Band: Lamchop
Location: Funkhaus Berlin, Nalepastrasse
Datum: 26.04.2019
Delegation vom Zirkus: Stattmeister mit Gattin
Ach Kurt. Du hast es mir in unserer seit 2004 (damals lernte ich dich mit dem Album „Is A Woman“ kennen) währenden Beziehung, gerade in den letzten beiden Jahren, nicht leicht gemacht. Veröffentlichst du doch 2016 ein Album ("Flotus") mit elektronischen Spielereien und verfremdest deine angenehme sonore Stimme via Vocoder und Autotune, so dass ich mich zunächst erschrocken von dir abwende und das Album links liegen lasse. Dabei habe ich bis auf das Debütalbum doch bisher alle Alben im Schrank.
Dann setzt du dein Konzept auch noch auf dem aktuellen Album „This (is what I wanted to tell you)“ fort. Aber zum Glück für uns beide bin ich über meinen Schatten gesprungen und habe dir und dem Album vor etwa 3 Wochen noch eine Chance gegeben und siehe da – unsere Beziehung ist wieder intakt. Die verfremdete Stimme finde ich zwar unverändert gewöhnungsbedürftig, aber die sparsam instrumentierten Songs mit leichten elektronischen Unterbau und die unverändert wunderbaren Melodiebögen entschädigen mich vollends. Ganz besonders ist dir das im Song „The December –ish you“ gelungen - für mich einer deiner gelungensten Songs seit „Of Raymond“ (von „Oh, Ohio“).
Die Einschätzung wird offenbar auch von anderen Fans geteilt, denn dieser Song (wie auf dem Album an Nummer 6 auf der Setlist) wird am Freitagabend bei deinem Konzert im Funkhaus Berlin euphorisch beklatscht. Auch hier hatte ich zunächst gezögert ob ich dich besuchen soll, obwohl der Termin perfekt zu meinem diesjährigen Osteraufenthalt in Köpenick passte. Aber nach dem ins Herzschließen des Albums und in Kenntnis des überaus reizvollen Auftrittsortes (nur knapp 45 Minuten mit der Tram von unserer Wohnung entfernt) wurden flugs die Karten geordert. Netterweise entschloss sich auch meine Frau mich zu begleiten, da ihr das letzte Lambchop-Konzert, welches wir anno 2008 im Konzerthaus Dortmund erlebten, noch in guter Erinnerung war.
Ist das Konzerthaus aber eher ein nüchterner Zweckbau, so zieht das Funkhaus einen schon beim Fußweg auf die Gebäudekomplexe zu in den Bann. Es war einst der Sitz des staatlichen Rundfunks der DDR - heute gilt es als einer der angesagtesten Veranstaltungsorte Berlins. Im Inneren: Desgin aus einer längst vergangenen Zeit - ein Besuch im Berliner Funkhaus versetzt einen schlagartig zurück in die DDR. Jahrzehntelange Rundfunkgeschichte ist hier in Stein, Technik und Mobiliar versammelt. Das ganze Interieur versprüht noch den alten Charme der damaligen Zeit und ist absolut sehenswert. Nicht umsonst sind die angebotenen Führungen durch en gesamten Funkhaus-Komplex sehr begehrt und bis Ende des Jahres ausgebucht. Die Gebäudesubstanz der Anfang der 50er-Jahre errichteten Anlage ist immer noch gut. Unter anderem verbaute man im Foyer Marmorplatten aus der Neuen Reichskanzlei. Der Architekt des Hauses an der Nalepastraße war Franz Ehrlich. Der Bauhausschüler plante höchst elegant: Geschwungene Treppen haben Marmorstufen, in den Hallen liegt Parkett, und überall sieht man edle Wandvertäfelungen aus dunklem Holz.
Das Funkhaus von der Spree aus gesehen
Impressionen aus dem Foyer
Beim Bau dieses imposanten Gebäudes wurden keine Kosten und Mühen gescheut, und so entstand der größte zusammenhängende Studiokomplex der Welt, unter anderem mit dem sehenswerten und berühmten Sendesaal 1, in dem am Freitag das Konzert stattfand. In diesem 900 qm großen Raum herrscht die perfekte Akustik. Früher wurden hier deswegen Hörspiel- und Musikaufnahmen gemacht, heute kommen Künstler aus aller Welt für ihre Auftritte hierher. Die Säle sind hoch attraktiv für Musikaufnahmen von Orchestern. Nicht nur Daniel Barenboim und die Staatskapelle sowie der Runkfunkchor Berlin waren da, auch Klassik-Stars aus den USA fliegen extra ein, um hier ihre CDs aufzunehmen. Die Black Eyed Peas, Sting, A-ha und Cecila Bartoli haben Alben in der Nalepastraße produziert.
Der Sendesaal 1
Warum, wurde mir bereits nach den ersten Tönen klar, noch nie habe ich eine bessere Qualität bei einem Livekonzert erlebt. Alle Instrumente waren klar und deutlich vernehmbar, nicht unwichtig bei der Musik von Lambchop, wo den einzelnen (Zwischen-)Tönen hohe Bedeutung zukommt. Der Sound war zudem klar und gut durchhörbar, keine verzerrten Instrumente oder wummernde Bässe weit und breit. Mit einem Wort: Perfekt!
Im Mittelpunkt des Auftritts hatte Kurt natürlich das neue Album gestellt, welches komplett, mit nur leicht veränderter Reihenfolge wie auf Tonträger, gespielt wurde. Allerdings merkte man den Songs an, dass sie nunmehr von einer kompletten Band, mit „richtigen“ Instrumenten, performt wurden, dadurch klangen sie dynamischer und leicht rockiger. Und fast war man auch geneigt aufzustehen und zu tanzen, dass für Lambchop-Verhältnisse außergewöhnlich rhythmische „Everything for you“ animiert einen geradezu dazu. Ich habe es dann aber beim leichten Hin- und Herwiegen des Oberkörper belassen.
Mit dem rein akustischen und sehr ruhigen „Flower“ verabschiedet sich dann Kurt kurz für eine Minipause, während seine Band mit dem instrumentalen Einstieg in den Longtrack „The Hustle“ vom Album „Flotus“ in einen sehr hypnotischen zweiten Teil des Konzertes startet. Mit „Gone tomorrow“ (von „Mr. M“) wird noch ein älterer Song eingeschoben bis zum fulminanten Finale das bissige „Up with people“ (von „Nixon“ aus 2000) frenetisch vom Publikum gefeiert wird.
Fazit: ein aus meiner Sicht atmosphärisch dichter Auftritt, gestützt durch ein hervorragendes neues Album, in einer absolut tollen Location. Ich bin froh, dass Kurt und ich uns nicht haben scheiden lassen – Happy ending……..
Gitarrist Paul Niehaus unterstützt Kurt auch beim Gesang
Pianist Tony Crow setzte beeindruckende musikalische Akzente
Ach ja, der Kurt (für Unwissende stand der Bandname vorsichtshalber auf dem Notenständer )
P.S.: Was mir allerdings auffiel war, dass nicht wenige der gut 500 Konzertbesucher schon bereits während der Show den Saal verließen. Waren sie vom neuen Sound von Lambchop verwirrt und hatten die aktuelle musikalische Entwicklung nicht verfolgt oder hatten sie auf gut Glück (auch aufgrund der Location) eine Karte gekauft und konnten so gar nichts mit der Musik anfangen? Wer weiß?
Line-up:
Kurt Wagner - Vocal & Guitar
Matthew McCaughan - Drums, Modular Analog Synthesizers & Electronics
Paul Niehaus - Electric & Steel Guitars
Andy Stack - Drums, Triggers, Samples & Saxophone
Tony Crow - Piano
Matt Swanson - Bass
Setlist
1. The Air Is Heavy and I Should Be Listening to You
2. Crosswords, Or What This Says About You
3. Everything for You
4. The Lasting Last Of You
5. The New Isn't So You Anymore
6. The December-ish You
7. This (Is What I Wanted To Tell You)
8. Flower
9. The Hustle
10. Gone Tomorrow
11. In Care Of 8675309
12. Up With People
The December-ish you
Up with people