues-Vergangenheit etwas mitbringend, man nehme beispielsweise auch die Blues-Interpretation von "Outside Woman Blues"

Egal, wie es weiter ging mit "Wheels Of Fire", das für mich dichteste und geschlossenste Album bleibt "Disraeli Gears", weil sich gerade hier die drei Protagonisten und eigenwilligen Musiker am nächsten gestanden zu haben scheinen. Und die gemeinsame Verbindung von Blues, Rock, Pop, Psychedelic und gelegentlichen jazzigen Untertönen ist einfach perfekt gelungen. Und zum Schluss dann noch ein Schuss Humor mit "Mother's Lament". Es ist eine Bearbeitung eines alten Songs aus den English Music Halls, heisst eigentlich "When Mother Was Bathing The Baby", und wurde einst populär durch Elsa Lanchester.


Eric Clapton (lead guitar, rhythm guitar, 12-string guitar, vocals)
Jack Bruce (bass, piano, vocals, harmonica)
Ginger Baker (drums, percussion, vocals)


1 Strange Brew (Eric Clapton, Felix Pappalardi, Gail Collins) 2:46
2 Sunshine of Your Love (Clapton, Jack Bruce, Pete Brown) 4:10
3 World of Pain (Pappalardi, Collins) 3:03
4 Dance the Night Away (Bruce, Brown) 3:34
5 Blue Condition (Ginger Baker) 3:29
6 Tales of Brave Ulysses (Clapton, Martin Sharp) 2:46
7 SWLABR (Bruce, Brown) 2:32
8 We're Going Wrong (Bruce) 3:26
9 Outside Woman Blues (Arthur Reynolds, arr. Clapton) 2:24
10 Take it Back (Bruce, Brown) 3:05
11 Mother's Lament (Traditional, arr. Clapton, Bruce, Baker) 1:47


freaksound
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Re: Cream - Disraeli Gears

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Gepostet: 18.11.2022 - 07:29 Uhr  ·  #2
wie immer eine hervorragende Rezi über ein auch von mir als hervorragend empfundenes Album !

Zum einen ein Start in Weltkarrieren, zum anderen ebensosehr ein musiklaischer Solitär.

Auch in deiiner Einschätzung von Clapton kann ich dir nur recht geben. Der hat sich später
auch nicht mehr durch Innovationsfreude ausgezeichnet.

Als das Album erschien, war ich 4 Jahre alt. Da habe ich noch nicht viel davon mitbekommen ...grins.

Ca. 1978 hab ich meinen ersten Radiorecorder bekommen, da war dann am Abend von 8 bis 9
die sendung "Pop nach Acht" im BR angesagt. Damals moderiert von einem jungen Thomas Gottschalk.

Gepielt wurde Pop und Rock so grob geschätzt der letzten 10 Jahre. Natürlich auch Cream.
Songs wurden noch ausgespielt und der Finger schwebte permanent über der Aufnahmetaste.

Ach was habe ich diese Mixtapes rauf und runter gehört, bis ich 2 Jahre später endlich einen Plattenspieler
erwerben konnte und ganze Alben meine Musikalische entwicklung vorantrieben.
Tom Cody
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Re: Cream - Disraeli Gears

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Gepostet: 18.11.2022 - 13:07 Uhr  ·  #3
Mein erster Kontakt zu Cream war die Single "White Room" - natürlich über das Radio ! Damals definierte sich die Musik für mich über Singles, später dann - mit etwas mehr finzanziellem Spielraum - über die Langspielplatten. Vieles habe ich für mich demnach erst im Nachhinein entdeckt - so auch die "Disraeli Gears". Das Album hatte ich seinerzeit als MC, weil ich einem Lockangebot des Bücherclubs gefolgt bin. (3 MCs a 3,33 DM).

Von allen Werken der Gruppe gefällt mir dieses hier am besten. Deshalb habe ich mich gefreut, daß du diesen Meilenstein hier vorstellst. Viele Hintergrundinformationen und Einschätzungen - ausführlich und detailliert dargestellt.

Firebyrd, very well done ! :-D
Stattmeister
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Re: Cream - Disraeli Gears

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Gepostet: 18.11.2022 - 14:35 Uhr  ·  #4
Ich bin Spätentdecker :-) Habe Cream erst bewusst durch den Zirkus wahrgenommen (gut, "Sunshine.." war mir als Single schon geläufig). Da war es natürlich nur eine Frage der Zeit bis ich die ersten beiden Alben ins Regal stellte. Der Zweitling gefällt mir dabei besser. Die ersten vier Titel sind Knaller.
badMoon
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Re: Cream - Disraeli Gears

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Gepostet: 03.12.2022 - 12:20 Uhr  ·  #5
Bei diesem Album habe ich jedesmal eine kleine Anekdote im Kopf. Der Rechnungsführer einer Kompanie in Hilden, die gerade auf dem Truppenübungsplatz war, war wegen Krankheit ausgefallen. So wurde ich, ebenfalls "Refü", zur Abrechnung des Wehrsoldes, des Trennungsgeldes und eben des Truppenübungsgeldes dorthin abgestellt.

Im Büro lief durchweg ein Radiosender, damals ( anno 1978) vornehmlich WDR2. Mit dem Hildener "Refü-Gehilfen", wie das damals hieß, ließ sich bestens über Musik plaudern. Als im Radio der Song "Lay Down Sally" von Eric Clapton lief, machte er eine recht abfällige Bemerkung, sinngemäß in etwa so: "...der Clapton. Und DER hat früher bei der Supergruppe Cream gespielt."

Chapeau an den damaligen Jungspund, dem der Name Cream geläufig war.

Ein weiteres Cheapau für diese Rezi und die treffliche Beschreibung eines tollen Albums. Gerade lasse ich es wieder durch meinen Kopfhörer tuben.
Leslie
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Re: Cream - Disraeli Gears

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Gepostet: 03.12.2022 - 12:37 Uhr  ·  #6
Zitat geschrieben von badMoon

Bei diesem Album habe ich jedesmal eine kleine Anekdote im Kopf. Der Rechnungsführer einer Kompanie in Hilden, die gerade auf dem Truppenübungsplatz war, war wegen Krankheit ausgefallen. So wurde ich, ebenfalls "Refü", zur Abrechnung des Wehrsoldes, des Trennungsgeldes und eben des Truppenübungsgeldes dorthin abgestellt.


du hattest schon mal erwähnt dass du "Refü" warst - ich mußte Anno 1968 mit 90 DM Wehrsold auskommen - was gab es denn zu deiner Zeit?

PS : du hättest dem Jungspund paar Backpfeifen verabreichen müssen 8) Lay Down Sally ist ein klasse Song aus einem Spitzen Album
badMoon
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Re: Cream - Disraeli Gears

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Gepostet: 03.12.2022 - 12:48 Uhr  ·  #7
Zitat geschrieben von Leslie


du hattest schon mal erwähnt dass du "Refü" warst - ich mußte Anno 1968 mit 90 DM Wehrsold auskommen - was gab es denn zu deiner Zeit?

PS : du hättest dem Jungspund paar Backpfeifen verabreichen müssen 8) Lay Down Sally ist ein klasse Song aus einem Spitzen Album


*OFF-TOPIC-AN*
Der damalige Wehrsold betrug zum Einstieg 6,50 DM pro Tag, für Gefreite 8,00 DM, Obergefreite 8,50 DM und Hauptgefreite 9,50 pro Tag. Hinzu kam die Auszahlung des Verpflegungsgeldes für nicht in Anspruch genommene Verpflegung.
*OFF-TOPIC-AUS*

Und ansonsten: Ja, "Lay Down Sally" war/ist ein toller Song. Besonders schmissig auf den Crossroad-Festivals. Tatsächlich jedoch hat diese Musik mit den Cream-Alben nicht mehr viel gemeinsam ;-)
kraut-brain
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Re: Cream - Disraeli Gears

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Gepostet: 15.12.2022 - 23:54 Uhr  ·  #8
Es musste wohl die Mischung aus zwei Wutköpfen und einem eher introvertierten Musiker gewesen sein, um dieses brodelndes und zugleich innovatives musikalisches Gemisch zu entwickeln.

Cream haben als Trio Musikgeschichte geschrieben und jedes ihrer Alben wusste zu überzeugen. Hier waren wahrlich drei Könner am Werk, die es im Bereich der Rockmusik zuvor noch nicht gegeben hatte. Wohl auch nicht danach, aber das muss jeder für sich selbst beantworten.

Wenn man sich vor Augen führt, dass diese Band bereits im Jahre 1966 startete, so ist es umso erstaunlicher, was sich in Good Old West Germany in dieser Zeit in den Hitparaden so alles tummelte. Da tun sich Quantensprünge auf .....

Schön, dass diese großartige Band mal wieder ans Tageslicht gebracht wurde. Ach ja, das war ja der firebyrd. Danke für deine schöne Rezi.
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