Gin Tonic mit Iggy Pop
Moabit Peter ist Berlins größter Rockfan. Er hat in den letzten vierzig Jahren kaum ein Konzert verpasst
Von Nadine Lange
Bericht aus dem Berliner Tagesspiegel (23.05.2005)
Die langen Haare haben Moabit Peter eine Menge Ärger eingebracht. Auf dem Ku’damm ließ man ihn nicht in die Lokale, und von Baustellen riefen sie ihm „Lolita“ hinterher. Einmal versuchten seine Malerkollegen, ihn beim Feierabend-Besäufnis mit Gewalt zu frisieren. Und in einer 1.-Mai-Nacht geriet er an eine Bande, die ihm mit Rasierklingen ein Loch in die Kopfhaut säbelte. Trotzdem hat sich Moabit Peter nie von seinen langen Haaren getrennt: Für einen echten Beatmusik-Fan der sechziger Jahre waren sie einfach unverzichtbar. Wegen seiner Frisur hat er schließlich sogar einen Knochenjob bei der Reichsbahn angenommen. „Die haben damit Werbung gemacht, dass sie auch Langhaarige nehmen. Und so hat man dann alle, die abends in der Disco waren, anderntags auf der Arbeit wiedergetroffen“, sagt Moabit Peter lachend.
Er trägt die Haare noch immer lang, auch wenn sie inzwischen grau und weniger zahlreich sind. Und er ist immer noch ein großer Rock-Fan und begeisterter Konzertgänger. Ob amerikanische Newcomer-Band oder englischer Altstar – Moabit-Peter ist dabei. Im stets gleichen Outfit – schwarze Jeans und eins der Fan-T-Shirts aus seiner umfangreichen Sammlung – ist er längst zum lebenden Inventar der Berliner Clubszene geworden. Im letzten Jahr hat er 230 Bands gesehen. Manchmal finden mehrere interessante Gigs am selben Abend statt, dann wird Peter – seinen Nachnamen will er nicht nennen – zum Konzerthopper. So wie letztens bei einem Mini-Festival im Postbahnhof, als Moabit Peter anschließend noch in die Maria am Ostbahnhof gespurtet ist, um eine Stunde The Fall mitzubekommen.
Ja, gelegentlich schlaucht das auch, gibt er zu. Aber mehr als zwei, drei Tage Ruhe sind nicht drin. Um auf dem Laufenden zu bleiben, liest Moabit Peter regelmäßig Musikzeitschriften wie den „Rolling Stone“ oder den englischen „New Musical Express“, kauft Platten und hört Radio – besonders gerne die Sendungen von Wolfgang Kraesze und seinem alten Kumpel Wolfgang Doebeling auf Radio Eins.
Das Radio stand auch am Anfang von Moabit Peters Musikbegeisterung. Als er elf war, hörte er – zunächst noch mit den Eltern – den „Schlager der Woche“ auf RIAS. Dann kam eine ähnliche Sendung vom SFB dazu, die englischsprachigen Stationen AFN, BFBS und BBC schaltete er heimlich ein, nachts. Als Moabit Peter 14 Jahre alt war, kam der erste Plattenspieler ins Haus, eine gebraucht gekaufte Musiktruhe. Um sich Platten leisten zu können, trug Peter Zeitungen aus. Er wohnte in Moabit, und weil es in seiner Clique noch zwei andere Peters gab, wurde der Kiez Teil seines Namens.
Peters erste Lieblingsband: die Rolling Stones. Sein Kinderzimmer tapezierte er komplett mit ihren Postern. Natürlich war er dabei, als im September 1965 das legendäre Stones-Konzert in der Waldbühne in einer Massenschlägerei endete. Die Konzertarena wurde völlig verwüstet, doch der damals 16-jährige Schüler kam unbeschadet aus den Tumulten heraus. Ihm war nur ein Grasbüschel in die Fanta geflogen. Sogar die Poster, die er bei einem Würstchenstand in Verwahrung gegeben hatte, konnte er bergen. „Aber draußen packte mich so ein Rowdy und sagte: Ey, was haste da? Ich gab’s ihm, er fand’s okay und wollte es mir gerade zurückgeben, da zerrt ihn ein Polizist weg. So bekam eines der Poster ein Loch. Ich hab’s zu Hause unter den Teppich gelegt – das Loch hat man nachher fast nicht mehr gesehen“, erzählt Moabit Peter. Sein Gedächtnis ist phänomenal, sich mit ihm zu unterhalten ist, wie in einer berlinernden Rock-Enzyklopädie zu blättern. Moabit Peter weiß noch genau, wann Black Sabbath im Audimax der FU spielten (1970), wie viele zahlende Gäste die Talking Heads 1978 im Kant Kino hatten (628) und wer 1979 Vorband für AC/DC in der Eissporthalle war (Judas Priest).
Zu den längsten Leidenschaften des Fans zählt die für Iggy Pop. Den Rock’n’Roll-Berserker hat er mehr als zwanzig Mal live gesehen, zwei Mal traf er ihn persönlich. Als der Sänger Ende der siebziger Jahre in Berlin wohnte, kam er eines späten Abends ins Softrock, wo auch Moabit Peter saß. „Außer mir hat den niemand erkannt. Der kam schon total voll in den Laden rein und hat sich ,Louie Louie‘ von den Kinks gewünscht. Wir haben zusammen Gin Tonic getrunken und statt ,Cheers‘ immer ,Louie Louie‘ gesagt“, erzählt er. Inzwischen trinkt Moabit Peter keinen Alkohol mehr. Die zweite Begegnung fand nach einem Konzert auf dem Ku’damm statt. Iggy Pop kauerte mit einer Begleiterin frierend auf einer Bank, als Moabit Peter vorbeikam. Schnell lieh er sich von einem Taxifahrer einen Stift und bekam ein Autogramm vom müden Punkrock-Gott.
Auch hinter den Kulissen der Konzertszene kennt sich Moabit Peter aus. Er weiß genau, welcher Veranstalter wann welchen Club aufgemacht hat und wer welche Bands in die Stadt geholt hat. Und weil die Macher ihn inzwischen fast alle persönlich kennen, steht er meist auf der Gästeliste. Dass er häufig einer der ältesten Besucher ist, stört ihn nicht, auch Sprüche wie „Ey, Opa, was machst du denn hier?“ prallen an ihm ab. Immer wieder trifft er auf junge Leute, die ihn neugierig ausfragen. Wenn Moabit Peter da ist, das wissen inzwischen viele Berliner Rockfans, sind sie im richtigen Konzert.
Moabit Peter ist Berlins größter Rockfan. Er hat in den letzten vierzig Jahren kaum ein Konzert verpasst
Von Nadine Lange
Bericht aus dem Berliner Tagesspiegel (23.05.2005)
Die langen Haare haben Moabit Peter eine Menge Ärger eingebracht. Auf dem Ku’damm ließ man ihn nicht in die Lokale, und von Baustellen riefen sie ihm „Lolita“ hinterher. Einmal versuchten seine Malerkollegen, ihn beim Feierabend-Besäufnis mit Gewalt zu frisieren. Und in einer 1.-Mai-Nacht geriet er an eine Bande, die ihm mit Rasierklingen ein Loch in die Kopfhaut säbelte. Trotzdem hat sich Moabit Peter nie von seinen langen Haaren getrennt: Für einen echten Beatmusik-Fan der sechziger Jahre waren sie einfach unverzichtbar. Wegen seiner Frisur hat er schließlich sogar einen Knochenjob bei der Reichsbahn angenommen. „Die haben damit Werbung gemacht, dass sie auch Langhaarige nehmen. Und so hat man dann alle, die abends in der Disco waren, anderntags auf der Arbeit wiedergetroffen“, sagt Moabit Peter lachend.
Er trägt die Haare noch immer lang, auch wenn sie inzwischen grau und weniger zahlreich sind. Und er ist immer noch ein großer Rock-Fan und begeisterter Konzertgänger. Ob amerikanische Newcomer-Band oder englischer Altstar – Moabit-Peter ist dabei. Im stets gleichen Outfit – schwarze Jeans und eins der Fan-T-Shirts aus seiner umfangreichen Sammlung – ist er längst zum lebenden Inventar der Berliner Clubszene geworden. Im letzten Jahr hat er 230 Bands gesehen. Manchmal finden mehrere interessante Gigs am selben Abend statt, dann wird Peter – seinen Nachnamen will er nicht nennen – zum Konzerthopper. So wie letztens bei einem Mini-Festival im Postbahnhof, als Moabit Peter anschließend noch in die Maria am Ostbahnhof gespurtet ist, um eine Stunde The Fall mitzubekommen.
Ja, gelegentlich schlaucht das auch, gibt er zu. Aber mehr als zwei, drei Tage Ruhe sind nicht drin. Um auf dem Laufenden zu bleiben, liest Moabit Peter regelmäßig Musikzeitschriften wie den „Rolling Stone“ oder den englischen „New Musical Express“, kauft Platten und hört Radio – besonders gerne die Sendungen von Wolfgang Kraesze und seinem alten Kumpel Wolfgang Doebeling auf Radio Eins.
Das Radio stand auch am Anfang von Moabit Peters Musikbegeisterung. Als er elf war, hörte er – zunächst noch mit den Eltern – den „Schlager der Woche“ auf RIAS. Dann kam eine ähnliche Sendung vom SFB dazu, die englischsprachigen Stationen AFN, BFBS und BBC schaltete er heimlich ein, nachts. Als Moabit Peter 14 Jahre alt war, kam der erste Plattenspieler ins Haus, eine gebraucht gekaufte Musiktruhe. Um sich Platten leisten zu können, trug Peter Zeitungen aus. Er wohnte in Moabit, und weil es in seiner Clique noch zwei andere Peters gab, wurde der Kiez Teil seines Namens.
Peters erste Lieblingsband: die Rolling Stones. Sein Kinderzimmer tapezierte er komplett mit ihren Postern. Natürlich war er dabei, als im September 1965 das legendäre Stones-Konzert in der Waldbühne in einer Massenschlägerei endete. Die Konzertarena wurde völlig verwüstet, doch der damals 16-jährige Schüler kam unbeschadet aus den Tumulten heraus. Ihm war nur ein Grasbüschel in die Fanta geflogen. Sogar die Poster, die er bei einem Würstchenstand in Verwahrung gegeben hatte, konnte er bergen. „Aber draußen packte mich so ein Rowdy und sagte: Ey, was haste da? Ich gab’s ihm, er fand’s okay und wollte es mir gerade zurückgeben, da zerrt ihn ein Polizist weg. So bekam eines der Poster ein Loch. Ich hab’s zu Hause unter den Teppich gelegt – das Loch hat man nachher fast nicht mehr gesehen“, erzählt Moabit Peter. Sein Gedächtnis ist phänomenal, sich mit ihm zu unterhalten ist, wie in einer berlinernden Rock-Enzyklopädie zu blättern. Moabit Peter weiß noch genau, wann Black Sabbath im Audimax der FU spielten (1970), wie viele zahlende Gäste die Talking Heads 1978 im Kant Kino hatten (628) und wer 1979 Vorband für AC/DC in der Eissporthalle war (Judas Priest).
Zu den längsten Leidenschaften des Fans zählt die für Iggy Pop. Den Rock’n’Roll-Berserker hat er mehr als zwanzig Mal live gesehen, zwei Mal traf er ihn persönlich. Als der Sänger Ende der siebziger Jahre in Berlin wohnte, kam er eines späten Abends ins Softrock, wo auch Moabit Peter saß. „Außer mir hat den niemand erkannt. Der kam schon total voll in den Laden rein und hat sich ,Louie Louie‘ von den Kinks gewünscht. Wir haben zusammen Gin Tonic getrunken und statt ,Cheers‘ immer ,Louie Louie‘ gesagt“, erzählt er. Inzwischen trinkt Moabit Peter keinen Alkohol mehr. Die zweite Begegnung fand nach einem Konzert auf dem Ku’damm statt. Iggy Pop kauerte mit einer Begleiterin frierend auf einer Bank, als Moabit Peter vorbeikam. Schnell lieh er sich von einem Taxifahrer einen Stift und bekam ein Autogramm vom müden Punkrock-Gott.
Auch hinter den Kulissen der Konzertszene kennt sich Moabit Peter aus. Er weiß genau, welcher Veranstalter wann welchen Club aufgemacht hat und wer welche Bands in die Stadt geholt hat. Und weil die Macher ihn inzwischen fast alle persönlich kennen, steht er meist auf der Gästeliste. Dass er häufig einer der ältesten Besucher ist, stört ihn nicht, auch Sprüche wie „Ey, Opa, was machst du denn hier?“ prallen an ihm ab. Immer wieder trifft er auf junge Leute, die ihn neugierig ausfragen. Wenn Moabit Peter da ist, das wissen inzwischen viele Berliner Rockfans, sind sie im richtigen Konzert.