Jean Michel Jarre Alben 1972 – 2004

 
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Jean Michel Jarre Alben 1972 – 2004

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Gepostet: 04.06.2008 - 10:34 Uhr  ·  #1
Jean Michel Jarre Alben 1972 – 2004

Deserted Palace
(1972)
Ehe Jean Michel Jarre mit "Oxygene" die Musikwelt erobern sollte, gab er sich skurrilen elektronischen Experimenten hin. "Deserted Palace", das erste richtige Album Jarres aus dem Jahre 1972 (vorher hatte er das Stück "La Cage" veröffentlicht), wurde ursprünglich nur in Frankreich und als Demo in den USA veröffentlicht, erst im Zuge des neuen Ruhmes Jarres, wurde es dann später auch dem Rest der Welt vor die Füße geworfen.

Um es kurz und schmerzlos zu machen: "Deserted Palace" ist allein etwas für eingefleischte Jarre-Enthusiasten, die unbedingt jedes Album des Franzosen besitzen wollen.
Die sehr kurzen Lieder auf dem Album haben so lustige Titel wie "Poltergeist Party", "Exasperated Frog" oder "Iraqi Hitch Hiker", dementsprechend klingen diese Lieder auch. "Deserted Palace" macht den Eindruck einer Semesterarbeit eines Studenten der elektronischen Musik. Melodiegefühl und schwebende Leitthemen wie in den bekannten Werken Jarres sucht man hier vergeblich. Statt dessen bekommt man knapp 33 Minuten lang elektrische Klangtüfteleien geboten, die mitunter nur entfernt an Musik erinnern.

1/15 Punkt

Les granges Brûlées
(1973)

Nach dem Debutalbum schrieb Jarre den Soundtrack zum Film "Les granges Brûlées". Das entsprechende Album dazu folgt im Stil "Deserted Palace": man bekommt elektronische Klangspielereien geboten, hier und da den Anflug einer Melodie, ansonsten aber auf knapp 28 Minuten allerlei Kopfschmerz verursachendes Gefiepe und Gezische.

Wie schon bei "Deserted Palace" sollten wirklich nur absolute Hardcore Die-Hard Jean Michel Jarre Fanatiker in Betracht ziehen, sich "Les granges Brûlées" tatsächlich antun zu wollen. Die ersten beiden Alben Jarres sind lediglich experimentelle Arbeiten. Sie haben nichts mit dem späteren Stil zu tun und wirken wie skurrile Kuriositäten im Gruselkabinett nervtötender Musik.

Einzig erwähnenswert ist die Tatsache, daß man auf "Les granges Brûlées" tatsächlich schon eine erste Melodie entdecken kann, die Jarre 13 Jahre später für "Rendez-Vouz" verwenden sollte. "Le Juge" spielt das Thema, das 1986 mit der Laserharfe im neuen Umfeld gespielt wurde. Auch kann man hier und da schon erahnen, wohin es mit Jarre mal gehen wird. Aber selbst das stellt keinen echten Grund dar, sich das Album anzutun.

3/15 Punkte

Oxygene
(1976)
Mancher mag sich wohl wundern, was Jean Michel Jarre auf einer Website zu suchen hat, die Progressive Rock zum Thema hat. Progressive Musik ist ein weitläufiges Genre und nicht unbedingt an bestimmte Instrumente oder Albenformate gebunden. Weitflächige Kompositionen, die normale Radiomusik transzendieren, können genauso auf elektronischem oder synthetischem Wege umgesetzt werden.

In der Tat gibt es einige Gruppen, die elektronische Musik gespielt haben und spielen und durchaus dem progressiven Zweig der Musik zuzuordnen sind. Besonders prominent sind natürlich die deutschen Vertreter der Berliner Schule wie Tangerine Dream oder auch Ashra. Aber auch eine Formation wie Kraftwerk hat nachhaltig beeinflußt. Und doch müssen sie sich letztlich alle dem französischen Bombastmusiker Jean Michel Jarre beugen. Denn während Tangerine Dream z.B. bis zur Mitte der 70er Jahre zwar sehr experimentierfreudig und innovativ waren, waren sie ebenso schwer greifbar für die meisten Menschen. Kraftwerk pflegten und hegten ein sehr maschinelles Image, das bis hin zur Sterilität auch mal ging und die Maschine in der Musik teilweise über den Menschen stellte.

Jean Michel Jarre beschritt andere Wege. Genaugenommen ist "Oxygene" nicht sein Debutalbum, hatte er doch 1972 bereits "Deserted Palace" und 1973 den Soundtrack zum Film "Les granges Brûlées" veröffentlicht. An anderer Stelle mehr dazu. "Oxygene" aber wurde zum Meilenstein und Markenzeichen für Jarre, für elektronische Musik, für elektronische Musik vor allem, die an sich nicht wirklich radiotauglich war, aber gleichzeitig die Menschen auf eine Weise erreichte, von der die deutschen Gruppen bisher nicht mal träumen konnten. 15 Millionen verkaufte Exemplare von Oyxgene bis zum heutigen Tage legen davon Zeugnis ab.

Jean Michel Jarre ist, der Nachname verrät es fast von selbst, kein geringerer als der Sohn des weltberühmten Komponisten Maurice Jarre, der u.a. die Filmmusik zu solchen Werken wie "Dr. Schiwago" oder "Lawrence von Arabien" komponierte. Jean Michel Jarres Vater Maurice spielte aber keine große Rolle in seinem Leben, entschied sich Maurice Jarre Mitte der 50er Jahre doch dazu, Frau und Kind zu verlassen und in die USA überzusiedeln, während Jean Michel Jarre mit seiner Mutter zurück in Frankreich blieb.

Jean Michel Jarre studierte klassisches Piano, doch sein Interesse für neuere Musikformen zeigte sich recht früh. So suchte er, kaum zwanzig geworden, die Nähe zu den Großmeistern der elektronischen Musik jener Tage, u.a. Karlheinz Stockhausen in Deutschland und vor allem Pierre Schaeffer in Frankreich. Beim von Schaeffer geleiteten Groupe de Recherches Musicales blieb Jarre knappe drei Jahre, ehe er endgültig eigene Wege einschlug. Bei Schaeffer machte Jarre Bekanntschaft mit der musique concrète, die Schaeffer erfunden hatte. Musique concrète verwendet Tonbandaufnahmen, um daraus Collagen und Verfremdungen zu bilden, die schließlich zu ganz neuen Musikwerken werden. Jarre war sich in dieser Zeit aber auch nicht zu schade, um Jingles und Werbemusik zu komponieren. So u.a. für Pepsi oder Nestlé.

So ausgebildet und zwei recht obskure Alben im Gepäck machte sich Jarre 1976 schließlich daran, das Genre der elektronischen Musik herunter vom Thron des allzu elitären und entrückten zu holen und direkt massenkompatibel zu machen. Jarres erklärtes Ziel war, Musik zu erschaffen, die Gefühle weckt, die die Menschen auf emotionaler Basis anspricht und kein Handbuch benötigt, um dem Publikum die Absichten des Komponisten zu erklären, während irgendein Zwölftonstück gnadenlos vor sich hinspielt.

Und man mag von "Oxygene" halten, was man will, Jean Michel Jarre erreichte sein Ziel definitiv. Ohne wirkliches Konzept, ist "Oxygene" blubbernde, zischende, immer aber sanft dahinströmende Musik, dessen ersten drei Stücke nahtlos ineinanderübergehene Reisen ins elektronische Traumland sind, in dem man Gedanken völlig frei schweifen lassen kann. Die ehemals zweite Seite der LP wird dann vom sicherlich bekanntesten und wohl auch erfolgreichsten elektronischen Stück Jarres eröffnet. "Oxygene IV" mit seiner Radiofreundlichkeit ist für manche gewiß eine notorische Hitsingle geworden, sie ist auf jeden Fall sehr eingängig geraten und ebnet den Weg für die etwas sperrigeren Stücke, die folgen, die sich anfangs sehr sphärisch, beinahe luftig zeigen, langsam aufbauend und meditativ gehalten, ehe plötzlich mit Stereoeffekten garnierte Sequenzerbeats das Tempo anziehen. Der Schluß von "Oxygene" zeigt sich da eher etwas betulich, mit Brandungsgeräuschen und Quietscheentchen, das wohl eher eine Möwe sein soll, aber am Ende halt einfach nur quietscht.

Oxygene ist ohne Zweifel einer der Klassiker der elektronischen Musik. Und selbst wenn einige bei Jarre die Augen verdrehen oder es als seichte Fahrstuhlmusik abtun, letztlich ist "Oxygene" das Album, das elektronische Musik wohnzimmertauglich gemacht hat. Ein echter Meilenstein des Genres, der auch seine Auswirkungen auf andere Musiker und Bands hatte, die vor Jarre schon elektronische Musik veröffentlicht hatten. So wurden auch Bands wie Tangerine Dream in der Folge eingängiger.

Oxygene, als Meisterwerk, hat aber, wie oben schon angedeutet, auch seine Schwachpunkte, vor allem die zweite Hälfte kann nicht immer das Niveau der ersten vier Stücke halten. Etwas, was sich seltsamerweise in späteren Werken ebenfalls fortsetzen sollte.

"Oxygene" ist übrigens mein allererstes jemals gekauftes Album, man mag mir also verzeihen, wenn ich vielleicht nicht ganz objektiv erscheine. Ich besitze es nun seit über 20 Jahren und finde das Album nach wie vor genauso gut und frisch wie ehedem. Es zeigen sich trotz des Alters des Albums keine Abnutzungserscheinungen. Jarres Musik auf "Oxygene" ist zeitlos. Ein Franzose hatte die Welt der elektronischen Musik kräftig erschüttert. Was ursprünglich von Francis Dreyfus, einem Freund Jarres, in einer Auflage von 50.000 Stück gepreßt wurde, geriet zum Millionenseller und Startschuß des Disques Dreyfus Labels, auf dem für lange Zeit alle weiteren Alben Jarres erscheinen sollten. Jarre selbst hatte sein Erfolgsrezept gefunden, das als Blaupause für die nächsten Alben dienen sollte.

13/15 Punkte

Equinoxe
(1978)
Nach dem recht überraschenden Welterfolg von "Oxygene" hatte Jean Michel Jarre natürlich keinen Grund, sein musikalisches Rezept zu ändern. Es dauerte zwei Jahre bis ein neues Album von Jarre auf den Markt kam. Jarre war seit "Oxygene" ein reicher Mann und konnte es sich leisten, sich alle Zeit zu nehmen, die ein neues Album brauchte. Dazu hatte er auch noch sein eigenes Privatstudio aufgebaut, das in Zukunft Aufnahmestätte für die weiteren Alben werden sollte.

Einige neue Instrumente wurden für das Album entwickelt, so wie Jarre die Synthesizer der Neuzeit in direkter Nachfolge der Tradition solcher Instrumente wie Geigen oder Klaviere sieht. Früher wurden Stradivaris gebaut, um damit musikalische Ideen Wirklichkeit werden zu lassen, jetzt waren es eben Synthesizer, sozusagen die Stradivaris der Neuzeit. Mit dem großen Unterschied jedoch, so Jarre, daß Synthesizer keinen festen, unveränderlichen Klang haben, sondern die große kreative Freiheit bieten, Klänge zu erschaffen, die so in der Natur nicht vorkommen oder von keinem akustischen Instrument reproduziert werden können, weshalb Jarre auch wenig Sinn darin sieht, Synthesizer zu benutzen, um damit Geigen oder Klaviere zu imitieren.

"Equinoxe" setzt im Großen und Ganzen die Klangwelt von "Oxygene" fort, mit dem Unterschied jedoch, daß es diesmal ein dahinterstehendes Konzept gab, den Ablauf eines Tages nämlich. "Equinoxe" selbst bezeichnet übrigens die Tag-und-Nacht-Gleiche.

Das Album zeigt sich vielseitig, ein fanfarenartiger Beginn leitet in einen sehr besinnlichen zweiten Teil über, der sanft, beinahe zärtlich dahinfließt und die Ohren schmeichelt, während der dritte Teil beinahe fröhlich vor sich hinsprudelt, ehe dann im vierten Teil elektronische Rhythmen einsetzen und die Musik bombastischere Züge annimmt. Es folgt die obligatorische Single, die wie immer das erste Lied der zweiten LP-Seite darstellte, unterlegt diesmal mit Donnerklängen und treibendem Rhythmus, der für die nächsten beiden Lieder den Grundstock legt. "Equinoxe" verliert im Gegensatz zu "Oxygene" bis kurz vor Schluß nie an Klasse und Schönheit, wo "Oxygene" dann und wann etwas langweilig geriet, kann "Equinoxe" wunderbar unterhalten.

Doch letztlich geht dem Album kurz vor der Zielgeraden etwas die Puste aus, ein seltsames Phänomen bei Jarre. Es gibt noch ein skurril-lustiges Intermezzo im Regen, das mit seiner Marschkapellenatmosphäre genau kurz genug ist, um nicht auf die Nerven zu gehen, ehe dann das zuvor noch brausende und fröhliche Thema der Single "Equinoxe 4" eher melancholisch dahingeschmiert wird, so als wäre der Tanzsaal endgültig leer, Papierhüte liegen zertrampelt auf dem Boden, kalter Rauch hat sich unter der Decke gesammelt und der Keyboarder klimpert mit letzter Kraft noch ein wenig herum. So ist "Equinoxe 8" leider eine Enttäuschung geworden und kein besonders schönes Ende für ein bis dahin perfekt gespieltes und umgesetztes Album, das sicherlich zum allerbesten gehört, was Jarre jemals aufgenommen hat. Die Hörer in aller Welt dankten es ihm, indem "Equinoxe" bis heute mehr als 10 Millionen Mal über die Ladentische ging.

Für mich ist "Equinoxe" auf jeden Fall das beste Album Jean Michel Jarres. Eingängige elektronische Musik, die breitwandig komponiert ist und über lange Strecken Strukturen und Stimmungen aufbaut, kann nicht besser gemacht werden. Hätte es nicht den deutlichen Knick ganz am Schluß wäre es perfekt gewesen. So aber…

14/15 Punkte

Magnetic Fields
(1981)
Jean Michel Jarre hatte seinen Ruf zementiert. Zwei sehr erfolgreiche Alben zierten seine Musikerlaufbahn. Das Rezept funktionierte, und das trotz Punk oder anderer Umbrüche in der Musik, die den Progressive Rock endgültig von der musikalischen Bühne gefegt hatten.

"Magnetic Fields" setzt praktisch nahtlos die Linie von "Oxygene" und "Equinoxe" fort, gerade mit so vielen Neuerungen (erste digitale Synthesizer fanden Einsatz) gespickt, daß die Musik interessant bleibt und anders klingt, ohne dabei die Stärken der bisherigen Alben aufs Spiel zu setzen.

Erstmalig beherrscht eine fast 18minütige Suite die erste Hälfte des Albums, aber genauer betrachtet sind es eher drei eigenständige Lieder, die allerdings nahtlos ineinander übergehen. Der Beginn von "Magnetic Fields 1" ist diesmal treibend und pulsierend, während der Mittelteil des Stückes eine befremdliche, seltsame und entrückte Stimmung annimmt. Erstmalig experimentiert Jarre auch mit menschlicher Sprache und setzt einige Samples ein. Die etwas mysteriöse Atmosphäre wird dann allerdings gnadenlos von einem Düsenjet weggefegt, der den erneut treibenden Schlußteil von "Magnetic Fields 1" einleitet.

Es waren übrigens genau solche Stücke wie "Magnetic Fields 1", die meine Vorliebe für lange Lieder weckten. Damals wußte ich noch nicht einmal, daß es so etwas wie Progressive Rock überhaupt gibt, das änderte sich kurze Zeit später. So kann Jarre also auch zum Progressive Rock führen…

Zurück zum Album: Die Single eröffnet wie immer die zweite Hälfte des Albums, sie ist natürlich überaus eingängig geraten, sehr flott diesmal, um einiges schneller als die beiden bisherigen Singles, ehe es dann etwas sperriger wird, wenn Schienengeräusche ein etwas seltsames Lied einleiten. Vielleicht huldigt Jarre hiermit auch seinem ehemaligen Mentor Pierre Schaeffer, der bereits 1948 eine Musikcollage aus Zuggeräuschen erstellt hatte, wie auch immer, "Magnetic Fields 3" ist eher besinnlich gehalten, im direkten Kontrast zur vorherigen Single. Früher hatte mich der spieluhrartige Synthieklang, der das ganze Lied über zu hören ist, immer gestört, heutzutage halte ich das Lied für eine gelungene Überleitung zum nächsten Stück, das mit elektronischen Rhythmen, sanften Synthieklängen und Vocodereinsatz den Ohren wieder schmeichelt. Und um das Zugthema abzuschließen, mündet das Lied in das Geräusch eines vorbeirauschenden Schnellzuges (den Jarre aus dem Geräusch eines sich bewegenden Druckerkopfes herausgezaubert hat), anschließenden Bahnhofsgeräuschen und einer sich öffnenden (oder schließenden) hydraulischen Zugtür.

Wunderbar, "Magnetic Fields" ist damit erneut ein Meisterwerk von Jarre geworden. Mal sehr eingängig, mal experimentierfreudig, großflächig, es nimmt sich Zeit… aber halt, was ist das? Es kommt noch etwas? Aha… ein junger Mann setzt sich an seine Bontempiorgel, drückt einen Knopf an seinem Rhythmuscomputer, holt das Notenblatt mit den Farbschlüsseln hervor und spielt mit einem Finger etwas hakelig einen Rumba… Hmmm…

Mir persönlich ist es ein Rätsel, was sich Jarre nun genau bei "Magnetic Fields 5" aka "The Last Rumba" dachte. Das Lied ist in gewisser Weise so bescheuert, daß es schon wieder gut ist. Vielleicht besonderer Humor? Jedenfalls mag das Lied so ganz und gar nicht zum Rest der Musik passen. Aber sei's drum. Es ist kurz, man muß es sich nicht anhören und im Zeitalter von CD oder gar MP3 kann man es auch bequem weglassen. Seltsamerweise höre ich es mir dann doch immer wieder mit an.

So oder so ist "Magnetic Fields" auch mit dem letzten Stück ein weiteres sehr gelungenes Album von Jarre geworden, für mich zählt es neben "Oxygene" und "Equinoxe" zu den großen Klassikern des Franzosen, der in der Folgezeit von seinem Erfolgsformat teilweise massiv abweichen sollte.

13/15 Punkte

The Concerts In China
(1982)
Der Studiomusiker Jean Michel Jarre wird immer wieder auch vom Livemusiker kontrastiert. Jarres erster öffentlicher Auftritt im Jahre 1979 auf dem Pariser Place de la Concorde geriet zum gigantischen Massenspektakel. Jarre zelebriert live seine Musik, benutzt Gebäude und ganze Stadtteile als Kulisse, unterstützt von zahlreichen technischen Hilfsmitteln und das ganze auch noch allermeist völlig kostenlos für die Zuhörer, die dementsprechend in wahren Massen zu den Großereignissen pilgern.

1981 schließlich wurde Jarre nach China eingeladen. Damit war er der erste zeitgenössische westliche Popmusiker, der nach China durfte. Jarres Musik bietet sich dafür aber auch an: völlig unpolitisch, ohne Texte, allein darum bemüht, Gefühle aufzubauen und Stimmungen zu erzeugen, geriet das Zentralkommitee in China mit Jarre garantiert nicht in Gefahr, unerwünschte politische Inhalte einsickern zu lassen. Und trotzdem war das Publikum bei Jarres Konzerten handverlesen, was Jarre selbst enorm störte, so daß er dazu überging, selbst einige Tickets aufzukaufen und Leuten auf der Straße zu geben, so daß das Publikum wenigstens etwas gemischter war.

"The Concerts In China" ist also das musikalische Zeugnis dieser Reise. Allerdings heftig im Studio nachbearbeitet, weil die Liveaufnahmen aus China nicht wirklich immer tauglich waren.
Und im Gegensatz zu den meisten anderen Livealben anderer Musiker bot Jarre immerhin auch reichlich komplett neues Material, teilweise sogar mit dem Pekinger Symphonieorchester eingespielt. Während "Orient Express" noch ziemlich beliebig klingt, sind "Arpegiator" und "Fishing Junks at Sunset" sehr gut gelungen, letzteres ist ein Tribut an die traditionelle chinesische Musik. Nun kenne ich diese nicht genau genug (gar nicht eigentlich), um beurteilen zu können, inwiefern Jarre den klassischen chinesischen Musikformen huldigt, auf jeden Fall gewinnt es durch die für westliche Ohren sehr ungewohnte Instrumentierung eine ganz eigene Note.

Jean Michel Jarre präsentiert aber auch viele seiner beliebten Hits natürlich, allerdings live (oder wo immer die Aufnahmen schließlich stattfanden) in etwas anderer Form. So gerät das ehemals treibende Intro zu "Magnetic Fields 1" zur Nummer in Zeitlupe, das ganz langsam nur Stimmung aufbaut und in dieser Form auch überzeugen kann. Einiges mag auf dem Album in reiner Audioform jedoch nicht ganz funktionieren, wie z.B. das seltsame Ping-Pong Duell das man mittendrin im Album hören kann, wer weiß was dazu live auf der Bühne zu sehen war. Eine Premiere ist dann das Stück mit der Laserharfe bzw. Laser Harp, die damals nur in einer Art Betaversion vorlag.

Alles in allem ist "The Concerts in China" vielleicht nicht wirklich ein Livealbum, immerhin hört man manchmal Publikumsreaktionen, dazu Einsprengsel aus dem chinesischen Radio oder Ansagen des chinesischen Konzertveranstalters, dafür bietet es aber in gewisser Weise ein "Best Of" der bisherigen Alben, manchmal in recht verfremdeter Form, und eine ganze handvoll völlig neuer Kompositionen, die zwar nicht immer zünden, sondern vielleicht auch eher für ein Livepublikum gedacht waren, aber doch immer wieder auch interessantes bieten. Erstaunlicherweise sind ausgerechnet "Oxygene 4" und "Equinoxe 5" auf dem Album nicht wirklich zu hören, ersteres taucht nur ganz kurz als Mitschnitt aus dem chinesischen Radio auf, dafür wurde die damals aktuelle Single zu "Magnetic Fields" auf über sechs Minuten erweitert.

Die Konzerte in China gerieten zum weiteren großen Erfolg für Jarre. Wie bei so einem Riesenreich nicht anders zu erwarten, wurden die Übertragungen seiner Konzerte von 500 Millionen Leuten gehört. Das Album als solches hat auf jeden Fall seine Reize. Das Füllmaterial und die etwas zu schlichten oder langweiligen Parts halten sich in sehr überschaubaren Grenzen. Neben dem bereits erwähnten "Orient Express" ist "Night in Shanghai" auch etwas mühsam zu hören, "Souvenirs From China" ist vielleicht etwas zu seicht, bildet aber einen netten melancholischen Abgesang auf das Album. Im Großen und Ganzen kann man die Musik mit dem exotischen Touch eines fremden China gut genießen.

11/15 Punkte

Zoolook
(1984)

Noch ehe "Zoolook" das neue Studioalbum von Jean Michel Jarre werden sollte, erzeugte er viel Aufsehen mit seiner Aktion um das Album "Musique pour Supermarche" (Musik für Supermärkte), das 1983 produziert wurde. Es wurde genau eine LP davon gepreßt, diese wurde dann für die Wenigkeit von 10.500 Euro versteigert, während die Rohlinge und Masterbänder unter notarieller Aufsicht zerstört wurden.

Um das Album aber der Öffentlichkeit zugänglich zu machen wurde es dann schließlich auch im Radio in ganzer Länge live übertragen. Mit der von Jarre persönlich gesprochenen Aufforderung, davon einen Mitschnitt anzufertigen. Und genau diese Mitschnitte kursieren auch heute noch als Bootleg.

Zur Musik: die Welt hat nichts verloren, als "Musqiue pour Supermarche" nur einmal verkauft und die Originale zerstört wurden. Interessant ist das Album wohl noch deshalb, weil es vorab schon einen Teil des späteren Albums "Rendez-Vouz" enthielt und "Blah Blah Café" von Zoolook, sowie einen Teil des Stückes "Diva", ebenfalls von "Zoolook". Der Rest besteht aus belanglosem Gedudel oder Klangcollagen.

Was direkt zu "Zoolook" führt. Jean Michel Jarre war mit seinen ersten drei Studioalben überaus erfolgreich gewesen. Alle drei Alben folgten der selben Formel und im Prinzip auch dem gleichen Aufbau. Vielleicht dachte sich Jarre auch deshalb, daß es mal an der Zeit ist, sein Image oder auch die Musik grundlegend zu wechseln. "Zoolook" stellt in vielerlei Hinsicht einen totalen Bruch mit der Vergangenheit dar. Jarre verwendete für das Album eine kaum noch zu benennende Zahl an gesampelten Sprachfetzen, über den Dialekt der Aborigines bis hin zu etwas geläufigeren Sprachen wie Englisch und Deutsch waren unzählige Sprachen dabei. Und wohl auch in der Tradition der musique concrète von Pierre Schaeffer konstruierte Jarre die Stücke auf Zoolook um diese Sprachsamples herum, unterstützt zwar noch von Synthesizern, deren Rolle manchmal aber nur noch marginal war.

Ebenfalls neu war, daß Jarre sich im Studio von anderen Musikern unterstützen ließ. Adrian Belew war dabei, dazu gab es aber auch ein Schlagzeug, einen Bass und tatsächlich auch so etwas wie Livegesang. Dafür holte sich Jarre die amerikanische Avant Garde Künstlerin Laurie Anderson ans Mikrofon.

"Zoolook" kann also 1984 für die damaligen Jarrefans wie ein Kulturschock gewirkt haben. Extrem ungewohnte Töne und Kompositionen drangen aus den Lautsprechern. Und leider funktionieren nicht alle davon.

Aber zuerst zum positiven: gleich das erste Stück "Ethnicolor 1" ist zwar für Jarreverhältnisse extrem fremd und anders, aber dabei auch großartig geraten. Die diversen Sprachfetzen sind sehr geschickt und passend zusammengesetzt, um daraus Musik zu erzeugen, wenn in der zweiten Hälfte dann der Bass und das Schlagzeug hinzukommen, gewinnt die Musik eine bisher bei Jarre nicht gekannte Dynamik.

Doch dann folgt mit "Diva" auch gleich der erste Tiefschlag. Laurie Anderson mag ja eine gefeierte Künstlerin sein - ihr Gesang in einer Art Phantasiesprache auf "Diva" nervt jedenfalls einfach nur, das Lied schleppt sich elend lang dahin und langweilt dabei gnadenlos. Das ist sicherlich sehr gewagt, sehr mutig, praktisch wie eine eiskalte Dusche nach drei Alben voll musikalischer Harmonie und Schönheit, aber eben bei allem Wagemut auch einfach nur schlecht.

Das Titelstück "Zoolook" kann man immerhin als Lied bezeichnen, aber in letzter Konsequenz klingt es zu seicht, die verwendete Melodie ist an Einfachheit kaum noch zu unterbieten. Der Einsatz der Sprachsamples ist natürlich innovativ, zumindest aber gekonnt und sicherlich war es sehr mühsam, aus den Sprachfetzen eine Musikcollage zu bilden, schade aber ist, daß die Komposition als solches ein wenig humpelt.

"Wooloomooloo" gibt sich düster und mysteriös, es passiert aber auch nicht viel, eine Minute davon hätte auch gereicht. Dafür nimmt "Zoolookologie" an Fahrt auf und ist gut gelungen, sehr synthetisch, sehr modern und hip für damalige Verhältnisse, mehrere Lichtjahre von den bisherigen musikalischen Welten eines Jean Michel Jarre entfernt, aber auf gewisse Weise lustig und amüsant.

Leider ist "Blah Blah Cafe", das schon auf "Musique pour Supermarche" nervte, auf "Zoolook" genauso mißraten. Es ist schlecht. Auf mich wirkt es wie ein musikalischer Slapstick, der nicht zündet. Das abschließende "Ethnicolor 2" kann das Album dann auch nicht mehr retten, es ist zwar nicht so garstig wie "Blah Blah Cafe" aber auch weit davon entfernt, wirklich gut hörbar zu sein.

Somit ist für mich "Zoolook", damals wie heute, leider ein Fehlschlag geworden. Das Konzept funktioniert viel zu selten. Die Idee von Jarre war großartig, aufbauend sicherlich auf die Arbeit seiner Mentoren aus frühen Jahren, nur können die Kompositionen diesmal einfach nicht mithalten. So ist "Zoolook" vor allem brillantes Konzept und Idee, aber viel zu selten Musik. Ein sehr gutes und ein anständiges Lied reichen nicht aus, um solche Totalausfälle wie "Blah Blah Cafe" oder endlos lang quälende Extravaganzen wie "Diva" auszubügeln.

Man muß Jarre anrechnen, daß er mutig an die Sache heranging, daß er es wagte, so radikal mit seinem bisherigen Schema zu brechen und einen völlig anderen Jarre auf die Welt loszulassen. Letztlich ist "Zoolook" für lange Zeit das untypischste und fremdeste aller Jarrealben gewesen. Die Wärme und die Harmonie hatten sterilen Computern und Samples Platz gemacht. "Zoolook" wirkt vor allem auch deshalb alles andere als zeitlos. Man kann die 80er Jahre deutlich spüren und hören. Schade. Man hätte aus der Idee mehr machen können.

7/15 Punkte

Rendez-Vouz
(1986)
Wenn "Zoolook" die totale Abkehr der bis dato herrschenden Musikphilosophie von Jean Michel Jarre bedeutet hatte, was leider viel zu oft nur nervte oder langweilte, so stellt "Rendez-Vous" die Rückkehr zum vertrauten Format der ersten drei Alben dar, vielleicht auch als Resultat der Tatsache, daß "Zoolook" ein kommerzieller Flop gewesen war.

Es gibt sie also wieder: die sanft fließenden, mal bombastischen, gerne auch zischenden und blubbernden Lieder. "Rendez-Vous" sollte dabei trotz aller Vertrautheit auch eine Weltpremiere werden. Es war vorgesehen, daß der Astronaut Ron McNair an Bord des Space Shuttles Challenger ein Saxophonstück aufnimmt, das dann in "Rendez-Vouz" eingebaut werden sollte. Ein von Frost zermürbter Dichtungsring an einer der Feststoffraketen der Challenger machte nicht nur dem ersten im Weltraum aufgenommenen Musikstück einen Strich durch die Rechnung. Wie bekannt explodierte die Challenger kurz nach dem Start. Alle sieben Astronauten kamen ums Leben und die amerikanische Raumfahrt hatte ihre zweite große Krise nach dem Apollo 1 Desaster.

Jean Michel Jarre ließ den Saxophonpart dann im Studio aufnehmen, "Rendez-Vouz" wurde in Gedenken an die Astronauten dazu dann, trotz erster Bedenken Jarres, wie vor dem Unglück geplant auch in Houston live aufgeführt. Und in bester Jarre-Manier war es ein gigantisches Spektakel, das Houston als Kulisse für die Musik benutzte und knapp 1,5 Millionen Zuschauer wie ein Magnet anzog.

Zum Album: die Musik ist dramatisch, bombastisch, klassisch, es gibt einen großen Chor, etwas, was Jarre zuvor nie für seine Musik verwendet hatte, neu ist auch der Einsatz der von Bernard Szajner entwickelten Laserharfe, die in einer Betaversion zuvor auf "The Concerts in China" zu hören gewesen war. Hier spielt sie ein elegisches Stück voll Melancholie und klingt sehr gut.

In der Tradition seiner ersten drei Alben folgend, eröffnet die Single die zweite Hälfte des Albums, ehe es wieder etwas experimenteller wird. Die Musik wird von Atemgeräuschen eines Raumanzuges unterlegt, es gibt Stereoeffekte, ehe es dann bei "Ron's Piece" sehr getragen und beinahe düster wird.

"Rendez-Vouz" kann abschließend betrachtet das Malheur mit "Zoolook" beinahe wieder vergessen machen.
Zugegeben: der anfängliche Bombast wirkt manchmal sehr dick aufgetragen, unterstützt von den Chören zumal, aber es funktioniert. Jarre setzt seine klassischen Alben fort, ohne sich selbst gar zu sehr zu kopieren, wenn man von der Tatsache absieht, daß "Rendez-Vouz" die gleiche Struktur wie die ersten drei Alben aufweist.

Die Musik jedenfalls ist Jarre meistens gut oder auch sehr gut gelungen, er hat einige neue Elemente in seine Musik aufgenommen, die diesmal eigentlich alle sehr gut ins Konzept passen, womit "Rendez-Vouz" ein sehr willkommener Zwischenstop in den ansonsten etwas unsteten und konfusen mittleren und späten 80er bis frühen 90er Jahren bei Jarre ist.

12/15 Punkte

Revolutions
(1988)
Bei Revolutions ist mir damals etwas eigenartiges passiert: ich hatte die LP neu gekauft und wollte sie umgehend auf Cassette aufnehmen, damit ich die LP als solches danach schonen kann. Alles lief einwandfrei, nur daß die erste Seite erstaunlich früh zu Ende war, in weniger als 10 Minuten. Wie konnte das sein? Erst dann bemerkte ich, daß ich vergessen hatte, den Geschwindigkeitsregler am Plattenspieler korrekt für die LP einzustellen…

Man mag das vielleicht als symptomatisch für die Musik Jarres auf "Revolutions" betrachten, ich würde nicht so weit gehen. "Revolutions" nimmt sich des Themas Revolution in seinen verschiedensten Spielarten an, über die Industrielle Revolution bis hin zur Technikrevolution im PC-Zeitalter oder den Kampf gegen die Apartheid in Südafrika.

Die komplette erste Hälfte wird von der dreiteiligen Suite "Industrial Revolution" eingenommen. Dem Thema gemäß wählte Jarre für das Stück sehr mechanische und industrielle, eher auch sterile Klänge, ansonsten folgt das Stück auch dem Schema auf dem ersten Teil von "Rendez-Vouz", fanfarenartige Keyboards, Chorgesang und Bombast.

Die zweite Hälfte teilen sich mehrere Lieder. Jarre arbeitet arabische Einflüsse und synthetische Computerstimmen in sein Stück "Revolution, Revolutions" ein, was sehr gut klingt und funktioniert, während solche Sachen wie "Tokyo Kid" oder "Computer Weekend" bestenfalls belanglos sind, im schlimmsten Fall dämlich und nervig klingen. September ist einer Kämpferin gegen die Apartheid in Südafrika gewidmet, die in Paris ermordet wurde, hat einen irgendwie brachial klingenden Rhythmus, der Jarre gut gelungen ist und dazu afrikanische Vokalsequenzen die nicht unbedingt mein Geschmack sind. Das abschließende Stück klingt dann zu plastikhaft und schwülstig für mich.

Was bleibt ist, daß "Revolutions" einige gute Ideen und passend umgesetzte Musikstücke hat, dafür aber auch in Teilen langweilt oder einfach nur überflüssig wirkt. Negativ fällt auf, daß die digitalen Synthesizer bei weitem nicht mehr die Wärme und Lebendigkeit der analogen Urväter aus den 70er Jahren erreichen, weshalb "Revolutions" oft auch sehr steril und blutleer wirkt. Das Album ist Jarre deshalb auch nur leidlich gelungen.

8/15 Punkte

Waiting For Cousteau
(1990)

Das Album ist, wie der Name schon verrät, als Hommage an den Meeresforscher Jacques Cousteau gedacht, der 1990 seinen 80. Geburtstag feierte. Mein Verhältnis zu "Waiting For Cousteau" ist sehr zwiespältig. Doch dazu gleich mehr. Jean Michel Jarre nimmt jedenfalls den Namen des berühmten Forschungsschiffes Cousteaus wortwörtlich: Calypso eben. So ist man doch sehr erstaunt, wenn Calypso Part 1 genau das ist: ein astreiner Calypso mit echten Steel Drums, der fröhlich vor sich hindudelt und furchtbar gute Laune verbreitet. Die Teile 2 und 3 gestalten sich dann etwas konventioneller und irgendwie damit auch belangloser, mir ist es manchmal etwas zu laut oder bombastisch, wo sind nur die feinfühligen Melodielinien der vergangenen Jahre geblieben? Man hat das Gefühl, Jean Michel Jarre möchte seine Musik mit dem Dampfhammer den Leuten eintrichtern und einige Keyboardklänge wirken einfach zu digital und steril.

Ok, Schwamm drüber… als ich damals die CD kaufte war ich natürlich zutiefst begeistert und auch ungeheuer neugierig, als ich sah, daß das Hauptstück der CD, "Waiting For Cousteau", sagenhafte 46:53 Minuten Spieldauer aufweist. Hat Jarre das neue Medium der CD etwa genutzt, um eine monumentale Suite zu schreiben?

Als ich dann die ersten Takte hörte, dachte ich mir, daß der Beginn ja an sich recht gut ist… sphärische Keyboardklänge, sehr sparsam, dazu entfernt etwas elektronisches Blubbern, das wie Wassertropfen wirkt und immer wieder mal ein paar Töne auf dem Klavier dazu. Tja, und dann wartete und wartete ich… nicht auf Cousteau, auch nicht auf Godot, sondern darauf, daß irgendwann mal etwas passiert und so etwas ähnliches wie ein vernünftiges Lied kommt. Es kam nicht.

1990 habe ich das Album "Waiting For Cousteau" gehaßt. Ich hielt mich gelinde gesagt an der Nase herumgeführt, von Jarre hereingelegt und geärgert. Wie konnte man denn zuerst so komische Calypsomusik spielen, die ja noch ganz ok ist an sich, und dann aber die Frechheit besitzen, über fast 47 Minuten einen Klavierton zu variieren? Folgerichtig habe ich "Waiting For Cousteau" danach jahrelang gar nicht mehr gehört. Es war das ungeliebte Stiefkind in meiner Jarresammlung.

Bis ich dann irgendwann doch wieder mal die CD hervorkramte. Sowohl als Mensch als auch im musikalischen Geschmack natürlich gereifter gefiel mir das einst so gehaßte "Waiting For Cousteau" plötzlich ganz gut. Jean Michel Jarre bewies vielleicht mit dem Stück sowohl viel Witz (man wartet eben tatsächlich, daß irgendwann mal etwas passiert, und sei es, daß Cousteau die Tür hineinkommt und den CD Spieler ausmacht) als auch das Geschick, ein an sich sehr entspannendes Stück Ambientmusik zu schreiben.

Als ich "Waiting For Cousteau" nicht als Scherz und bodenlose Frechheit sah, sondern als das, was es ist: ein sehr langes, sehr meditatives und ungeheuer beruhigendes Stück Musik, hatte ich meinen Frieden mit dem Album geschlossen. Letztlich eignet sich das Lied wunderbar dazu, um dabei zu arbeiten, etwas zu schreiben oder versonnen irgendwelchen Gedanken nachzugehen. Großartig wird "Waiting For Cousteau" dadurch nicht, aber auch nicht zum Totalausfall. Es ist eben hauptsächlich funktionale Musik diesmal. Nichts was man hören sollte, wenn man in Melodien schwelgen will. Aber genau das richtige, wenn man die Musik als Untermalung benutzen möchte.

Genau genommen hätte Jarre auch gerne die ersten drei Lieder weglassen können, dann hätte das Album vielleicht sogar viel besser gepasst. So höre ich entweder nur den Calypso oder nur die 47minütige Meditation hintendran. Ob "Waiting For Cousteau" damit den Kauf wert ist? Als Jarrefan könnte man tatsächlich sehr enttäuscht sein. Wer nichts gegen Brian Eno und funktionale Hintergrundmusik hat, bekommt dafür durchaus etwas geboten.

9/15 Punkte

Chronologie
(1993)
Wie kaum ein populärwissenschaftliches Buch zuvor wurde Stephen Hawkings "Eine kurze Geschichte der Zeit" zum Bestandteil der Popkultur, sein Autor in der Folge selbst zum gefeierten Star. Jean Michel Jarres 1993er Werk "Chronologie" huldigt ebenfalls dem Sachbuch, indem es eine musikalische Reise durch Raum und Zeit darstellen soll.

Obwohl "Chronologie" eindeutig in der Tradition der klassischen Jarrealben steht, habe ich bis heute meine Probleme damit. Ich vermisse die Subtilität und das feinsinnige Melodiegefühl der früheren Werke. Auf "Chronologie" wirkt vieles einfach zu beliebig, dann aber auch zu dick aufgetragen und vor allem zu steril. Jarre verwendet zwar noch stellenweise analoge Synthesizer, aber das Gros der Instrumente ist digital. Da hilft es auch nichts, wenn Jarre erstmalig in seiner Musik auch E-Gitarren einsetzt.

"Chronologie" wirkt, ähnlich wie "Revolutions" ein paar Jahre zuvor, sehr blutleer und beinahe steril, nur daß die Lieder plötzlich belanglos auch klingen. Einige Sachen sind dabei immerhin doch noch ganz gut gelungen, so kann mir die Single "Chronologie 4" gefallen, die Melodie geht gut ins Ohr, dafür sind andere Teile überhaupt nicht mein Geschmack, wie das Ravestück zum Beispiel.

Letztlich gehört "Chronologie" zu den Alben Jarres, die ich kaum noch höre. Es leidet unter einer zu klinischen Produktion und Melodien, die, dem Zeitgeist entsprechend, mehr und mehr dem Rhythmus unterliegen und nicht mehr eher behutsam melodisch dahinfließen wie frühere Werke des Franzosen.

6/15 Punkte

Oxygene 7-13
(1997)
Jean Michel Jarres Werke waren in den 80er und 90er Jahren zunehmend digitaler und steriler geworden. Da war es eine echte Wohltat, als sich Jarre entschloß, seinen Klassiker "Oxygene" musikalisch fortzusetzen und dafür die originalen Instrumente zu verwenden, eben jene analogen Synthesizer und Keyboards, die mitunter zwar höllisch schwer einzustellen waren, und wo es heikel war, an zwei verschiedenen Tagen den exakt gleichen Klang zu reproduzieren, dafür aber auch um ein vielfaches organischer, wärmer und lebendiger klangen als die digitalen Nachfahren aus den 80er und 90er Jahren.

Musikalische Fortsetzungen waren mittlerweile auch nichts neues mehr. Mike Oldfield hatte "Tubular Bells" diverse Male neu aufgegossen, warum sollte also Jean Michel Jarre nicht sein "Tubular Bells" in Form von "Oxygene" neu in Szene setzen?

Im Gegensatz zu Oldfield, der für "Tubular Bells II", einfach sein Original lediglich neu interpretierte, arrangierte Jarre "Oxygene" nicht einfach nur um, sondern, wie der Name andeutet, bemühte sich, den Geist des Originals einzufangen, einige Elemente dabei aufzugreifen und musikalisch fortzuführen.

Es ist ihm in mancherlei Hinsicht gelungen. Gelungen ist Jarre definitiv der Einsatz der klassischen Synthesizer, die einen wirklich sofort zurück in die seligen 70er Jahren holen und scheinbar nahtlos an "Oxygene" anküpfen. Nicht wirklich gelungen sind ihm dabei aber leider die Kompositionen. War in den 70er Jahren noch Melodie Trumpf hatte sich das Bild in den 90er Jahren zunehmend Richtung Rhythmus verschoben. Jean Michel Jarre ist davor auch nicht gefeit und begeht den Fehler, zu viele Stücke auf "Oxygene 7-13" dem Zeitgeist zu unterwerfen und mit dominierenden Rhythmen zu unterlegen. Auch sind manche Melodien erneut etwas beliebig geraten, ich frage mich, ob Jarre sein gesamtes Pulver zu der Zeit schon verschossen hatte und einfach keine guten Ideen mehr auf musikalischer Bühne umsetzen konnte.

"Oxygene 7-13" kann noch ganz gut bei "Oxygene 7" "9" und "13" (dem 1997er Quietscheentchenlied) unterhalten. "Oxygene 8" ist gerade so eine nette Single, der Rest jedoch ist einfach beliebiger Durchschnitt. Ich persönlich hätte es besser gefunden, wenn man die beiden Oxygenealben in direkter Folge hätte abspielen können, ohne dabei einen Umbruch zu bemerken, so aber kann man viel zu deutlich hören, welche Musik zeitlosen Charakter hat und welche dem Rhythmusdiktat der 90er Jahre unterliegt. Jarre ist immer dann am besten auf "Oxygene 7-13" wenn er am wenigsten originell ist und "Oxygene" eindeutig zitiert, was schade ist, denn "Oxygene 7-13" erhält dadurch nicht wirklich eine Daseinsberechtigung. Das dachte sich Jarre wohl auch, weshalb es eben auch sehr viel neues gibt, nur daß ausgerechnet die Neuerungen nicht passen. Mir gefällt es jedenfalls nicht. Jarres Stärken bestehen darin, meditative, melodische Reisen ins elektronische Wunderland zu komponieren, wobei der Rhythmus allenfalls die Melodie unterstützt, wenn jedoch der Rhythmus zur dominierenden Kraft gerät, steuert Jarre gefährlich in Richtung Technogewässer.

Somit ist "Oxygene 7-13" zwar um vieles lebendiger und wärmer als die Vorgängeralben geworden, aber in letzter Konsequenz auch beinahe ebenso beliebig und blaß. Den direkten Vergleich mit "Oxygene" hält es niemals stand. Jarre war mutig, sich an eine Fortsetzung seines Klassikers zu wagen. Leider hat er sich dabei zu oft den 90er Jahren unterworfen.

8/15 Punkte

Metamorphoses
(2000)
Wohin soll die Reise gehen, Jean Michel? Jarre hat drei wirklich ausgezeichnete Alben im Portfolio, einige wirklich gute Alben als Bonus und auch einige echte Durchhänger. Über allem ragt das übergroße "Oxygene" empor. Nun ist es als Musiker natürlich immer sehr gefährlich, wenn man mit nur einem Album oder nur einem bestimmten Stil identifiziert wird. Soll man dann auf alle Zeiten sklavisch diesem Stil folgen und seine eigene Entwicklung als Musiker ignorieren? Oder soll man Mut beweisen und konsequent andere Wege einschlagen? Jarre hatte es in der Vergangenheit mit "Zoolook" probiert, was letztlich nur verwirrte und enttäuschte. Nachdem Jarre darauffolgend vermehrt die digitale Technik nutzte, was zu immer sterileren Alben führte, suchte er sein musikalisches Heil in der Vergangenheit, als er sich entschied, mit den Originalinstrumenten aus dem Jahre 1976 "Oxygene" musikalisch in die Neuzeit zu transportieren. Was ihm auch nur leidlich gelang. Wohin soll also die Reise gehen? Was wollte Jean Michel Jarre im bald beginnenden 21. Jahrhundert machen?

"Metamorphoses" als Albumtitel ist gleichzeitig auch Programm. Jarre zeigt sich auf dem Album komplett verwandelt. Man könnte sagen, daß er mit seiner gesamten bisherigen musikalischen Vergangenheit bricht, um einiges konsequenter noch als damals bei "Zoolook". Auf den ersten Blick kann man "Metamorphoses" nicht mal unbedingt als Jarrealbum identifizieren, wäre nicht sein Name und sein Gesicht auf dem Cover abgedruckt, könnte man sich fragen, wer denn diese zwölf elektronischen Stücke zwischen Elektro- und Ethnopop und Avant Garde aufgenommen hat.

Zum ersten Mal hat Jarre mit "Metamorphoses" ein Album produziert, auf dem es echten Gesang gibt, zum ersten Mal wird er auch gleich von einer ganzen Schar Gastmusiker unterstützt, dabei sind u.a. so gänzlich verschiedene Künstler wie Laurie Anderson und Sharon Corr, zum ersten Mal hört man Jarre auch selbst singen. Komme ich zu den Stärken des Albums: Jarre hat es, anders als bei "Zoolook", diesmal geschafft, seine Runderneuerung mit meist sehr interessanten und guten Kompositionen auszustatten. Ausgerechnet der Opener "Je me souviens" ist dabei eines der schwachen Lieder. Nichts gegen Laurie Anderson, wie auch schon bei "Zoolook", aber ihrem Sprechgesang kann ich nichts abgewinnen und das Lied als solches ist auch einfach zu durchschnittlich. Ebenfalls eher ein Reinfall ist das Elektropoplied "Tout est bleu", das mit Handygeräuschen nervt und einen 08/15 Simpelrefrain mit Chorgesang bietet.

Das Niveau des Albums ändert sich gänzlich bei solchen Sachen wie "C'est la vie", das arabische Elemente in die Musik einbaut und mit Natacha Atlas eine gute Sängerin aufbietet. Ebenfalls gelungen ist "Rendez-Vouz à Paris", auf dem Sharon Corr die Violine spielt, etwas kurios wird es, wenn das Lied "Bells" so sehr nach Mike Oldfield klingt, daß man denken könnte, es wäre direkt von "Tubular Bells III" entnommen, es ist schon komisch, daß Oldfield und Jarre, die aus völlig unterschiedlichen Richtungen kommen, sich plötzlich irgendwo in der Mitte treffen…

Wie auch immer: "Metamorphoses" ist zwar alles andere als ein Klassiker Jarres, ich möchte auch mal behaupten, daß es in Retrospektive gesehen irgendwann nicht wirklich zum wichtigen Gesamtwerk des Franzosen zählen wird, es atmet auch zu sehr den aktuellen Zeitgeist mit sehr rhythmusorientierten Liedern, doch Jarre ist es erfolgreich gelungen, sich mehr oder minder neu zu erfinden. Er kommt dabei in Gefahr, die Fans der klassischen Werke ernsthaft vor den Kopf zu stoßen, eröffnet sich dabei aber vielleicht auch Chancen, komplett neue Fans zu gewinnen. Und wenn man dann etwas genauer hinhört, entdeckt man ihn doch, jenen klassischen Jarre, seine typischen Melodien, nur in ein komplett anderes Gerüst gekleidet, vor allem bei den ruhigeren Stücken wie "Millions Of Stars", das gut gelungen ist auch und recht deutlich an "Oxygene" erinnert.

"Metamorphoses" war auch die Grundlage zum gigantischen Millenniumspektakel Jarres am 31.12.1999 (natürlich wissen wir alle, daß das neue Jahrtausend erst am 01.01.2001 begann) bei den ägyptischen Pyramiden, das vor Ort von 120.000 Leuten gesehen und von angeblich zwei Milliarden Menschen am Fernseher verfolgt wurde. Ein Spektakulum in bester Jarremanier war es auf alle Fälle.

Abschließend betrachtet ist "Metamorphoses" ein überraschend gutes Album geworden. Jarrefans der ersten Stunde müssen vielleicht tief Luft holen und sich auf einiges gefaßt machen, akzeptiert man aber die andere Herangehensweise, kann das Album meist gut unterhalten. Es beweist, daß in Jean Michel Jarre doch noch einige Überraschungen stecken.

10/15 Punkte

Sessions 2000
(2002)
Man sollte sich vom Albumtitel nicht täuschen lassen: zwar entstanden die Aufnahmen zu "Session 2000" tatsächlich im Jahr 2000, erschienen ist das ganze aber erst zwei Jahre später - 2002.

Die Lieder auf "Sessions 2000" haben keine eigenen Namen, sondern tragen lediglich das Datum der Entstehung. Jean Michel Jarre hat auch kein normales, reguläres Studioalbum unbedingt aufgenommen, sondern spielt auf "Sessions 2000" spärlich instrumentierten Jazz, hauptsächlich am Klavier, nur am Rande unterstützt von den üblichen elektronischen Spielereien, die man von Jarre gewohnt ist.

Ich kann "Sessions 2000" eigentlich nur als Kuriosum am Rande sehen. Ist Jarre ein Jazzpianist? Jedenfalls sind die Stücke allesamt eher langweilig, sperrig und zäh geworden. Ich bezweifele auch mal, daß es etwas für Jazzenthusiasten ist, für Jarrefans ist es jedenfalls nichts. "Sessions 2000" wird auch nicht einmal in der offiziellen Biographie auf Jarres Website erwähnt. Man wird schon wissen, warum.

Es ist jedenfalls das untypischste Jarrealbum, das man sich vorstellen kann, vielleicht geeignet für irgendwelche Clubs, wo die Gäste bereits so abgefüllt sind, daß sie auf die Musik nicht mehr achten. Zuhause kann man es sich jedenfalls praktisch gar nicht anhören. Kurzum: "Sessions 2000" kann und sollte man getrost ignorieren, vergessen und den Mantel des Schweigens darüber hüllen. Vielleicht wollte Jarre auch nur seine damalige Plattenfirma Sony Music ärgern. Jarre war angeblich sehr unzufrieden mit der Unterstützung des Labels und wollte möglichst schnell die vertraglich zugesicherten Alben produzieren.

3/15 Punkte

Geometry of Love
(2003)
Das Album "Geometry of Love" ist eine Auftragsarbeit für den Pariser Club VIP Room. Demzufolge darf man auf "Geometry of Love" kein typisches Jarrewerk erwarten, statt dessen gibt es eben Lounge Music, irgendwo zwischen Chill Out und Trip Hop.

Ich bin ehrlich gesagt erstaunt. Nach "Metamorphoses" schafft es Jarre erneut, komplett andere Musik aufzunehmen, würde man den Namen auf dem Cover nicht sehen, würde man niemals annehmen, daß der Großmeister des Elektrobombasts ein derart zurückhaltendes, entspanntes, manchmal auch düsteres und dabei sehr schönes Stück Musik aufgenommen hat.

Ob es etwas für typische Jarrefans ist, ist fraglich, jemand, der "Oxygene" und Co. liebt, muß nicht zwangsläufig den doch eher ganz anderen Klängen auf "Geometry of Love" folgen können. Jarres elektronische Spielereien sind hier enorm zurückgeschraubt, stattdessen spielt er viel Piano, und im Gegensatz zu "Sessions 2002" klingt es wunderbar entspannt und melodisch. "Geometry of Love" entpuppt sich als Auftragsarbeit, die ihren Auftrag exzellent ausführt. Die Musik eignet sich ideal zum entspannen, zum nebenbei arbeiten, man kann aber auch der Musik als solches bewußt zuhören, ohne daß sie dabei schwach wirkt. Gut möglich, daß sich von "Geometry of Love" auch Leute angesprochen fühlen, die bisher um Jarre einen großen Bogen machten, weil sie "Oxygene" "uncool" finden. Eifrige Clubgänger und solche, die einfach nur gern elektronisch durchsetzte, meist sehr kontemplative und ruhige Musik mögen, sollten auf jeden Fall "Geometry of Love" eine Chance geben. Für mich ist es Jarres bestes Werk seit langem. Und es ist schön zu hören, daß er sich erfolgreich immer wieder neu erfinden kann.

Das pixelige Cover ist übrigens eine Computerverfremdung eines Portraits der damaligen Verlobten Jarres, der Schauspielerin Isabelle Adjani, die Charlotte Rampling, ebenfalls Schauspielerin und langjährige Ehefrau Jarres, beerbt hatte. Mittlerweile ist diese Beziehung auch wieder Geschichte, scheinbar hat die Geometrie der Liebe bei den beiden dann im Gegensatz zur Musik auf dem Album doch nicht funktioniert.

12/15 Punkte

Aero
(2004)
Zugegeben, die letzten paar Jahre mögen für Fans des klassischen Jean Michel Jarres schwer gewesen sein. Zuerst gab es mit "Metamorphoses" einen verwandelten Jarre, der recht geschickt mehr in Richtung Elektropop/rock-Gefilden wandelte, dann mit dem Kuriosum "Sessions 2000" ein Werk, das man auch sofort wieder vergessen sollte, bis dann mit "Geometry of Love" zwar ein gelungenes Stück Musik folgte, das aber vom typischen Jarresound mehrere Galaxien entfernt war.

Vielleicht dachte sich Jarre auch, daß er mal wieder seine Stammkundschaft bedienen soll. Was auch immer der Grund gewesen sein mag: "Aero" ist ein Best Of Album der etwas anderen Art - nicht zuletzt steht "Aero" für "Anthology of Electronic Revisited Originals".

Jean Michel Jarre hatte seine Musik immer dreidimensional gesehen, nur daß die Einschränkungen der Technik lediglich normalen Stereoton ermöglichten. Mit der Einführung der DVD hat sich dies jedoch geändert, das DVD-Audioformat erlaubt 5.1 Surroundklang und höhere Samplingraten als CD-Audio.

Also hat sich Jarre an die Arbeit gemacht, seine alten Instrumente hervorgeholt, und viele seiner bekanntesten und beliebtesten Klassiker komplett neu eingespielt. Erfahrungen damit hatte er ja schon bei "Oxygene 7-13" gesammelt. Doch "Aero" geht etwas weiter: Jarre hat die Neueinspielungen mit den Originalinstrumenten des jeweiligen Albums von Anfang an als 5.1 Surround geplant, erst später wurde daraus auch ein Stereomix.

Jarre bedient sich hauptächlich bei seinen ersten drei klassischen Alben, "Oxygene", "Equinoxe" und "Magnetic Fields", umrahmt wird das ganze von vier (eigentlich nur drei) neuen Liedern, die dem Aero-Thema folgen. Jarre begibt sich damit auf jeden Fall schon mal auf die sichere Seite, was die Musikauswahl betrifft. Er hat die Stücke für die Aerofassung allerdings nicht sklavisch originalgetreu nachgespielt, sondern subtil im Arrangement angepaßt, es wurden auch neue Einführungen und Überleitungen hinzukomponiert, so daß "Aero" wie aus einem Guß gemacht scheint.

Nun besitze ich leider keine Surroundanlage, kann also zur DVD nicht viel sagen, außer daß der visuelle Teil mit den Augen der französischen Schauspielerin Anne Parillaud (die Isabelle Adjani als Jarres Lebensgefährtin ersetzt hat mittlerweile) nicht wirklich essentiell ist. Bleibt mir also nur die Audio-CD. Und klanglich ist "Aero" eine echte Offenbarung. Ich habe selten, eigentlich noch nie, einen so plastischen und kristallklaren Klang erlebt. Im Vergleich zu den Originalalben wirkt es so, als würden diese in irgendwelchen Pappkartons gespielt werden. Somit ist es schon mal für alle Jarrefans sehr interessant.

Die Änderungen an den Liedern sind meist recht gering, nur gelegentlich fällt es sehr auf, daß Jarre etwas variiert hat, vor allem "Magnetic Fields 1" ist anders geraten, leider auch nicht so gut wie das Original. Es fehlt der Neufassung an Dynamik und Energie, wenn auch der Klang natürlich um ein vielfaches besser ist. Dafür sind andere Sachen auch schöner geraten als im Original noch: "Chronologie 6" habe ich damals nicht so genossen, in der neuen Fassung wirkt es sehr viel besser und auch lebendiger.

Jarre macht bei seinen Neuinterpretationen ausgiebigen Gebrauch von der 5.1 Technik (ich vermute es zumindest). So wurden die Lieder teilweise auch mit zusätzlichen Effekten angereichert, vor allem die Ein- und Überleitungen bieten zahlreiche Gimmicks auf, herumfliegende Tauben, Streichhölzer, die entzündet werden, blubberndes Wasser, schon im Stereomix füllen sie das Hörfeld sehr gut aus. Manchmal finde ich aber, daß es Jarre mit den Effekten etwas übertreibt, so habe ich das Gefühl, daß Jean Michel Jarre im Überschwang der neuen Möglichkeiten, etwas zu viel herumspielt gelegentlich und die Effekte um der Effekte willen einsetzt.

Die neuen Kompositionen können ebenfalls nicht ganz mithalten, der deutliche Bruch zwischen klassischem Material und aktuellen Liedern ist deutlich zu hören, während die alten Werke sich meist auf Stimmungen und Gefühle stützen und sehr melodisch zu werke gehen, sind die Aerokompositionen mal wieder eher rhythmisch orientiert und klingen etwas beliebig. Wobei "Aero Opening" kein Lied in dem Sinne ist, sondern so eine Art Jean Michel Jarre Variante des THX-Trailers aus dem Kino, der nach 50 Sekunden auch gleich nahtlos in den ersten absoluten Höhepunkt des Albums, "Oxygene 2" überleitet. Letztlich fallen die Aero-Stücke nicht so sehr ins Gewicht, von den mehr als 73 Minuten Spielzeit des Albums machen sie nur knapp 13 Minuten aus.

"Aero" ist also zwar kein wirklich neues Album von Jean Michel Jarre, aber dafür eines, das mit dem zumeist bekannten Material sehr gut umgeht, es technisch ins 21. Jahrhundert holt und zeigt, daß Jarres großen Werke in der Tat völlig zeitlos sind, da sie auch in neueste technische Gewänder gekleidet allerbestens funktionieren. Vom Klang her ist "Aero" perfekt. Man kann Jarre auch die manchmal zu oft eingesetzen Effekte verzeihen. Das Album ist ein großer Spaß für alle Anhänger des klassischen Jean Michel Jarres. Nachdem man "Aero" gehört hat, wünscht man sich glatt, daß er vielleicht seine ersten drei Alben noch mal komplett neu aufnehmen sollte, andererseits verlieren die Originale aber auch nicht ihren Charme. Klanglich können sie zwar nicht mithalten, emotional jedoch allemal und der Zauber der Musik ist auch nach "Aero" bei den Originalaufnahmen ungebrochen.

12/15 Punkte

Danke vom Musikzirkus an Suppers Ready für die Bereitstellung.
Trurl
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Re: Jean Michel Jarre Alben 1972 – 2004

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Gepostet: 04.06.2008 - 10:52 Uhr  ·  #2
lach; ich finde es genau andersrum: Zoolock ist das einzig halbwegs spannende Album, der Rest Synthesizer-Muzak Die ersten beiden haben ab und an noch nette Momente, langweilen mich aber meistens zu Tode. Mich hat Jarre immer irgendwie immer an Platten meiner Eltern erinnert. Rocksongs im PartyOrgel-Sound von Lambert oder auch James Last.

nix für ungut, aber Kraftwerk oder die TD waren zu seiner Zeit schon weiter (von manchen Amikollegen ganz zu schweigen, wer es eher melodiös-symphonisch mag, sollte sich mal SYNERGY antun)

Trurl
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Re: Jean Michel Jarre Alben 1972 – 2004

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Gepostet: 04.06.2008 - 11:06 Uhr  ·  #3
Zwei Stücke von der Oxygene mag ich.

Der Rest: siehe Trurl.

Absolut lächerlich finde ich seine Bombastinszenierungen am französischen Nationalfeiertag- schlechte Musik + Kitsch.
nobbygard
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Re: Jean Michel Jarre Alben 1972 – 2004

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Gepostet: 04.06.2008 - 11:55 Uhr  ·  #4
Wer soll das alles lesen - mich hat Oxygene damals auch erreicht, aber ich glaube zum Kauf hat es nie gereicht, werde mal im Komaladen schnüffeln, da gibt es bestimmt was, für 1,50 kann man sich ja mal sowas kaufen!

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Re: Jean Michel Jarre Alben 1972 – 2004

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Gepostet: 04.06.2008 - 12:12 Uhr  ·  #5
nobbygard, wer das alles lesen soll?

Es wurden doch ausufernde Texte und Rezis gewünscht. :blaugrins:
nobbygard
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Re: Jean Michel Jarre Alben 1972 – 2004

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Gepostet: 04.06.2008 - 13:05 Uhr  ·  #6
Zitat geschrieben von hmc
nobbygard, wer das alles lesen soll?

Es wurden doch ausufernde Texte und Rezis gewünscht. :blaugrins:


Wer war das?

:blaugrins: :blaugrins: :blaugrins:
pur
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Re: Jean Michel Jarre Alben 1972 – 2004

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Gepostet: 04.06.2008 - 20:48 Uhr  ·  #7
Kann mich nur erinnern das ich Oxygene Hörenswert empfand. Will es mir aber nicht mehr als CD kaufen. Trift Nicht so mein Geschmack.
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Re: Jean Michel Jarre Alben 1972 – 2004

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Gepostet: 04.06.2008 - 21:16 Uhr  ·  #8
Hmc, da hast Du Dir ja eine Menge Arbeit für die Rezi gemacht. Ist Dir auch sicherlich gut gelungen.

Ich kenne von JMJ allerdings nur wenig. Oxygen und Equinox sind mir bekannt. Einige Passagen finde ich auch ganz ordentlich. Aber ein Fan werde ich sicherlich nicht mehr werden.
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Re: Jean Michel Jarre Alben 1972 – 2004

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Gepostet: 04.06.2008 - 21:27 Uhr  ·  #9
Ich kenne gar nichts von ihm. Die "Oxygene" würde mich schon interessieren. Die steht auch schon länger auf meinem endlosen Einkaufszettel.
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