
Spannender Artrock muss nicht immer aus England oder Amerika kommen, sondern kann auch aus dem Land des Krauts kommen. Und selbst da muss er nicht von Eloy, Anyones Daughter oder Novalis, sondern auch von eher solchen Bands kommen, die nur sehr wenige kennen.
Hier geht es um die Gruppe "Hölderlin" mit ihrem gleichnamigen zweiten Album, das sich trotz seiner germanischen Eigenständigkeit in einem Bereich zwischen Supertramp, Traffic und King Crimson ansiedeln lassen könnte.
Das erste Lied nennt sich Schwebebahn und ist ein 7,5minütiges Instrumental mit sehr klassischem Grundaufbau. Nach atonalen Klavierschlägen krächzt eine Viola passend dazu, Trommelwirbel setzt sich drunter, bis die Band nach einem rasanten Mellotron-Viola-Klavier-Gitarre-Zwischenspiel in schön deutsch-expressionistischer Manier diverse außereuropäische musikalische Linien verwebt und auf einem feurigen Percussion-Bass-Fundament schwebende, atmosphärische Improvisationen abliefert. Nach einigen Minuten verschwindet der Rhythmus, das Mellotron schwebt alleine weiter, bis die krummen Töne vom Anfang wieder einsetzen und das Stück nach einem gesampleten Orchesterschlußakkord beenden.
Nach dieser spannenden musikalischen, internationalen Reise wird es mit I Love my Dog etwas ruhiger. Dieses Lied ist eine Ballade, die mit E-Bass, Flöte, E-Piano, Akustikgitarre, Tamburin und Gesang instrumentiert ist und eine (vgl. Liedtitel) Art Lobeshymne an den Haushund darstellt. Nach einer Strophe gesellt sich die hart verzerrte E-Gitarre von Herrn Grumbkow, die mich bisweilen an Herrn Fripp von King Crimson erinnert, zu der "unplugged-Runde". Die nächste Strophe baut da mit verzweifelt geschrienem Gesang eine Art Kontrast zu der plätschernden Ruhe der Vorstrophe, bis nach gejaultem Liedtitel sich Zeus von Birth Control am Altsaxophon austobt. Nach einem ewigen Fadeout, gibt es ein folkiges Märchen über einen Honigsammler (stimmt das? ich verstehe den Text nicht, wenn Christoph Noppeney den Text so akzentuiert und dramatisch sprechsingt ;) ), Honeypot. Los geht es mit Flöte, Akustikgitarre und Gesang, bis dann die gesamte Band das Stück in einen atmosphärisch schwebenden Teil mit Viola und Mellotron leitet. Wie das Anziehen des Tempos und das Hektischwerden von Drummer Michael Bruchmann andeutet, folgt eine Art Höhepunkt. Vorher wird die Spannung zunächst aber behutsam in Richtung eines akustischen Zwischenspiels abgebaut, doch dann legen sie mit Bass, Klavier, Viola, Gesang und Schlagzeug richtig schön los und greifen am Ende das Hauptthema aus der Mitte, das beim ersten Hören völlig unpassend ist, neu auf und nutzen es als einen schönen Abschluss.
Mit Nürnberg gibt es eine ruhige, verträumte Ballade, ein schönes Volkslied mit akustischer Besetzung und einer wunderbar simplen Hauptmelodie. Lobenswert ist hier vor allem das perlende E-Piano-Spiel.
Deathwatchbeetle ist der letzte Song auf der bis jetzt guten Platte und reißt sie locker in den sehr guten Bereich - ein 18minütiger Longtrack, der mit seinen krummen Riffs, psychedelischen Momenten, einem sehr merkwürdigen und wirren Text über den Klopfkäfer und sehr viel Improvisation keinen Vergleich mit anderen proggigen Wegbereitern dieser Zeit zu scheuen braucht. Zwar haben einige ähnliches schon vorher geschafft, doch fusioniert die nordrheinwestfälische Gruppe so Klassischen Prog mit Psychedelic und sehr germanisch wirkender, expressionistischer, klaviergeladener Musik. Für eine Detailbeschreibung geht in dem Stück zu viel ab; es sei gesagt, dass hier alle paar Sekunden etwas neues geschieht, zu einem wirr pochendem Klangteppich neue Geräusche, knurpselnd und wimmernd, hinzukommen und, dass eine etwas vereinfachte, gekürzte, aber sehr gut reproduzierte Liveversion von "Deathwatchbeetle" als Bonustrack der 2005er Edition zu finden ist. Für wenige Euros (4,99€ oder 5,99€) lässt sich die CD bei Zweitausendeins bestellen, ich rate jedoch zu einem Kauf zusammen mit anderen CDs, z.B. Eloy, Jethro Tull, Deep Purple, Mike Oldfield, Bob Dylan u.Ä., da die Versandkosten egal für welche Menge an CDs um die 3 Euro kosten.
Mit irgendeiner Zahlenbewertung mag ich mich jetzt nicht herumschlagen, sondern empfehle die CD an alle, die mit art-igem, keineswegs artigem ;) Folkprog etwas anfangen können.
Man möge aber nicht nach wenigen Hörversuchen aufgeben, denn beim ersten Hören findet man das alles ganz nett, aber nicht besonders.
Bei jedem Hören, besonders beim (illegalen! :shock: ) Konsumieren per MP3-Player auf dem Rade oder zu Fuß durch den Wald, gewinnt die Scheibe etwas mehr, besonders das am Anfang merkwürdig erscheinende "Honeypot" mit seiner merkwürdigen Vortragsweise, die irgendwo zwischen Sprechen, Sprechgesang und Gesang variiert.
