REFUGEE - REFUGEE 1974

 
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REFUGEE - REFUGEE 1974

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Gepostet: 15.12.2007 - 18:41 Uhr  ·  #1
Refugee - Refugee

1974 kam Refugees erstes und einziges Studioalbum heraus - eine mit 50 Minuten recht lange Einzel-LP und sehr viel guter Musik, vollgestopft mit kreativen Ideen.


Bereits der Opener "Papillon" ist eine proggige Delikatesse, die eindeutig das Werk von Keyboarder Patrick Moraz ist. Hier spielt er sämtliche Tasteninstrumente, Synthesizer, im Untergrund eine Hammondorgel, da wieder eine schwebende Mellotronpassage, barocke Klavierlinien, mit einem fabelhaften, knochentrockenen Bass und IMO ziemlich dünnem Schlagzeug - das liegt allerdings an der Abmischung, das Schlagzeugspiel selbst ist sicher, schnell und kräftig. Dann kommen psychedelische Bassklänge (die durch Bedienen des Basses mit einem
Geigenbogen erzeugt werden), ein Synthesizer surrt im Hintergrund - ein progressiver, kreativer, treibender Leckerbissen. Schön gemacht!


Someday entstand als Kooperation von Moraz und Jackson. Für mich ist das Lied ein überflüssiger Track - mit viel zu viel Text (eine wütende Anklage an Jackson's Ex-Freundin) und nicht sehr überzeugenden Keyboards. Außerdem singt Jackson hier schlechter als je zuvor - er sagte in einem Interview, das Lied sei sehr schwer zu singen gewesen. Aber wenn das der Fall ist, hätte er es lieber gelassen. Zwar gibt es hier recht viel Mellotron und eine schöne Hammondorgel, was das Lied allerdings nicht retten kann. Skip, schade...


Mit Grand Canyon gibt es allerdings einen 16minütigen Longtrack, der durchaus eine Konkurrenz zu den Yes-Longtracks ist.

Die Einleitung, The Source ist eine atmosphärische, schwebende Keyboardimprovisation mit sanftem Bass, sehnsüchtigen Synthesizern und einer wabernden Hammondorgel - eine ruhige, geniale Einleitung.

Theme for the Canyon, das zweite Movement des Liedes greift das oriental angehauchte Hauptthema des Tracks auf, der sich wie ein roter Faden durch den epischen Longtrack zieht. Die eher simple Melodie wird hier bombastisch mit viel Schlagzeug, dezentem Bass und diversen Tasteninstrumenten aufbereitet.

Nach einem virtuosen, liszt-esquen Flügelsolo beginnt das dritte Movement, der Gesangsteil [/i]The Journey[/i]. Zuerst singt Jackson sanft zu einem leisen Bass und romantischem Klavier. So einen guten Gesang von Jackson hört man nur auf diesem Album. Dann kommt ein schwebendes Mellotron, Akustikgitarrenakkorde, ein paar sphärische Synthesizer und ein kantiges Schlagzeug dazu. Nach einem sehnsüchtigen Synthesizersolo holt Herr Jackson nocheinmal tief Luft und singt nocheinmal den Refrain. Ein Highlight der Platte! Um auf den Text zu kommen: Jackson stellt dar, wie er in einem Traum durch den Grand Canyon fliegt. Auch eine gute Idee... :gut:

Der nächste Teil, das vierte Movement, The Rapids ist sehr kantig/frickelig und entwickelt sich aus perkussiven Schlägen vonn Hammond, Bass und Drums, die zuerst weit voneinander entfernt sind aber dann immer näher und schneller kommen. Jeder Schlag sitzt genau - zwischen Bass, Schlagzeug und Keyboards gibt es keine Verzögerung. Das ganze entwickelt sich nach kurzer Zeit zu einem schnellen Teil, der aus schnellen Bassläufen und viel Keyboards besteht.

Danach zitiert Moraz passgenau die ELP-Version von "Rondo" und greift das "Theme for the Canyon" neu auf, diesmal mit treibendem
Rhythmus. Hier merkt man, dass man als Rhythmussektion die Menschen dabei hat, die 1967 Keith Emerson bei dem Progmeisterwerk "Rondo" begleitet haben. Diese Stelle nennt sich The mighty Colorado. Bombastisch wird das Lied mit viel Mellotron ausgeleitet - bis es nach sechzehn kurzweiligen Minuten wieder in der Stille endet, mit der es 16 Minuten zuvor angefangen hat.


Nun wird es wieder instrumental: der Titel von Ritt Mickley entstand dadurch, dass Moraz Jackson immer gesagt hat er soll das Stück "Ritt Mickley" spielen... dass er "Rhythmically" meinte, stellte sich erst später heraus :p . Man sehe dem Morgeser sein "unsauberes" Englisch nach; immerhin hat es einen guten Liedtitel abgegeben. Zuerst bekommt man
eine Synthesizerspielerei von Moraz zu hören - und ein Klangexperiment von Brian Davison, der hier Glas zerbrechen lässt und diesen Klang nachträglich berarbeitet. Der Teil wird häufig als Gatecrasher bezeichnet. Das Lied selber ist recht funkig gehalten, mit lässigen Drums,
druckvollem Bass und entspanntem Synthesizer - und funkigem Clavichord. Der fanfarenartige, barocke Zwischenteil ist auf jeden Fall meisterhaft. Auch hier spielt der Bass höchstspektakuläre Basslinien. Wären sie etwas lauter, würden sie im Vergleich zu Chris Squire
keinen großen Unterschied zeigen.
Nach dieser eher "chilligen" Angelegenheit wird es nun wieder spannend...


Der zweite Longtrack, Credo ist sogar 18 Minuten lang - und ebenso spannend wie "Grand Canyon".

Der Anfangsteil nennt sich Prelude.
Nach einer furiosen Flügeleinleitung kommt ein mit Flange versehtes Mellotron. Melancholische Synthesizerakkorde kommen nun auch dazu, ebenso wie wild wabernde Timpanis. Man fühlt sich wie bei einer Beerdigung... jetzt wird es aber nicht romantisch oder emotional... nach einem Frage-Antwort-Spiel zwischen Flügel und Mellotron/Schlagzeug/Bass kommt der skurille Teil

I Believe Pt.1: Lee Jackson brüllt einen eigenartigen Text durch ein Effektgerät und wird von dissonantem Bass, schnellem Schlagzeug und Synthesizerclusters begleitet. Ich kann nicht entscheiden ob es mir gefällt oder nicht - auf jeden Fall gehört es dazu. Das dauert
allerdings nur höchstens eine Minute,

dann kommt ein düsteres Synthesizersolo (namens Theme), dann kommt bombastische Kirchenorgel, die Kirchenorgel der St. Albans Cathedral, wie man in den Liner Notes erfährt.

Mit The Lost Cause wird es recht emotional - hier wird Lee Jackson's genialer Gesang zunächst von Kirchenorgel, dann von Hammond, Bass und Schlagzeug begleitet. Das ganze ähnelt "The Journey", dem 3. Movement der "Grand Canyon Suite" - und ist genauso genial. Danach kommt auch noch ein Flügel dazu, und der soliert danach - effekttriefend - brilliant mit Vokalisationen Jacksons unterlegt, man ist beim Klimax des Albums angelangt, für mich ein Schlüsselmoment der Proggeschichte - das "Soon" von Refugee.

Leider ist das ganze schnell vorbei und wird von einem schnellen, dissonanten Part, Agitato, abgelöst. Dazu trommelt das Schlagzeug, der Bass setzt wilde, schnelle Linien dazu. Die witzigen Gitarrensynthesizer kommen dann auch noch dazu, bevor das ganze in eine Reprise von "I Believe" übergeht, diesmal

I Believe Pt.2 genannt - diesmal noch aggressiver als zuvor. Hier gefällt mir der Teil sogar sehr gut... nach diabolischem Gelächer
(wieder eine nette Klangspielerei), kommt die

Variation und unmittelbar nachher das Main Theme Finale: sanftes, aber perkussives E-Piano und fiepende Synthesizer, weiterhin mit schnellem Rhythmus. Bevor das ganze allerdings zu Ende geht, geht es nach einem kurzen Break mit der Basslinie von "Sombrero Sam" weiter - und endet nach einem kurzen Zitat des "Credo"-Themas recht abrupt.



Ohne zu zögern kriegt das Album die Vollpunktzahl, trotz dem einen Ausrutscher.
Die höchste Punktzahl kriegen natürlich die beiden Longtracks, sagen wir ein "++".
"Papillon" und "Ritt Mickley" sind solide Prognummern, die ein "+" verdienen. "Someday" hat als missglückte Ballade ein "-" einzustecken. Trotzdem ist das Album sehr empfehlenswert - essentiell für Progfans.

1. Papillon (Patrick Moraz) 5'12
2. Someday (Patrick Moraz/Lee Jackson) 5'07

3. Grand Canyon Suite (Refugee) 16'58
a) The Source (0'00-2'24)
b) Theme for The Canyon (2'25-5'30)
c) The Journey (5'31-9'30)
d) Rapids (9'31-12'42)
e) The Mighty Colorado (12'43-16'58)

4. Ritt Mickley (Patrick Moraz) 6'00
a) Gatecrasher (0'00-1'01)
b) Ritt Mickley (1'02-6'00)

5. Credo (Refugee) 18'25
a) Prelude (0'00-4'30)
b) I Believe Pt. 1 (4'31-5'25)
c) Theme (5'26-7'09)
d) The Lost Cause (7'10-10'57)
e) Agitato (10'58-12'43)
f) I Believe Pt. 2 (12'44-13'44)
g) Variation (13'45-15'42)
h) Main Theme Finale (15'43-18'25)
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Re: REFUGEE - REFUGEE 1974

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Gepostet: 02.09.2008 - 20:39 Uhr  ·  #2
Tolle Rezi und ein durchaus gutes Werk, das ich persönlich jedoch nicht überragend finde. "Someday" ist in der Tat total misslungen und wird durch den den nervigen Gesang ungenießbar.
badMoon
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Gepostet: 24.08.2024 - 19:33 Uhr  ·  #3
Es bleibt angesichts der Bandgeschichte nicht aus, dass Ähnlichkeiten zu ELP nicht zu überhören sind. Kurioserweise hatte ich zu ELP nie einen Zugang, aber hier, bei REFUGEE, hat es gleich gezündet. Weiß der Teufel, warum das so ist.

Klasse Keyboardpassagen, herausragend die lange Suite „Grand Canyon“, welche mein Highlight auf dieser Scheibe ist. Der Longtrack "Credo: Prelude/I Believe/Theme/The Lost Cause/Agitato/I Believe" steht dem nicht nach, ist mir jedoch hin und wieder zu frickelig, sodass je nach vorhandenem Nervenkostüm auch schonmal gezappt werden muss.

ByTheWay - mir gefällt selbst der im WWW meist schlecht wegkommende Gesang des Lee Jackson, es passt so, wie es ist.

Eingebettetes Medium: https://www.youtube.com/watch?v=8FqOpRD6rTA
Trurl
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Re: REFUGEE - REFUGEE 1974

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Gepostet: 24.08.2024 - 22:01 Uhr  ·  #4
@badmoon: nimm statt ELP lieber die NICE; immerhin besteht die Band aus den beiden Ex-Nice Leuten plus neuem Keyboarder. Ich hatte mich damals auch sofort in die LP verliebt, als sie rauskam und war auch irgendwie sauer, das ausgerechnet YES den MORAZ abwarben und REFUGEE damit wieder Geschichte waren. Es gibt auch eine wirklich gute Livescheibe von denen.

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Re: REFUGEE - REFUGEE 1974

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Gepostet: 24.08.2024 - 22:22 Uhr  ·  #5
Für Vaddern ist das nüscht, kannte ich bislang auch nicht. :-/
Moniek
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Re: REFUGEE - REFUGEE 1974

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Gepostet: 01.09.2024 - 11:08 Uhr  ·  #6
Die Mischung sagt mir nicht zu.
Tom Cody
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Re: REFUGEE - REFUGEE 1974

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Gepostet: 01.09.2024 - 13:28 Uhr  ·  #7
Absolut nicht meine Baustelle ! :-/
Leslie
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Re: REFUGEE - REFUGEE 1974

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Gepostet: 01.09.2024 - 14:25 Uhr  ·  #8
Zitat geschrieben von Tom Cody

Absolut nicht meine Baustelle ! :-/


ein Beitrag aus 2007/2008 - gleich kommt Formel 1 - zum Zeit überbrücken mal reingehört - erinnert mich etwas an Nice, mit denen hatte ich gar nichts zu tun - 5 min hab ich ertragen - jetzt ist Schluß ;-)

Tom Pettys Refugee ist klasse - das hier sagt mir garnichts
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