Ohrwaschl-Interview

 
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Ohrwaschl-Interview

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Gepostet: 29.01.2007 - 14:29 Uhr  ·  #1
Das Interview fand Ende November 2006 telefonisch zwischen Fuzzy Weisbrodt, dem Eigentümer des Ohrwaschl-Labels, und Rudi Vogel, Mitglied des Musikzirkus, statt.

Rudi: Magst du uns etwas zu deiner Person erzählen?

Fuzzy: Klein, dick und Glatze. Dick, weil ich vor 7 oder 8 Jahren das Rauchen aufgehört habe und vor allem eine sitzende Tätigkeit ausübe. Die Glatze habe ich seit meiner Bundeswehrzeit.

Um 1990 gab es Krautrock auf CD nur von den Labels "Second Battle" und "SPM", sozusagen den Pionieren. Durch den Kontakt mit dem Kuckuck-Mitarbeiter Stefan Brenner, der Stammkunde in meinem Second Hand-Laden "Ohrwaschl" war, erfuhr ich, dass in den Kellern von Kuckuck die Mastertapes von vielen Krautrockbands wie "Out Of Focus" oder "Murphy Blend" vergammeln. Der Enthusiasmus war damals noch groß und wir beschlossen, einen kulturellen Auftrag zu erfüllen und diese Alben für die Nachwelt zu erhalten. Wir bekamen vom Kuckuck-Label die Exklusivrechte für viele alte Scheiben und retteten diese quasi vor dem Ruin.

Nimm zum Beispiel die Band „Sparifankal“: Bei den Bändern für die Bonustracks musste man alle 30 Sekunden den Tonkopf sauber machen. Nachher waren die Bänder durchsichtig und nicht mehr zu gebrauchen.

Bei vielen Labeln hat man es ja leider noch immer nicht geschafft, die Bänder von wichtigen Alben zu digitalisieren, aber irgendwann ist es mal zu spät und die Aufnahmen sind dann unwiderruflich weg.

Rudi: Was ist eigentlich aus dem Kuckuck-Gründer Eckart Rahn geworden?

Fuzzy: Er ist der Eigentümer mehrerer Labels (Kuckuck, Celestial Harmonies, Fortuna, Black Sun, White Cloud). Mitte der 70er hat er mit Kitaro und Deuter sauber abgeräumt. Anschließend hat er Hunderte von Weltmusiktiteln (Musik des Islam / Armenien / Tibetmönche / Digeridoo / etc). produziert.

Rudi: In welchen Auflagen produzierst du deine CDs?

Fuzzy: Eine Erstauflage wird in einer Menge zwischen 500 bis 1000 Stück produziert. Sofern sich diese verkauft, gibt es eine Zweitauflage. Erst dann verdient ein Label Geld.

Rudi: Gab es schon Künstler die nicht wollten, dass ihr Album wiederveröffentlicht wurde und, wenn ja, warum?

Fuzzy: Zum Beispiel die Band GÄA. Wir haben das Album „Auf der Bahn zum Uranus“ mit Lizenz von Stefan Dörr, dem Drummer und Sprachrohr der Band, veröffentlicht. Nachdem die erste Auflage verkauft war, wurde die Lizenz nicht mehr verlängert, was uns von Herrn Dörrs Rechtsanwalt mitgeteilt wurde! Wer jetzt das Album haben möchte, kann es nur noch als russischen Bootleg kaufen.

Ich bin wegen einer Wiederveröffentlichung an die Band „Pegasus“ aus Paderborn herangetreten, die einer aus der „Fantasyy Factoryy“-Band kennt. Diese 3 oder 4 Brüder können sich einfach nicht einigen.

Rudi: An was scheitert es wenn ihr ein Album machen wollt und es nicht am in der vorhergehenden Frage angeführten Grund liegt?

Fuzzy: 1993 bin ich beispielsweise an das Brain-Label herangetreten. Das Brain-Label hat uns 1 1/2 Jahre hingehalten. Es wurde nie eine Lizenz erteilt!

Brain hat ja nun z. B. Second Battle das "Sperrmüll"-Album weggenommen und 2004 auch noch einige andere Alben wiederveröffentlicht und zu einem völlig überteuerten Preis angeboten. Nachdem sie darauf sitzen geblieben sind, haben sie sie nicht etwa verramscht, sondern eingestampft!

Die meisten Labels verlangen, dass man eine Auflage von 3000 Stück produziert. Sie stellen häufig weder Mastertapes (nicht mehr auffindbar) noch Druckvorlagen bereit. Und dann verlangen sie Vorkasse, bevor man überhaupt loslegen darf.

Deswegen gibt es die ganzen Bootlegs. Die Großen sind zu blöd, die Sachen herauszubringen und richtig zu vermarkten. Die Kleinen kriegen selten Lizenzen (außer sie haben Beziehungen).

Bei Bellaphon habe ich vor 2 1/2 Jahren nachgefragt wegen "Pell Mell - Marburg", "Marz und Eperjessy" und wegen eines Samplers mit Non-LP-Tracks. Die halten mich immer noch hin. Andererseits wurden alle Nektar-Alben bei Eclectic gestrichen, die mit Genehmigung von Nektar wiederveröffentlicht wurden, weil Bellaphon (der Rechteinhaber) geklagt und gewonnen hat.

Rudi: Warum kommt von dir, im Gegensatz zu Longhair und GOD, nichts Neues mehr?

Fuzzy: Meine Kapitaldecke ist anscheinend dünner und die Verantwortung für eine ganze Familie höher als bei meinen Kollegen. Bei Second Battle in Berlin sieht es da wohl ähnlich wie bei mir aus - oder auch nicht - ich weiß es nicht! Dazu kommt eine gewisse Demotivation. Man rödelt ziemlich rum, bis mal was veröffentlicht ist. Anschließend wird man innerhalb weniger Wochen gebootlegged oder in Hunderten von Blog-Seiten zum freien Download angeboten. Noch schlimmer sind verhärmte Musiker der 60er-Jahre. Es gibt nichts Schlimmeres als einen 60-jährigen Hippie. Die sind dann noch der Meinung, dass sie vom Label beschissen werden und mahnen und klagen und nerven. Aber das kennst du ja mittlerweile auch...

Es vergeht einem die Lust, so nach knapp 20 Jahren. Dazu kommt noch der insolvente Kunde, sprich: die Verkaufszahlen sind doch effektiv erbärmlich!

Da kaufe ich lieber ohne jedes Risiko CDs nach Bedarf.

Rudi: Das Ohrwaschl-Label hat ja die Alben der fantastischen „neuen“ Band „Fantasyy Factoryy“ produziert! Wie bist du auf diese Band aufmerksam geworden?

Fuzzy: 1993 bekam ich einen Anruf aus Paderborn, anschließend eine Promo-CD. Ich war begeistert und produzierte dann die CDs.

Neue Bands interessieren mich allerdings nur in Ausnahmefällen. Allen Tepper ist ein Freund und Mitarbeiter des Labels und Lizenzgeber für seine Band.

Rudi: Warum veröffentlichst du keine Vinyl-RIs?

Fuzzy: Vinyl will bei mir nur jeder fünfzigste Kunde. Deshalb produziere ich so gut wie kein Vinyl!

Rudi: Was möchtest du über BLOGs und russische Bootleger sagen?

Fuzzy: Blogger und Belarus / Ukraine –Fälschungen: genau! Die nehmen einem dann noch den letzten Rest an Enthusiasmus! Die russischen Bootlegs werden in staatlichen Presswerken professionell hergestellt. Ich habe mir mal im Internet meine „Out Of Focus“-CD als Digipack-Ausgabe gekauft (gibt es offiziell gar nicht). Bezahlt habe ich auf ein Stadtsparkassenkonto in München. Die Ware kam dann aus Weißrussland. Das sind Profis! Anschließend habe ich den ebay-Account des Rostocker Verkäufers sperren lassen. Der war dann auch weg. 3 Tage später gab es 4 neue Anbieter! Das Internet ist Anarchie! Das wollten wir damals und jetzt müssen wir damit umgehen.

Blogger sind noch eine Potenz schlimmer. Ein Blogger sitzt in Brasilien, der Server in der Ukraine. Wie soll man das per Gericht verbieten?

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