Oktober 2023 | THIRD WORLD WAR - Same

 
badMoon
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Oktober 2023 | THIRD WORLD WAR - Same

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Gepostet: 30.09.2023 - 14:34 Uhr  ·  #1
Wiederentdeckt. So kann es genannt werden, wenngleich meine Erstentdeckung mangels Interesse sehr schnell an mir vorbeihuschte. Ich weiß gar nicht mehr, wie lange es her ist, dass ich im Internet nach einigen Punkbands wie CLASH, JAM, SEX PISTOLS und Konsorten suchte. Während dieser Suche hat auch eine Band namens THIRD WORLD WAR meine Ergebnisse gekreuzt - und wurde schnell wieder vergessen.

Vor gar nicht so langer Zeit blätterte ich in einem Musikmagazin und stolperte über ein mir im Gedächtnis gebliebenes Plattencover. Vorgestellt wurden "die 15 größten Alben, die du garantiert nie gehört hast". Darunter eben auch, und das machte mich wieder neugierig, das Cover des gleichnamigen Albums der THIRD WORLD WAR. So kam ich also zu meiner Wiederentdeckung.

THIRD WORLD WAR - Same | GB | 1971 | Punk, Rock

THIRD WORLD WAR war eine britische Punk-/Rockband, die in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren aktiv war. Dem Vernehmen nach entstand sie aus den Wünschen eines einzigen Mannes, nämlich des Managers und Produzenten John Fenton.

Fenton war kein Mitglied dieser Formation, aber zitiert wurde sein Ausspruch : „Ich will eine Arbeiterklasse-Band ohne Blödsinn … Ich habe genug von diesem ganzen Pseudo-Friedensmist.“

So wurde die Band also 1968 von Terry Stamp (Gesang, Gitarre) und Jim Avery (Bass) gegründet. Später stießen noch Mick Ware (Gitarre) und Mick Liber (Schlagzeug) hinzu. An der Entstehung dieses Albums wirkte noch ein weiterer Gastmusiker mit, sodass die Band sich also zusammensetzte aus den Mitgliedern:

[Die Band]

* Terry Stamp | Rhythmusgitarre, Gesang
* Jim Avery | Bass
* Mick Lieber | Leadgitarre
* Fred Smith | Schlagzeug
* Jim Price | Trompete, Posaune

Wie bereits erwähnt, kann die Truppe auf das Gründungsjahr 1970 zurückblicken. Mit deren 71er Debütalbum haben sie meiner Meinung nach damit die Punkära eingeleitet. Schließlich hatten die heute oft als Vorreiter genannten THE SEX PISTOLS noch fünf und THE CLASH gar noch sechs Jahre Zeit, sich die hohe Kunst des Punk bei den THIRD WORLD WAR abzuschauen. Nun ja, sofern die US-Amerikaner MC5 oder THE STOOGES als Punk- und nicht als Rockband bezeichnet werden, waren dies eben die Vorreiter des Punk. Auch in Ordnung.

THIRD WORLD WAR verstand sich also als eine Band der "Arbeiterklasse". Entsprechend wütend hört sich daher oft der Sound, politisch reichlich links der Text, der sich mit Themen wie Krieg, sozialer Ungerechtigkeit oder Rassismus auseinandersetzt, an.

Gleich der dreckige Opener, ---> Ascension Day, stimmlich voller Wut, gibt die Richtung des Albums vor. Harter Sound, wütender, zerrissener Gesang und linksgerichtete, politische Texte. So heißt es hier im Refrain des auch als Single ausgekoppelten Songs:

Jetzt, wenn wir aufstehen / Macht dem Volk / Wenn wir aufstehen / Macht den Armen / Wenn wir aufstehen / Macht den Arbeitern / Wenn wir aufstehen / Macht uns allen

Keine Ahnung, was uns der Titel des folgenden ---> M.I.5's Alive sagen soll. Da dürfte der britische Geheimdienst gemeint sein, schaut man auf den Text des Stückes. Das aber ist auch völlig egal - ein langer, treibender Song, klasse Arbeit an der oft verzerrt gespielten Gitarre, viel Mundharmonika (ich liebe diesen Sound) und natürlich dieser wütend-dreckige Gesang. Klasse, mein Favorit auf diesem Album.

Refrain: Befreien wir die Arbeiterklasse / Wir haben es satt, der Regierung den Arsch zu lecken / Befreien wir die Arbeiterklasse / Wir haben es satt, der Monarchie in den Arsch zu küssen / Das könnte Ihnen auch gefallen ... M.I.5 lebt - M.I.5 lebt - M.I.5 lebt -

Weiter geht es mit einem Stück, welches mich an ein Lullaby des Ian Dury (die Einleitung von "Sweet Gene Vincent" aus dem Album "New Boots And Panties") erinnert. Es dudelt so schön vor sich hin, macht keine Zahnschmerzen und könnte gar dem Nachwuchs als Einschlafsong vorgespielt werden. Hier der Clip, allein, um die Bandmitglieder einmal sichtbar zu machen:

Teddy Teeth Goes Sailing



Mit dem folgenden ---> Working Class Man nimmt das Album wieder die gewohnte Fahrt auf - auch hier wieder ein kleines, feines Gitarrensolo und natürlich der passend wütende Gesang. In dem Song wird beschrieben, wie ein Mann der Arbeiterklasse versucht, seinen Arbeitsplatz zu erreichen. Er wird durch eine Polizeistreife angehalten, kommt dadurch zu spät zu seinem Job und verliert ihn dadurch. Dabei ist er doch nur ein Mann der Arbeiterklasse, der versucht, durch seine Arbeit seine Familie durchzubringen.

In diesem Sinne - Songs voller Wut, voller Anklagen gegen das Establishment, Beschreibungen des schweren Lebens eines Arbeiters, geht es auf dem Album weiter. Ein für mich weiteres Highlight ist mit den Titeln Stardom Road [Part I] und Stardom Road [Part II] vorhanden. Während Part I, untermalt von einem Streicherquartett, wunderschön melancholisch, fast als Klagelied daherkommt, schließt sich Part II (ca. ab Minute 5:30) wieder voller Aggressivität und Wut an. Widersprüchlich, startend wie ein Surfsong, wandelt er sich plötzlich wieder voller Wut, einzig mit der sich wiederholenden Textzeile "You ain't got no highway code / You ain't got no highway code / You ain't got no highway code / Up stardom road", gepfeffert mit treibender E-Gitarre, pumpendem Basslauf und dieser geschrieenen Textzeile. Bingo, grandios!

Part I und Part II werden meist als ein Stück zusammengefügt zu finden sein. So also auch hier der gesamte Song:



Nach Veröffenlichung des Albums tourte die Truppe noch intensiv durch Großbritannien und Europa und trat auch auf einigen großen Festivals auf, so auf dem Isle of Wight Festival 1970 und dem Glastonbury Festival 1971. Durch ihre energiegelandenen Auftritte erreichten sie eine größere Aufmerksamkeit, was jedoch nicht zu deren Bestand beitragen konnte. Dennoch hatten THIRD WORLD WAR einen gewissen Einfluss auf die spätere Punk- und Post-Punk-Szene und wird von einigen als Vorläufer des politischen Punk angesehen. Deren Texte dürften heute noch so relevant und zeitlos sein wie zur Zeit ihrer Entstehung.

Obwohl THIRD WORLD WAR sowohl bei den Kritikern als auch bei den Musikfans hohe Anerkennung fand, blieb ein durchschlagender Erfolg aus. Interne Differenzen mit dem Management, welches eine mehr kommerzielle Ausrichtung forderte sowie permanent knappe Kassen führten schließlich zur Auflösung der Band. Terry Stamp und Jim Avery gründeten später die Band STAMPEDE. THIRD WORLD WAR erreichten zwar nicht den kommerziellen Erfolg, den sie sich erhofft hatten, erlangten aber dennoch einen gewissen Kultstatus und werden von einigen Musikliebhabern als eine der unterschätzten Bands ihrer Zeit angesehen.

Warum dieses Album seinerzeit mehr oder weniger unbemerkt an mir vorbeirauschte, ist mir heute unverständlich. Sagen wir einfach, ich war damals 17 Jahre alt und mir fehlte die sittliche Reife. Stimmt zwar nicht, aber so könnte es gewesen sein ;-). Dieses Debüt ist ein kraftvolles, energiegeladenes Album, roh, rebellisch und ungeschliffen. Musikalisch mag es zwar nicht sehr hohen Ansprüchen genügen, aber - es ist authentisch und wert, entdeckt zu werden. Das wütende Protestalbum 1971.


[Die Songs]

01 - Ascension day
02 - M.I.5's alive
03 - Teddy teeth goes sailing
04 - Working class man
05 - Shepherds bush cowboy
06 - Stardom road [Part I]
07 - Stardom road [Part II]
08 - Get out of bed you dirty red
09 - Preching violence
10 - Ascension day (Single Version)
11 - A little day (Single Version)
Floyd Pink
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Re: Oktober 2023 | THIRD WORLD WAR - Same

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Gepostet: 30.09.2023 - 20:11 Uhr  ·  #2
Proto-Punk nennt man das Genre, dem die Band zuzuordnen ist. Bin erstaunt, dass so etwas in Nettetal läuft. Vielen Dank für die wieder Mal sehr profunde und lesenswerte Rezension!
Tom Cody
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Re: Oktober 2023 | THIRD WORLD WAR - Same

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Gepostet: 01.10.2023 - 14:05 Uhr  ·  #3
In Anbetracht deiner sonstigen musikalischen Ausrichtung, überrascht mich diese Rezension ebenso wie Floyd Pink !

Dieser Hardrock bzw. Proto Punk ist ja eigentlich nicht so deine Baustelle. Allerdings finde ich es gut, daß du dich dieser Rarität annimmst und in der gewohnten Weise informativ und äußerst lesenswert über diese Album berichtest.

Mir ist das Werk bekannt und ich kann mich da deinen Ausführungen anschließen.

Wolfgang, vielen Dank für deine interessante Wiederentdeckung ! :-D
hmc
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Re: Oktober 2023 | THIRD WORLD WAR - Same

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Gepostet: 02.10.2023 - 12:44 Uhr  ·  #4
Klingt etwas nach Tom Waits.
Teilweise sehr traurig, aber nicht runterziehend.

Prima Arbeit bM.
badMoon
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Re: Oktober 2023 | THIRD WORLD WAR - Same

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Gepostet: 03.10.2023 - 17:24 Uhr  ·  #5
@All,

besten Dank für eure Antworten. Auch wenn dieses Genre nicht mehr vorrangig gehört wird, stand dennoch einiges als LP im Regal (Clash, Ramones, Undertones, Pistols...), hat jedoch im Gesamt-LP-Verkaufspaket die Wohnung verlassen. Eigentlich schade, aber für CD-Nachorderungen reicht es nicht, liegt mein derzeitiges Interesse musikalisch doch woanders.
badger
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Re: Oktober 2023 | THIRD WORLD WAR - Same

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Gepostet: 06.10.2023 - 13:41 Uhr  ·  #6
eine durchaus interessante vorstellung einer band, die mit ihren BEIDEN (und nicht einem) alben kaum
über einen minimalen bekanntheitsgrad hinauskam. dazu waren sie wohl musikalisch zu krude und auch
ein viel zu kleiner fisch in einem riesenteich.

politische und soziale themen, ob nun vom manager aufoktroiert oder aus eigenem ansporn stammend,
verweisen auf die working-class-herkunft, aber mit punk hatte das wenig gemeinsam.

denn diese kategorisierung wurde zum ersten mal von den New York Dolls genutzt und da macht es in
seiner ursprünglichen bedeutung 'Stricher / Kleinkrimineller / Rumtreiber' auch sinn für das klischee, auf das
die Dolls damals ihre verkaufsstrategie aufbauten. ihr letzter manager, der gewiss nicht unbekannte Malcolm
McLaren, einer der größten svengalis, die das rockbusiness gesehen hat, nahm die grundidee mit nach
london und modellierte sich mit den Pistols dort seine eigenen Stricher/Rumtreiber/Kleinkriminelle.

das später die Clash und im rückgriff auch die Ramones nebst tausenden anderen bands aus punk noch
wieder ganz was anderes machten..., nunja, auch davon waren Third World War weit entfernt.
und prä-punk gibt es sowieso nicht; das ist wieder nur ein verkaufsetikett der industrie um immer noch
mehr und mehr bands zu einem genre zusammenzufassen.
eine 1976/77er punk-band, die TWW in irgend einer weise zu sich in bezug gebracht hätte... mir ist keine
bekannt.

Tatsächlich ordnet man TWW am besten den bei John Peel jahrzehntelang immer bestens untergebrachten
unkategorisierbaren und eigentlich nur von Peel gehörten und geförderten bands zu. zu krude, um irgendwo
sonst zu landen, aber von Peel immer bevorzugt aufgelegt, wenn nicht sogar auf seinem Dandelion-Label
untergebracht.

mit dem debut war aber wohl niemand so ganz zufrieden; die englichen gazetten, NME, Melody Maker oder
Sounds lieferten keine jubelkritiken und es war erst die auf 'Third World War II' deutlich hörbare musikalische
verbesserung, die der band letztlich noch akzeptanz brachte. leider waren sie da aber personell schon am ende.

aber schön, daß solche bands überhaupt hier vorgestellt werden und man sich ihrer erinnert.
prima!
badMoon
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Re: Oktober 2023 | THIRD WORLD WAR - Same

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Gepostet: 08.10.2023 - 11:57 Uhr  ·  #7
@badger,

besten Dank für Deine Antwort und ausführlichen Ergänzung.

Was die Genres betrifft, ...bei dieser Scheibe habe ich mich tatsächlich schwergetan. Bei allem Respekt vor dem hervorragenden Radiomoderator John Peel - Musik unter "unkategorisierbaren und eigentlich nur von Peel gehörtem" einzuordnen klingt ähnlich wie unsere Sparte "Sonstiges" - also alles, von dem man nicht weiß, wohin damit.

Darüber hinaus gehen zumindest mir die ganzen Katogerien ziemlich auf den Geist. Wer soll bei den ganzen Untergenres überhaupt noch durchblicken? Eigentlich ist es mir mittlerweile völlig egal, welcher Schubladenpapst wieder welche hundertste Unterkategorie erfindet. Rock, Pop, Reggea, Klassik, Jazz, Blues, Punk, Ska, ...damit kann ich was anfangen. Hätte mir jemand vor dieser Scheibe etwas von Proto-Punk erzählt, hätte ich das höchstens zu Protokoll genommen und abgeheftet.

Noch kurz zu dieser Scheibe: Tatsächlich habe ich auch mehrfach in TWW II hereingehört. Nach meinem Geschmack ist diese nicht annähernd so gut wie das Debüt. Allein von der Qualität der Longtracks auf dem Debüt ist das, was auf TWW II zu finden ist Lichtjahre entfernt. Aber, ...wie immer in der Musik - Geschmäcker sind verschieden, und das soll auch so sein.
freaksound
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Re: Oktober 2023 | THIRD WORLD WAR - Same

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Gepostet: 25.10.2023 - 09:46 Uhr  ·  #8
Hallo Lieber Wolfgang,

ich schließe mich meinen Vorrednern (teilweise) an.

Es freut mich, daß du dir deinen Musikalischen Horizont nach wie vor weit hältst
und uns mit deinen schön geschriebenen und informativen Rezis daran teilhaben lässt.

Ich finde diese Scheibe in ihrer ursprünglichen Rauheit, direktheit und irgendwo auch holprigkeit ebenfalls sehr interessant.

Es ist für mich kein "gutes" Album im Klassischen Stil, aber erfrischend anders und einzelne, eingestreute Titel
geben Rock-Playlist auf jeden Fall mehr Kick und drive.

Das mit dem Punk ist auch so eine Sache.

Chronologisch gesehen, wurde die Scheibe vermutlich zu ihrer Veröffentlichung nicht Punk genannt.

Nach verschiedenen Quellen taucht die Bezeichnung "Punk" in Zusammenhang mit Musik zum ersten Mal
in den Linernotes des 1972 erschienen Samplers "Nuggets" auf.
Lenny Kay hat hier auf wunderbare Weise das kuratiert und vieleicht auch vor dem Vergessen bewahrt
was heute unter 60'th Punk und Garage läuft.

Wann und wie das Wort dann breiteren Eingang in die Schubladen-Welt der Musik gefunden hat,
dürfte wohl diffus-uneindeutig sein.
Historisch ist das eh was andres. Webster meint wohl , Punk war ein (kleiner) Gangster und Shakespeare hat in seinem Werk
das Wort Punk für eine Prostituierte verwendet.

Aber egal, Danke für die Rezi - hat einiges an Erinnerungen wieder hochgebracht und das ist schön so. :-)
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