Katastrophen scheinen ein Füllhorn an Inspiration zu sein für die Fünferbande, die unter dem Namen MARILLION firmiert. War es vor knapp sechs Jahren die Beschreibung des politischen und sittlichen Verfalls (...Trump lässt grüßen), festgehalten auf dem Album F.E.A.R. und visuell trefflich umgesetzt auf den begleitenden Tourneen, so lag wohl dem hier vorgestellten Album der Coronavirus als Ideengeber zugrunde.
MARILLION – "An Hour Before It’s Dark" - "Eine Stunde bevor es dunkel wird". Seinerzeit hat mit Sicherheit niemand im entferntesten daran gedacht oder geglaubt, wie schnell dieser Albumtitel noch aktueller wird, wie die Zeiten noch düsterer geworden sind. Lässt er sich doch gleichwohl sehr trefflich auf die Dunkelheit anwenden, die sich seit Wochen über die Ukraine, über Europa legt.
Marillion – An Hour Before It’s Dark |GB 2022 | Progrock, Artrock
Über eine Gesamtspielzeit von 54:10 Minuten werden auf dem Tonträger sieben Songs geboten. Hierbei handelt es sich um vier "Mini-Suiten", die Tracks gehen hier nahtlos ineinander über, sowie um drei "normale" Stücke.
"An Hour Before It’s Dark" ist in Anbetracht seiner Aktualität ein sehr bewegendes, emotionales, aber auch schmerzhaftes Album. Das Erscheinungsdatum konnte - auch wenn dies ein Zufall ist - nicht perfekter gewählt werden.
Während die Fünf-vor-Zwölf-Uhr immer lauter tickt, wird gleichzeitig um vermeintliche Freiheiten und Grundrechte gestritten, noch immer wird ohne Ergebnis darüber philosophiert, durch welche Umweltmaßnahmen unser Planet zu retten ist. Wer die Texte im beiligenden Booklet ein wenig verfolgt (Be Hard On Yourself ), könnte dem Gedanken verfallen, Hogarth muss apokalyptische Visionen gehabt haben. So apelliert er am Ende des Songs an uns, ein Opfer für unsere Mitmenschen zu bringen: „Ihr seid seit Jahren verwöhnt , ... wir haben nicht mehr lange Zeit … bis zum Ende dieses Liedes. ...wir haben eine Stunde, bevor es dunkel ist."
Nicht nur mit dem Titel Be Hard On Yourself stellt Hogarth sein Können sprachlicher Ausdruckskraft unter Beweis. Ein weiteres Beispiel hierfür kann in dem Titel Sierra Leone (i found this object deep below the ground | chance in a million under rubbish town | where little barefoot children scratch around | fishing for treasure in the broken glass ) gesehen werden. Aber - ein gutes, emotional packendes Album lebt nicht vom Text allein. Hier kommen die Qualitäten MARILLIONs wieder einmal bestens zur Geltung. Rothery glänzt mit seinen gefühlvollen Gitarrensoli, Kelly's Keyboards umschmeicheln gekonnt die Zeilen, Trewavas und Mosley legen den passenden Grundrhythmus.
Wie bei den Vorgängeralben auch, ist "Hour" wie eine konzeptionelle Geschichte aufgebaut. Mir gefällt unglaublich, wie abwechslungsreich mit den Emotionen gespielt wird. Neben wuchtigen, kraftvollen Passagen mag ich besonders die ruhigeren, getrageneren Momente (Sierra Leone - The White Sand) oder aber auch die Songs voller Pathos (The Crow and the Nightingale).
Der für mich ultimative Höhepunkt des Albums wartet bis zum Schluss auf den Hörer: Care, mit einer Spielzeit von 15 Minuten gleichsam der längste Song. Hogarth singt gefühlvoll, emotional, gekonnt in leisen und lauten Tönen, und Rotherys Gitarrenspiel wechselt auf den Punkt genau von zart begleitend auf himmlisch kreischend. Care - ein Übersong.
Mit An Hour Before It’s Dark haben MARILLION wohl eines ihrer besten Alben präsentiert und gleichzeitig die Messlatte dermaßen hoch gelegt, dass sie es künftig schwer haben werden, dieses Werk zu toppen. Allerdings - wir erinnern uns - wurden MARILLION in ihrer Anfangszeit gerne als "Genesis für Arme" bezeichnet. Wer hätte damals daran geglaubt, dass diese 1979 in Aylesbury gegründete Band über 40 Jahre besteht und noch immer voller Saft und Kraft ist? Vielleicht sollten wir auch daran glauben, dass sie das Talent haben werden, selbst ihr Topalbum noch zu toppen?
So will ich auch daran glauben, dass es doch noch Hoffnung gibt nach dieser coronageschwängerten Zeit und diesen aktuellen düsteren Stunden. So wie in den letzten Worten Hogarths die Hoffnung mitschwingt:
An angel here on Earth came down here
to carry me home
to carry me home
Eine Schlussbemerkung. Im weltweiten Netz ist ein amüsanter Artikel über Marillion zu finden. Er schimpft sich "Ich liebe die uncoolste Band der Welt. Wie konnte das nur passieren?" und ist in dem Magazin "Der Spiegel" ---> hier zu finden.
Ein kleiner Auszug daraus:
"...und wenn sich in schwachen Stunden doch mal wieder ein Marillion-Song in meine Kopfhörer verirrte, hatte ich das Gefühl, mich mit Dinosaur Jr. oder Laurent Garnier reinwaschen zu müssen.
Das ist vorbei, und das ist auch eine Befreiung. Vielleicht hat man als in die Jahre kommender Popmusik-Konsument zwei Möglichkeiten: Man kann zum Classic-Rock-Stalinisten erstarren, der davon überzeugt ist, dass die beste Musik schon lange erschienen ist und da nichts Gutes mehr nachkommt.
Oder man kann sich des Erwachsenseins freuen und Entdeckungen machen. Manchmal findet man dabei Dinge wieder, die einen daran erinnern, wie viel Zeit vergangen ist, seitdem man sich auf diesen Weg gemacht hat."
Eine nachdenkenswerte Passage!
Die Band:
○ Steve Rothery / Guitar
○ Pete Trewavas / Bass
○ Mark Kelly / Keyboards
○ Ian Mosley / Drums
○ Steve Hogarth / Vocals
Die Songs
♪ Be Hard on Yourself
i. "The Tear in the Big Picture"
ii. "Lust for Luxury"
iii. "You Can Learn"
♪ Reprogram the Genre
i. "Invincible"
ii. "Trouble-Free Life"
iii. "A Cure for Us?"
♪ Only a Kiss
♪ Murder Machines
♪ The Crow and the Nightingale
♪ Sierra Leone
i. "Chance in a Million"
ii. "The White Sand"
iii. "The Diamond"
iv. "The Blue Warm Air"
v. "More Than a Treasure"
♪ Care
i. "Maintenance Drugs"
ii. "An Hour Before It's Dark"
iii. "Every Cell"
iv. "Angels on Earth"
MARILLION – "An Hour Before It’s Dark" - "Eine Stunde bevor es dunkel wird". Seinerzeit hat mit Sicherheit niemand im entferntesten daran gedacht oder geglaubt, wie schnell dieser Albumtitel noch aktueller wird, wie die Zeiten noch düsterer geworden sind. Lässt er sich doch gleichwohl sehr trefflich auf die Dunkelheit anwenden, die sich seit Wochen über die Ukraine, über Europa legt.
Marillion – An Hour Before It’s Dark |GB 2022 | Progrock, Artrock
Über eine Gesamtspielzeit von 54:10 Minuten werden auf dem Tonträger sieben Songs geboten. Hierbei handelt es sich um vier "Mini-Suiten", die Tracks gehen hier nahtlos ineinander über, sowie um drei "normale" Stücke.
"An Hour Before It’s Dark" ist in Anbetracht seiner Aktualität ein sehr bewegendes, emotionales, aber auch schmerzhaftes Album. Das Erscheinungsdatum konnte - auch wenn dies ein Zufall ist - nicht perfekter gewählt werden.
Während die Fünf-vor-Zwölf-Uhr immer lauter tickt, wird gleichzeitig um vermeintliche Freiheiten und Grundrechte gestritten, noch immer wird ohne Ergebnis darüber philosophiert, durch welche Umweltmaßnahmen unser Planet zu retten ist. Wer die Texte im beiligenden Booklet ein wenig verfolgt (Be Hard On Yourself ), könnte dem Gedanken verfallen, Hogarth muss apokalyptische Visionen gehabt haben. So apelliert er am Ende des Songs an uns, ein Opfer für unsere Mitmenschen zu bringen: „Ihr seid seit Jahren verwöhnt , ... wir haben nicht mehr lange Zeit … bis zum Ende dieses Liedes. ...wir haben eine Stunde, bevor es dunkel ist."
Nicht nur mit dem Titel Be Hard On Yourself stellt Hogarth sein Können sprachlicher Ausdruckskraft unter Beweis. Ein weiteres Beispiel hierfür kann in dem Titel Sierra Leone (i found this object deep below the ground | chance in a million under rubbish town | where little barefoot children scratch around | fishing for treasure in the broken glass ) gesehen werden. Aber - ein gutes, emotional packendes Album lebt nicht vom Text allein. Hier kommen die Qualitäten MARILLIONs wieder einmal bestens zur Geltung. Rothery glänzt mit seinen gefühlvollen Gitarrensoli, Kelly's Keyboards umschmeicheln gekonnt die Zeilen, Trewavas und Mosley legen den passenden Grundrhythmus.
Wie bei den Vorgängeralben auch, ist "Hour" wie eine konzeptionelle Geschichte aufgebaut. Mir gefällt unglaublich, wie abwechslungsreich mit den Emotionen gespielt wird. Neben wuchtigen, kraftvollen Passagen mag ich besonders die ruhigeren, getrageneren Momente (Sierra Leone - The White Sand) oder aber auch die Songs voller Pathos (The Crow and the Nightingale).
Der für mich ultimative Höhepunkt des Albums wartet bis zum Schluss auf den Hörer: Care, mit einer Spielzeit von 15 Minuten gleichsam der längste Song. Hogarth singt gefühlvoll, emotional, gekonnt in leisen und lauten Tönen, und Rotherys Gitarrenspiel wechselt auf den Punkt genau von zart begleitend auf himmlisch kreischend. Care - ein Übersong.
Mit An Hour Before It’s Dark haben MARILLION wohl eines ihrer besten Alben präsentiert und gleichzeitig die Messlatte dermaßen hoch gelegt, dass sie es künftig schwer haben werden, dieses Werk zu toppen. Allerdings - wir erinnern uns - wurden MARILLION in ihrer Anfangszeit gerne als "Genesis für Arme" bezeichnet. Wer hätte damals daran geglaubt, dass diese 1979 in Aylesbury gegründete Band über 40 Jahre besteht und noch immer voller Saft und Kraft ist? Vielleicht sollten wir auch daran glauben, dass sie das Talent haben werden, selbst ihr Topalbum noch zu toppen?
So will ich auch daran glauben, dass es doch noch Hoffnung gibt nach dieser coronageschwängerten Zeit und diesen aktuellen düsteren Stunden. So wie in den letzten Worten Hogarths die Hoffnung mitschwingt:
An angel here on Earth came down here
to carry me home
to carry me home
Eine Schlussbemerkung. Im weltweiten Netz ist ein amüsanter Artikel über Marillion zu finden. Er schimpft sich "Ich liebe die uncoolste Band der Welt. Wie konnte das nur passieren?" und ist in dem Magazin "Der Spiegel" ---> hier zu finden.
Ein kleiner Auszug daraus:
"...und wenn sich in schwachen Stunden doch mal wieder ein Marillion-Song in meine Kopfhörer verirrte, hatte ich das Gefühl, mich mit Dinosaur Jr. oder Laurent Garnier reinwaschen zu müssen.
Das ist vorbei, und das ist auch eine Befreiung. Vielleicht hat man als in die Jahre kommender Popmusik-Konsument zwei Möglichkeiten: Man kann zum Classic-Rock-Stalinisten erstarren, der davon überzeugt ist, dass die beste Musik schon lange erschienen ist und da nichts Gutes mehr nachkommt.
Oder man kann sich des Erwachsenseins freuen und Entdeckungen machen. Manchmal findet man dabei Dinge wieder, die einen daran erinnern, wie viel Zeit vergangen ist, seitdem man sich auf diesen Weg gemacht hat."
Eine nachdenkenswerte Passage!
Die Band:
○ Steve Rothery / Guitar
○ Pete Trewavas / Bass
○ Mark Kelly / Keyboards
○ Ian Mosley / Drums
○ Steve Hogarth / Vocals
Die Songs
♪ Be Hard on Yourself
i. "The Tear in the Big Picture"
ii. "Lust for Luxury"
iii. "You Can Learn"
♪ Reprogram the Genre
i. "Invincible"
ii. "Trouble-Free Life"
iii. "A Cure for Us?"
♪ Only a Kiss
♪ Murder Machines
♪ The Crow and the Nightingale
♪ Sierra Leone
i. "Chance in a Million"
ii. "The White Sand"
iii. "The Diamond"
iv. "The Blue Warm Air"
v. "More Than a Treasure"
♪ Care
i. "Maintenance Drugs"
ii. "An Hour Before It's Dark"
iii. "Every Cell"
iv. "Angels on Earth"