Die still vor sich hin wabernde Provokation
Plötzlich ist der Krautrock wieder da:
Zwei großartige britische Alben experimentieren mit Elementen dieser speziell westdeutschen Rockvariante.
Wahrscheinlich war es nur eine Frage der Zeit, bis aus Ignoranz Respekt entstehen konnte. Im modernen Popsystem, in dem Innovationsschübe nur noch in Mikroschritten und Subgenres geschehen, entwickelt sich Neues fast ausschließlich durch Umdeutung von bereits bestehenden Zitaten. So rücken zurzeit blasse Männer mit strähnigen Haaren in den Mittelpunkt avancierter Popmusik, deren vor mehr als 30 Jahren entstandener, entrückter Synthesizer-Pop bis vor kurzem noch sehr gering geschätzt wurde . Mit Ausnahme von Kraftwerk verschwanden Protagonisten des Krautrock wie Faust, Amon Düül II oder Popol Vuh als bizarre Spezialisten im Nebel ihrer endlos dahinwabernden Songs, in denen manchmal zwölf Minuten lang wenig mehr passierte, als dass jemand die immer gleichen Akkorde auf einer Sitar spielte. Vielleicht zwitscherte ab und zu noch ein Vogel.
Obwohl sich die Krautrockbands im Sound stark unterschieden, war die Grundkonstellation stets gleich: die klassische Rockkonfiguration aus Gitarre, Bass und Schlagzeug wurde durch Synthesizer oder exotische Instrumente aus Indien oder Afrika erweitert, wohingegen auf Gesang meist verzichtet wurde. Stattdessen trugen die Stücke Gaga-Namen wie "Requiem für einen Wicht" oder quasi-cineastische Beschreibungen: "Wie der Wind am Ende einer Straße". Experimenteller und exzessiver Drogengebrauch (Bands des Hamburger Krautrock-Labels Brain Records beschwerten sich, dass ihnen aus dem Umfeld des Managements LSD in die Cola geschüttet worden sei) führte zu seltsamen Soundexperimenten, die dem Krautrock den Ruf des verkifften älteren Bruders des britischen Art-Rocks von David Bowie und Roxy Music eintrugen.
Derartig bestraft, lag der Krautrock lange Zeit auf einem der letzten Plätze im Referenzkanon ästhetischer und musikalischer Inspirationsquellen. Doch wie so oft im Pop, schlägt Missachtung plötzlich in Ehrfurcht um, im konkreten Fall in Ehrfurcht vor der experimentellen, auf dem Prinzip der Improvisation basierenden Musik. Bands wie Oasis, The Foals oder MGMT beriefen sich jüngst auf das Genre, das sich aus rein aus Westdeutschland stammenden Bands generierte, die von den späten sechziger Jahren bis Ende der siebziger Jahre experimentellen Rock spielten.
Auch wenn sich die Krautrock-Anleihen bei diesen Bands kaum finden lassen, bietet die Offenheit des Krautrocks einen Ansatz, der sich nun in zwei besonders guten und sehr unterschiedlichen Alben niederschlägt. Während der Engländer Henry Smithson unter dem Namen "Eine Kleine Nacht Musik" (Modular, 2008) voller Ehrfurcht die Klangwelten nachspielt, baut der Ire David Holmes Glockenspiel, Synthesizer und Mellotron in klassische Songstrukturen ein.
Holmes, der durch seine Soundtracks ("Out of Sight", "Ocean's Eleven") für Steven Soderbergh bekannt wurde, singt selbst und ergänzt Glockenspiel und Drum-Computer durch eine psychedelisch inspirierte Gitarre, was dem Ganzen einen Schwung verleiht, der im Original nicht immer vorhanden war. Leider versteht er Krautrock nicht als Idee, sondern als reines Sound-Archiv für seine Midtempo-Songs. Sein kontrolliertes Strophe-Bridge-Refrain-Pattern behindert zumindest den Einfallsreichtum und das Ungeplante des Krautrocks. Interessanterweise zitiert Holmes in "The Holy Pictures" (Mercury, 2008) nicht nur Elemente des Krautrock sondern auch die Rave-Musik der achtziger Jahre, als englische Bands wie Primal Scream oder Charlatans hymnische Refrains mit Gitarren und Synthesizern mischten. Interessant deswegen, weil Rave die erste Musikwelle war, die sich explizit auf Krautrock und dessen technische Innovationsfreude bezog, wenn sie ihre Alben von DJs wie Andrew Weatherall produzieren ließen.
Obwohl Holmes versucht hat, viele Originalinstrumente zu benutzen und sein Album nicht aus Samples zusammenbastelte, sondern einspielte, erscheint sein Krautrock-Entwurf teilweise seltsam glatt und kalt zusammengebaut, wenn man ihn in Bezug zu "Eine Kleine Nacht Musik" setzt, das Henry Smithson mit heutiger Technik, aber im ursprünglichen Krautrock-Geist produziert hat.
Smithson geht aus Fan-Perspektive heran. Monatelang habe er all die alten Platten gehört, schreibt er im Booklet. Und so hielt er sich auch in der Titelgebung sklavisch an das Gaga-Prinzip ("Götterdämmerung", "Finster" oder "Fachgeschäft"), musikalisch jedoch ergänzt er das moderne Substitut der Band-Konstellation - Synthesizer und Laptop - um schrägere Soundeffekte, ein U-Bootsonar-Ping, ein absichtlich verstimmtes Piano und die indische Sitar.
Das Experiment Krautrock dürfte für Smithson vor allem auch als Ventil dienen. Unter dem DJ-Namen Riton legt er die extrem verdichtete und verzerrte Dance-Musik auf, wie sie Justice und Punks Jump Up eingeführt haben. Diese Technik, bei der elektronische Musik wie bei elektrisch verstärkten Gitarren durch Distortions dreckiger und lauter getunt wird, wendet er auch bei "Eine Kleine Nacht Musik" an. Und er führt Beats ein, ohne die digitaler Krautrock allzu leicht im Ambientnebel stecken bleiben würde. Das Entscheidende aber ist das ziellose Spiel mit verschiedenen Formen, das Experiment mit außergewöhnlichen Klängen, der Mut zur Melodie, alles Eigenschaften, die "Eine Kleine Nacht Musik" hervorheben und die auch Smithson gereizt haben, sich etwas anderem zuzuwenden. Bei seinen Sets spielt er meist die verdichtete Elektro-Variante, die ohne jede Dramaturgie wie ein Autopilot auf der höchsten Euphorie- und Abfahrtsstufe steuert. Sehr konkrete und für den Zweck des Exzesses hergestellte Musik, die kaum Freiraum lässt.
Das komplette Gegenteil von Krautrock also, der sich besonders in England einer großen Beliebtheit erfreute (der Legende nach prägte der Radio-DJ John Peel Ende der sechziger Jahre den Namen), insofern passt es ins Bild, wenn das Revival nun von England ausgeht.
Die Frage, warum Krautrock jetzt auf ein Mal wieder hip ist, lässt sich vordergründig leicht beantworten: Da ohnehin gerade die siebziger Jahre popkulturell ausgeschlachtet werden, war er einfach mal wieder dran. So haben Punk- und Disco-Revival dafür gesorgt, dass diese Periode intensiver beleuchtet wird, und auch etwas verloren wirkende Gestalten wie der Krautrock wieder interessieren. Auf der anderen Seite übt er deshalb auf so viele Musiker eine Faszination aus, weil er sich es herausnimmt, vollkommen ohne Druck, ohne Sinn durch Klangwelten zu steuern. Als Kommentar zu einer in allen Bereichen stets auf Höchstleistung getrimmten Gesellschaft bedeutet die Entscheidung für Krautrock eine Möglichkeit zum Freiraum ohne Verpflichtung. In einer Zeit, in der es um die totale Effizienz von Arbeit und Lebensentwurf geht, ist dies eine manchmal eher still vor sich hin wabernde, aber nicht zu unterschätzende Provokation.
Quelle: http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/464871
Links zu den Alben:
David Holmes (von dem ich hier schon einiges sehr gutes stehen habe):
http://www.amazon.de/Holy-Pict…674&sr=1-1
Henry Smithson:
http://allmusic.com/cg/amg.dll?p=amg&sql=10:0ifexzukldke
Plötzlich ist der Krautrock wieder da:
Zwei großartige britische Alben experimentieren mit Elementen dieser speziell westdeutschen Rockvariante.
Wahrscheinlich war es nur eine Frage der Zeit, bis aus Ignoranz Respekt entstehen konnte. Im modernen Popsystem, in dem Innovationsschübe nur noch in Mikroschritten und Subgenres geschehen, entwickelt sich Neues fast ausschließlich durch Umdeutung von bereits bestehenden Zitaten. So rücken zurzeit blasse Männer mit strähnigen Haaren in den Mittelpunkt avancierter Popmusik, deren vor mehr als 30 Jahren entstandener, entrückter Synthesizer-Pop bis vor kurzem noch sehr gering geschätzt wurde . Mit Ausnahme von Kraftwerk verschwanden Protagonisten des Krautrock wie Faust, Amon Düül II oder Popol Vuh als bizarre Spezialisten im Nebel ihrer endlos dahinwabernden Songs, in denen manchmal zwölf Minuten lang wenig mehr passierte, als dass jemand die immer gleichen Akkorde auf einer Sitar spielte. Vielleicht zwitscherte ab und zu noch ein Vogel.
Obwohl sich die Krautrockbands im Sound stark unterschieden, war die Grundkonstellation stets gleich: die klassische Rockkonfiguration aus Gitarre, Bass und Schlagzeug wurde durch Synthesizer oder exotische Instrumente aus Indien oder Afrika erweitert, wohingegen auf Gesang meist verzichtet wurde. Stattdessen trugen die Stücke Gaga-Namen wie "Requiem für einen Wicht" oder quasi-cineastische Beschreibungen: "Wie der Wind am Ende einer Straße". Experimenteller und exzessiver Drogengebrauch (Bands des Hamburger Krautrock-Labels Brain Records beschwerten sich, dass ihnen aus dem Umfeld des Managements LSD in die Cola geschüttet worden sei) führte zu seltsamen Soundexperimenten, die dem Krautrock den Ruf des verkifften älteren Bruders des britischen Art-Rocks von David Bowie und Roxy Music eintrugen.
Derartig bestraft, lag der Krautrock lange Zeit auf einem der letzten Plätze im Referenzkanon ästhetischer und musikalischer Inspirationsquellen. Doch wie so oft im Pop, schlägt Missachtung plötzlich in Ehrfurcht um, im konkreten Fall in Ehrfurcht vor der experimentellen, auf dem Prinzip der Improvisation basierenden Musik. Bands wie Oasis, The Foals oder MGMT beriefen sich jüngst auf das Genre, das sich aus rein aus Westdeutschland stammenden Bands generierte, die von den späten sechziger Jahren bis Ende der siebziger Jahre experimentellen Rock spielten.
Auch wenn sich die Krautrock-Anleihen bei diesen Bands kaum finden lassen, bietet die Offenheit des Krautrocks einen Ansatz, der sich nun in zwei besonders guten und sehr unterschiedlichen Alben niederschlägt. Während der Engländer Henry Smithson unter dem Namen "Eine Kleine Nacht Musik" (Modular, 2008) voller Ehrfurcht die Klangwelten nachspielt, baut der Ire David Holmes Glockenspiel, Synthesizer und Mellotron in klassische Songstrukturen ein.
Holmes, der durch seine Soundtracks ("Out of Sight", "Ocean's Eleven") für Steven Soderbergh bekannt wurde, singt selbst und ergänzt Glockenspiel und Drum-Computer durch eine psychedelisch inspirierte Gitarre, was dem Ganzen einen Schwung verleiht, der im Original nicht immer vorhanden war. Leider versteht er Krautrock nicht als Idee, sondern als reines Sound-Archiv für seine Midtempo-Songs. Sein kontrolliertes Strophe-Bridge-Refrain-Pattern behindert zumindest den Einfallsreichtum und das Ungeplante des Krautrocks. Interessanterweise zitiert Holmes in "The Holy Pictures" (Mercury, 2008) nicht nur Elemente des Krautrock sondern auch die Rave-Musik der achtziger Jahre, als englische Bands wie Primal Scream oder Charlatans hymnische Refrains mit Gitarren und Synthesizern mischten. Interessant deswegen, weil Rave die erste Musikwelle war, die sich explizit auf Krautrock und dessen technische Innovationsfreude bezog, wenn sie ihre Alben von DJs wie Andrew Weatherall produzieren ließen.
Obwohl Holmes versucht hat, viele Originalinstrumente zu benutzen und sein Album nicht aus Samples zusammenbastelte, sondern einspielte, erscheint sein Krautrock-Entwurf teilweise seltsam glatt und kalt zusammengebaut, wenn man ihn in Bezug zu "Eine Kleine Nacht Musik" setzt, das Henry Smithson mit heutiger Technik, aber im ursprünglichen Krautrock-Geist produziert hat.
Smithson geht aus Fan-Perspektive heran. Monatelang habe er all die alten Platten gehört, schreibt er im Booklet. Und so hielt er sich auch in der Titelgebung sklavisch an das Gaga-Prinzip ("Götterdämmerung", "Finster" oder "Fachgeschäft"), musikalisch jedoch ergänzt er das moderne Substitut der Band-Konstellation - Synthesizer und Laptop - um schrägere Soundeffekte, ein U-Bootsonar-Ping, ein absichtlich verstimmtes Piano und die indische Sitar.
Das Experiment Krautrock dürfte für Smithson vor allem auch als Ventil dienen. Unter dem DJ-Namen Riton legt er die extrem verdichtete und verzerrte Dance-Musik auf, wie sie Justice und Punks Jump Up eingeführt haben. Diese Technik, bei der elektronische Musik wie bei elektrisch verstärkten Gitarren durch Distortions dreckiger und lauter getunt wird, wendet er auch bei "Eine Kleine Nacht Musik" an. Und er führt Beats ein, ohne die digitaler Krautrock allzu leicht im Ambientnebel stecken bleiben würde. Das Entscheidende aber ist das ziellose Spiel mit verschiedenen Formen, das Experiment mit außergewöhnlichen Klängen, der Mut zur Melodie, alles Eigenschaften, die "Eine Kleine Nacht Musik" hervorheben und die auch Smithson gereizt haben, sich etwas anderem zuzuwenden. Bei seinen Sets spielt er meist die verdichtete Elektro-Variante, die ohne jede Dramaturgie wie ein Autopilot auf der höchsten Euphorie- und Abfahrtsstufe steuert. Sehr konkrete und für den Zweck des Exzesses hergestellte Musik, die kaum Freiraum lässt.
Das komplette Gegenteil von Krautrock also, der sich besonders in England einer großen Beliebtheit erfreute (der Legende nach prägte der Radio-DJ John Peel Ende der sechziger Jahre den Namen), insofern passt es ins Bild, wenn das Revival nun von England ausgeht.
Die Frage, warum Krautrock jetzt auf ein Mal wieder hip ist, lässt sich vordergründig leicht beantworten: Da ohnehin gerade die siebziger Jahre popkulturell ausgeschlachtet werden, war er einfach mal wieder dran. So haben Punk- und Disco-Revival dafür gesorgt, dass diese Periode intensiver beleuchtet wird, und auch etwas verloren wirkende Gestalten wie der Krautrock wieder interessieren. Auf der anderen Seite übt er deshalb auf so viele Musiker eine Faszination aus, weil er sich es herausnimmt, vollkommen ohne Druck, ohne Sinn durch Klangwelten zu steuern. Als Kommentar zu einer in allen Bereichen stets auf Höchstleistung getrimmten Gesellschaft bedeutet die Entscheidung für Krautrock eine Möglichkeit zum Freiraum ohne Verpflichtung. In einer Zeit, in der es um die totale Effizienz von Arbeit und Lebensentwurf geht, ist dies eine manchmal eher still vor sich hin wabernde, aber nicht zu unterschätzende Provokation.
Quelle: http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/464871
Links zu den Alben:
David Holmes (von dem ich hier schon einiges sehr gutes stehen habe):
http://www.amazon.de/Holy-Pict…674&sr=1-1
Henry Smithson:
http://allmusic.com/cg/amg.dll?p=amg&sql=10:0ifexzukldke