Ray Wilson - The Next Best Thing

 
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Ray Wilson - The Next Best Thing

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Gepostet: 10.04.2025 - 11:45 Uhr  ·  #1
Ray Wilson - The Next Best Thing
(2004)



Die Karriere Ray Wilsons liest sich wie eine Achterbahnfahrt. Erst kam praktisch über Nacht der große Erfolg mit Stiltskin, als deren Song "Inside" einen Jeanswerbespot untermalte und die Charts enterte, danach folgte der beinahe surreale Moment, als Ray Wilson einen Telefonanruf erhielt und gefragt wurde, ob er nicht der neue Sänger von Genesis werden möchte. Der Rest ist Geschichte…
Oder auch nicht. Denn es würde Ray Wilson Unrecht tun, ihn allein anhand dieser beiden sicherlich herausragenden Momente seiner musikalischen Laufbahn zu definieren.

Wilson fiel nach dem plötzlichen Aus von Genesis in ein tiefes Loch, zusätzlich zerbrach damals seine langjährige Beziehung und nach dem recht kurzen Karrierehoch folgte die mehrjährige private Depression. Ray Wilson hat sich aber sozusagen an den eigenen Haaren aus dem Sumpf herausgezogen und seine Musikerkarriere wieder in Angriff genommen. Nach dem noch recht unbeachteten Projekt Cut dauerte es eine Weile ehe Ray Wilson unter eigenem Namen im Jahre 2003 sein erstes Studioalbum veröffentlichte. Ein Jahr später folgt nun "The Next Best Thing".

Ray Wilson selbst gibt zu, vor allem auch von Tony Banks und Mike Rutherford in musikalischen Dingen viel gelernt zu haben. Man hört es der Musik Wilsons an. In gestandener Singer/Songwritermanier ist Ray Wilson ein, mit nicht mal ganz 46 Minuten zwar recht kurzes, dafür aber auch sehr bodenständiges und gefühlvolles Album gelungen. Wilsons Stimme zählt für mich darüberhinaus zu den charakteristischsten und besten in der Branche. Sein rauchiges und rauhes Timbre macht deutlich, warum Tony Banks und Mike Rutherford ihn damals als neuen Sänger für Genesis auserkoren hatten. Aber Genesis ist Geschichte. Ray Wilson hingegen befindet sich hoffentlich erst am Anfang einer wiederbelebten Solokarriere, die ihn verdientermaßen zurück ins Radio und auf MTV führen sollte.

Natürlich ist die Musik auf "The Next Best Thing" kein Progressive Rock, Progpuristen und Mainstreamhasser können also getrost weghören. Aber Mainstream ist auch nicht die richtige Bezeichnung für die Musik auf "The Next Best Thing". Ray Wilson hat zwar eindeutig Hitpotential, aber seine Lieder sind weit davon entfernt, beliebig oder austauschbar zu sein und sind eindeutig dem Alternative Rock und den 70er Jahren verbunden. Wilson überrascht auch mehr als einmal auf dem Album. Sei es bereits beim ersten Lied "These Are The Changes", das sich mit der Politik der USA seit dem 11.09.2001 beschäftigt und diverse Zitate amerikanischer Präsidenten wie George W. Bush oder Ronald Reagan bringt, während Wilson selbst nur eine Textzeile wiederholt.

Überraschend ist auch der gekonnte Einsatz der Trompete im sehr rockigen "The Fool In Me". Verwundert kann man vielleicht sein, warum Wilson den Stiltskinhit "Inside" neu aufgenommen hat. Es klingt nicht schlecht, aber auch nicht neu, doch das ist die einzige fragwürdige Entscheidung auf einem Album, das mal sehr ehrliche Rockmusik bietet, dann aber auch sehr zerbrechliche und intime Momente hat. Einer der stärksten ist gewiß das autobiographisch eingefärbte "The Actor", das die Zeit bei Genesis verarbeitet. Es beginnt melancholisch mit Akustikgitarre und Streichern, ehe dann zur Mitte des Liedes das Schlagzeug einsetzt, ein flinkes Cembalo im Hintergrund längst verflossene 70er Jahre Nostalgie verbreitet (die auch an anderen Stellen immer wieder zum Vorschein kommt, wenn mal Jimi Hendrix oder Led Zeppelin als Wilsons Muse wohl dienten) und die Musik eine leidenschaftliche Wendung nimmt. Und auch wenn das Album sehr persönlich ist, Ray Wilson nicht nur singt, sondern auch gekonnt die E-Gitarre und den Bass spielt, erhalten die Bandkollegen ebenfalls Gelegenheit zu glänzen. Da wäre der alte Genesiskollege Nir Z am Schlagzeug, Keyboarder Irvin Duguid, einst Bandmitglied bei Fish, oder auch Trompeter Colin Steele. Somit klingt "The Next Best Thing" niemals wie ein Egotrip, sondern als Gesamtwerk einer Band.

Wer also von "The Next Best Thing" und Ray Wilson keinen Progressive Rock verlangt, der bekommt zwölf eingängige Lieder mit Ecken und Kanten geboten, die mal mit ihrem Rockfeeling begeistern, mal auch mit ihrer Sanftheit direkt ins Herz gehen. Die Lieder nisten sich im Ohr ein, werden dabei selbst bei den "kuscheligen" Momenten (die Pianoballade "Sometimes" verlangt nach Kerzenlicht) aber niemals seicht oder kitschig.

Ray Wilson sollte nicht mehr allein als Ex-Sänger von Genesis vorgestellt werden. Jetzt, sieben Jahre nach "Calling All Stations", zeigt sich Ray Wilson als gereifter Mensch und eigenständiger Musiker, der sich und seinen Stil gefunden zu haben scheint. Da erscheint es logisch, daß Wilson mittlerweile auch sein privates Glück gefunden und seine neue Freundin geheiratet hat. Und ganz sicher: vom Musiker Ray Wilson wird man noch einiges hören und sehen. "The Next Best Thing" ist schon mal ein sehr starkes Lebenszeichen und Freunden authentischer Musik nur zu empfehlen.

12 Punkte

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