Chicago - V

 
Floyd Pink
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Chicago - V

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Gepostet: 25.06.2022 - 17:15 Uhr  ·  #1



Zunächst einmal muss ich kurz bekannt geben, wie ich an dieses Album gelangt bin. Tatsächlich war es ein Geburtstagsgeschenk meines Onkels, der mit Rockmusik so viel am Hut hatte wie Ted Nugent mit der Friedensbewegung. Aber meine Mutter hatte ihm gesteckt, dass eine meiner Lieblingsbands (oder damals sogar die Nr.1 vor Santana) eben Chicago war, wobei sich diese Zuneigung meinerseits auf die ersten beiden Doppelalben bezog, insbesondere Songs wie 25 or 6 to 4, I‘m a man, Make Me Smile oder Questions 67&68 hatten es mir angetan.

Natürlich erhielt ich die Scheibe (als 1964 geborener) nicht zu meinem achten Geburtstag sondern ich glaube so zum 14. oder 15., was auch einiges darüber aussagt, wie „aktuell“ die Auswahl in unserem örtlichen Plattenladen war (ich wohnte ja in Böblingen und es gab genau 2 Stück davon, wobei der eine davon überhaupt kein System hatte und nur verkaufte, was irgendwo mal vom Laster gefallen war).

Nun aber zum guten Stück, Chicago V. Das erste Mal in der Geschichte der Band eine Single-Album nach drei Doppelalben und dem grandiosen „At Carnegie Hall“-Viererpack.
Und zum ersten Mal bei Chicago auch so etwas wie eine richtige Hitsingle mit Saturday In The Park, die immerhin Platz 3 der Charts erreichte. Beim ersten Hören vielleicht gar nicht mal so spektakulär, ist das Album in meinen Ohren mit der Zeit gewachsen und wird von mir auch heute noch gerne gehört, nicht nur aus nostalgischen Gründen (zeitlos nennt man das dann wohl). Das liegt natürlich vor allem an den tollen Kompositionen von Robert Lamm, der hier 8 der 10 Songs zu verantworten hat. Nicht umsonst ist der Mann Mitglied der Hall Of Fame für Songwriter und diese Scheibe ist sein Referenzwerk.

Los geht es mit A Hit By Varese, eine – man ahnt es schon – Verbeugung vor dem französischen Kmponisten Edgar Varese, der ja zum Beispiel auch von Frank Zappa glühend bewundert wurde. Das durchaus komplexe Stück zeigt die Brasskompetenz der Band und punktet mit jazzigen Momenten. All Is Well wird von Peter Cetera gesungen und geht schon in die etwas konventionellere Richtung des AOR. Now That You’re Gone, der kompositorische Beitrag von James Pankow, beginnt mit lebhaften Rhythmen von Danny Seraphine und mündet in etwas zwischen Walzer und Funk, mit einem starken Saxophonsolo von Walter Parazaider.

Für viele der Höhepunkt des Albums ist das zweigeteilte Dialogue, quasi ein Aufeinandertreffen der Vergangenheit (Terry Kath) und der Zukunft (Peter Cetera) der Band. Hier der wilde, ungezähmte, tief in den 60er verhangene Kath mit seiner raspeligem Stimme und seinem grandiosen, einem Jimi Hendrix in Sachen Innovation nicht nachstehenden Gitarrenspiel und hier Cetera als Kind der 70er, ein fabelhafter Bassist (was oftmals zu kurz kommt), aber eben auch ein harmoniesüchtiger Melodiker. Das Solo von Kath im zweiten Teil ist Extraklasse.

Auch bei While the City Sleeps, einem zwischen Blues und Soul mäandernden Rocker, stiehlt Terry Kath mit seinem Solospot die Show. Danach kommt dann schon der erwähnte Chartbreaker Saturday In The Park, das einen sonnigen Ausflug am vierten Juli beschreibt. Natürlich oft gehört, aber immer noch um Welten erträglicher als spätere Schmachtfetzen wie If You Leve Me Now, Hard To Say I’m Sorry oder gar You’re The Inspiration.

Anschließend gibt es den relativ straighten Funk Rocker State Of The Union mit einem schönen Dizzy-Gillespie-Gedächtnis-Trompetensolo von Lee Loughnane, gefolgt vom eher gemäßigten, softeren Brass Rock in Goodbye, der dennoch ein paar interessante Wendungen bietet.
Zum Abschluss gibt es das entspannt-akustische Alma Mater, geschrieben und gesungen von Terry Kath.

Wie schon zu vermuten, für mich das letzte große Album dieser Band, im Übrigen auch das letzte ohne einen Song von Peter Cetera (der Zusammenhang ist ziemlich greifbar), der ja in der Folgezeit die Band in seichtere, wenngleich unendlich einträglichere Fahrwasser führte – wohl auch zur Freude von Columbia Records. Spätestens der tragische Tod von Terry Kath im Jahr 1978 besiegelte irgendwie endgültig das Kapitel Chicago, auch wenn die Band bis heute aktiv die Fahne des Brass Rock hochhält und auch noch einige lichte Momente in späteren Werken hatte. Aber die Magie war verflogen.



Audio-Video “A Hit by Varese”: https://www.youtube.com/watch?v=6aoKb_v1XSc


Audio-Video “Dialogue Part 1&2”: https://www.youtube.com/watch?v=80s3warB_c0


Full Album: https://www.youtube.com/watch?v=s9Zasa2ks60



Chicago
V, Columbia, 1972

Peter Cetera Vocals & Bass
Terry Kath Guitar & Vocals
Robert Lamm Keyboards & Vocals
Lee Loughnane Trumpet, Flugelhorn, Percussion & Backing Vocals
James Pankow Trombone, Percussion, Backing Vocals & Brass Arrangements
Walter Parazaider Saxophone, Flute, Percussion & Backing Vocals
Danny Seraphine Drums & Percussion


Spieldauer:45:07 Minuten


01. A Hit by Varese
02. All Is Well
03. Now That You’ve Gone
04. Dialogue
05. Dialogue (Pt. II)
06. While The City Sleeps
07. Saturday In The Park
08. State Of The Union
09. Goodbye
10. Alma Mater
Leslie
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Re: Chicago - V

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Gepostet: 26.06.2022 - 11:54 Uhr  ·  #2
ich erinnere mich an den Mai oder Juni 1969 - ich war kurz vor der Entlassung bei der Bundeswehr - da hörte ich einen Song von Spencer Davis - eine absolute Granate - nicht vom Spencer, nein, eine neue Band namens Chicago - I'm a Man - einer der schärfsten Songs der End 60er

Peter Cetera, Terry Kath oder Robert Lamm sind oder waren die Namen die bei mir hängen geblieben sind - ich mochte auch die späteren Schmachtfetzen!

Album 5 dagegen hab ich nie so richtig zur Kenntnis genommen - nun denn
firebyrd
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Re: Chicago - V

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Gepostet: 26.06.2022 - 16:34 Uhr  ·  #3
Schön, dass Du dieses Album vorstellst. Mir gefiel das auch immer, und Deine "Erinnerung" werde ich zum Anlass nehmen, mir das Album noch einmal in aller Ruhe und entspannt in der Wanne liegend, anzuhören...

Ja, da sind einige starke Songs dabei, "A Hit by Varèse", "Saturday in the Park", "Goodbye" und "Alma Mater" sind meine Favoriten..
Tom Cody
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Re: Chicago - V

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Gepostet: 26.06.2022 - 16:46 Uhr  ·  #4
Die Band Chicago ist musikalisch nie so meine Baustelle gewesen. Das liegt an der eingesetzten Bläsergruppe, die mich einfach nicht erreichte. Insoweit bin ich natürlich auch kein Freund von der Gruppe "Blood Sweat & Tears". Mit einigen Singles wie "I`m A Man", "Beginnings", "Does Anybody Really Know..." und "25 Or 6 To 4" konnte ich mich jedoch anfreunden. Die Aufnahmen machten sie zum Teil noch als "Chicago Transit Authority".

Ralf, vielen Dank für die schöne und informative Vorstellung ! :-D
Mr. Upduff
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Re: Chicago - V

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Gepostet: 26.06.2022 - 17:30 Uhr  ·  #5
... zuerst war (nur) das riesige (Luvealbum-) Poster bei mir im Zimmer dass mir ein Nachbar geschenkt hat ...dann habe ich mir Chicago IX/Best Of gekauft...dann X und XI...
... in den Jahren danach kamen I bis XIII dazu ...

... mein Lieblingsalbum sind noch immer die X und XI... bei echten Chicago Fans verpönt... vielleicht liegt es daran dass dies meine erste und damals sehr intensive Begegnung mit der Band war...

... die Alben davor haben viele Höhen aber auch viele Schwächen und Längen... deshalb mal ein Anlass mir besonders die V noch mal vorzunehmen...
Floyd Pink
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Re: Chicago - V

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Gepostet: 26.06.2022 - 19:17 Uhr  ·  #6
Vielen Dank schon mal für das Feedback!

Die V läuft tatsächlich etwas unter dem Radar durch, auch bei den Chicago-Fans. wie ich schrieb, fand sie ja auch eher zufällig den Weg zu mir, ich habe sie aber wirklich zu schätzen gelernt - Lamm ist einfach ein guter Songwriter und Kath war da noch dabei.
@Mr. Upduff. tatsächlich hatte ich die XI auch als LP und fand sie gar nicht mal soo schlecht, zumindest die Terry Kath -Sachen (war ja die letzte mit ihm). Eigentlich driftete die Band da schon auseinander, in die Sachen von Cetera und die andere :-)
Baby, waht A Big Surprise war da ja auch mit drauf... Oftmals ist es ja oft so, dass die erste intensive Begegnung musikalischer Art mit einer Band prägend ist.

@Tom Cody: mit B,S & T konnte ich irgendwie auch nie was anfangen. Bei den frühen Chicago faszinierte mich halt die Mischung aus jazzigem, Brass Rock und den knackigen Terry-Kath-Songs. dazu die verschiedenen Stimmen (haben ja alle außer Seraphine gesungen).

@Leslie: I'm a man war ja bei vielen die Initialzündung, später war es halt ein anderer Schnack.

@Firebyrd: das dachte ich mir, dass dir v.a. A Hit By Varese zusagt.
Tom Cody
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Re: Chicago - V

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Gepostet: 26.06.2022 - 19:27 Uhr  ·  #7
Zitat geschrieben von Leslie

ich erinnere mich an den Mai oder Juni 1969 - ich war kurz vor der Entlassung bei der Bundeswehr - da hörte ich einen Song von Spencer Davis - eine absolute Granate - nicht vom Spencer, nein, eine neue Band namens Chicago - I'm a Man - einer der schärfsten Songs der End 60er

Leslie, da bin ich völlig deiner Meinung. "Im`A Man" von der Spencer Davis Group kannte ich auch, aber ist irgendwie Nebensache gewesen. :-/ Der Song explodierte bei mir erst in der Version von der Chicago Transit Authority. Gitarrist Terry Kath einfach phänomenal. Von der Spencer Davis Group ist mir aber auch ein Song im Kopf geblieben: "Gimme Some Loving", mit dem jungen Stevie Winwood an der Hammond- Orgel. ^_^
firebyrd
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Re: Chicago - V

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Gepostet: 26.06.2022 - 19:48 Uhr  ·  #8
Floyd Pink
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Re: Chicago - V

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Gepostet: 26.06.2022 - 22:03 Uhr  ·  #9
Zitat geschrieben von firebyrd

da fällt mir ein, vor 10 Jahren hatte ich mal die Möglichkeit, ROBERT LAMM zu interviewen:

https://www.rocktimes.info/Arc…iew12.html


Sehr interessant, danke dafür!
freaksound
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Re: Chicago - V

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Gepostet: 27.06.2022 - 07:11 Uhr  ·  #10
schöner reminder, irgendwo muß sich die V noch rumtreiben,
wurde aber schon dehr lange nicht mehr gehört........
xanadu
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Re: Chicago - V

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Gepostet: 04.07.2022 - 22:30 Uhr  ·  #11
Bin ebenfalls Chicago Fan, der früheren Phase bis XI
(Hideaway ist dort stark!)

Terry Kane war damals gehört zu einer der besten Gitarristen wie ich finde, er spielte selbst in diesem Brassrock Jazz Pop Gemisch phantastische und atemberaubende Soli's.
Ist auch tragisch gestorben.

Off topic :
Auf Netflix gibt es eine sehr sehenswerte und informative Doku !!!

Das Album V gefällt mir ebenfalls durchgehend richtig gut und vielen dank für die Erinnerung zum wieder anhören, floydPink
holger_fischer
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Re: Chicago - V

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Gepostet: 07.07.2022 - 20:05 Uhr  ·  #12
Besten Dank für die Vorstellung. Die Chicago-Alben habe ich fast alle. Aber ich gebe zu, ich habe sie, bis auf die erste, nicht mehr im Ohr. Also mal wieder ein Grund, diese Album hervorzuholen. Als CD. Die LP habe ich gestern noch nach Italien verschickt. Wehe, die gefällt mir jetzt so gut, dass ich die LP wiederhaben will. Weg isse.
hmc
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Re: Chicago - V

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Gepostet: 23.07.2022 - 14:49 Uhr  ·  #13
AT CARNEGY liebe ich auch sehr.
Angeregt durch euere Beiträge werde ich mich nun auch um ältere Werke kümmern.
A Hit By Varese müsste in der 5er History Box sein, die ich hier ebenfalls steht.
hmc
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Re: Chicago - V

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Gepostet: 23.07.2022 - 14:51 Uhr  ·  #14
A Hit By Varese läuft nun, in der Tat ein tolles Stück.
Gute Jazzrock und Jazzpassagen.
frimp
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Re: Chicago - V

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Gepostet: 23.07.2022 - 18:21 Uhr  ·  #15
Ja das stimmt, noch ein schönes Album.
Ich finde nur Peter Cetera hat später aus Chicago eine belanglose Schmalztruppe gemacht. Nach „if you leave me now“ habe ich genau das getan…
badMoon
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Re: Chicago - V

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Gepostet: 12.09.2022 - 13:43 Uhr  ·  #16
Chicago, das war nie die Musik, die bei mir gezündet hat. ABER - diese Vorstellung hat es in mein Regal geschafft, damals, zu Vinylzeiten. Nach dem Verkauf der Sammlung war sie weg, ersetzt durch CD wurde sie nicht.

Glücklicherweise ist mein Freund Chicago-Fan und verfügt über einen großen Vorrat derer Silberlinge. So konnte ich ihn zur Herausgabe zwecks Ripping überreden.

Mittlerweile zweimal durchgehört, die Scheibe gefällt noch immer.

Deine Rezi, aufgewertet durch persönliche Anmerkungen, hat also neugierig gemacht und auch für mich zum Wiederentdecken geführt. Besten Dank dafür und für Deine Mühe :-)
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