Habe ich heute in der Tagespresse gelesen
und werde mir die CD am WE mal reinziehen.... Bin gespannt darauf!
:rudi_test:
Soldaten fallen wie Fleischklumpen
Von Nick Joyce.
PJ Harvey singt auf ihrem neuen Album über die Schrecken des Ersten Weltkriegs – und kommentiert damit auch die englische Gegenwart.
PJ Harvey klingt unschuldig, aber ihr neues Album birgt das Grauen.
Der Krieg klingt seltsam, nach geisterhaften Xylo- und blökenden Saxofonen. Aber er klingt nicht schwer. Sie habe das grosse Thema anpacken wollen, sagt Polly Jean Harvey, ohne Musik zu machen, die das Gewicht der Bedeutung vor sich hertrage. Es geht auf «Let England Shake», dem neuen Album der 41-jährigen Engländerin, also um Patriotismus, Krieg und um die Konsequenzen. Aber die Rockmusik, die davon erzählt, ist mit einer folkigen Lockerheit gespielt. Ohne Gitarrenriffs und ohne grosse Grooves – die zwölf Songs kommen und vergehen wie Windböen.
Nur, dass sie eben den fatalen Gestank von Giftgas mit sich tragen. Dieser Eindruck verdankt sich auch der leisen Intensität von Harveys Gesang. Der fesselt sofort, und so kommen schleichend auch die Texte zur Geltung. Und mit welcher Brutalität! Soldaten fallen wie Fleischklumpen, Verletzte hängen im Stacheldraht, und der Boden ist aufgeweicht vom Blut. Schauplatz dieser Schrecken ist der Erste Weltkrieg, genauer: das Massaker auf der Halbinsel Gallipoli. Hier lancierten 1915 britische und französische Militärs eine Offensive und ernteten ein strategisches und menschliches Desaster. «Let England Shake» nimmt darauf direkten Bezug.
Weltkarriere im Schritttempo
Dies ist das beste, dringendste Album von PJ Harvey seit «To Bring You My Love». Mit dieser Platte stand sie 1995 kurz davor, ein grosser Rockstar zu werden. Ihr erotisch knisternder und verrätselter Blues-Entwurf fürs GrungeZeitalter verkaufte sich eine Million Mal. Doch es folgte eine Weltkarriere im Schritttempo. Harvey veröffentlichte alle drei bis vier Jahre neue Alben, und sie entfernte sich immer weiter von der Musik, die sie bekannt gemacht hatte.
Für «White Chalk» (2007) legte sie schliesslich die Stromgitarre weg und machte das Klavier zu ihrem Hauptinstrument, obwohl sie darauf bestenfalls eine talentierte Dilettantin war. Sie wollte weg aus ihrer Komfortzone, in der sie es sich mit ruppigem Rock und Noise vielleicht etwas zu bequem gemacht hatte. Sie verlegte ihre Stimme in hohe Register und klang so nicht mehr wie die alttestamentarische Furie, die sich mit Zorn und Verlangen durch ihre frühen Alben geschnaubt hatte – sondern plötzlich ganz mädchenhaft.
Aktuell und brisant
An diesem Gesangsstil hält Harvey fest, doch wirkt er jetzt viel sinniger. Er wird zum Teil der kargen Vision dieser neuen Platte, die in ihrer Trostlosigkeit an die Konzept- und Kriegsalben von Pink Floyd erinnert («The Wall», «The Final Cut»). Die sich in ihrer Intention dann aber unterscheidet: PJ Harvey betrauert nicht die zerschlagenen Hoffnungen der Nachkriegsgenerationen. Sie beklagt das 20. Jahrhundert als ein verlorenes, in dem ihr geliebtes England an fernen Fronten immer wieder Blut vergossen hat – und dies bis heute tut. Dazu passt die Musik: Auch dank vielen Verweisen an die Popmusik der letzten fünfzig Jahre wirkt «Let England Shake» wie der Entwurf einer zeitgemässen und politisch aufgeschlossenen Folkmusik.
Damit ist PJ Harvey der Vision, wie sie die britischen Punks von The Clash auf ihren besten Platten formuliert haben, nun deutlich näher als dem Pathos von Pink Floyd. Und sie kommt damit zu einem Zeitpunkt heraus, da es im britischen Pop durchaus wieder Bedarf gibt für einen so harten, gedrungenen und auch aggressiven Entwurf. Dient der Folk von der Insel – gerade auch mit seinem aktuellen, leisen Revival – doch vor allem der Mythologisierung eines alten, idyllischen England. Und zeugt darum mehr von Wunschdenken und Wurzellosigkeit als von politischer, protestierender Zeitgenossenschaft.
Diese historisch gefilterte Aktualität verleiht diesem Album seine Brisanz. Und der Sängerin ihre berauschende Kraft. Es ist, als wüsste PJ Harvey wieder, warum sie Songs schreibt. Auf «Let England Shake» dreht sich ihre Kunst zum ersten Mal seit langem nicht mehr um die Unterwanderung des kreativen Prozesses, sondern um Fragen von Identität und Herkunft. Und darum, wie sie die eigene Persönlichkeit prägen.
«Let England Shake» klingt unschuldig und birgt das Grauen. In diese Platte hineinzublicken, heisst, sich erschüttern zu lassen. Es heisst aber auch, auf eine verdrehte, ja perverse Art grossartig unterhalten zu werden.
und werde mir die CD am WE mal reinziehen.... Bin gespannt darauf!
:rudi_test:
Soldaten fallen wie Fleischklumpen
Von Nick Joyce.
PJ Harvey singt auf ihrem neuen Album über die Schrecken des Ersten Weltkriegs – und kommentiert damit auch die englische Gegenwart.
PJ Harvey klingt unschuldig, aber ihr neues Album birgt das Grauen.
Der Krieg klingt seltsam, nach geisterhaften Xylo- und blökenden Saxofonen. Aber er klingt nicht schwer. Sie habe das grosse Thema anpacken wollen, sagt Polly Jean Harvey, ohne Musik zu machen, die das Gewicht der Bedeutung vor sich hertrage. Es geht auf «Let England Shake», dem neuen Album der 41-jährigen Engländerin, also um Patriotismus, Krieg und um die Konsequenzen. Aber die Rockmusik, die davon erzählt, ist mit einer folkigen Lockerheit gespielt. Ohne Gitarrenriffs und ohne grosse Grooves – die zwölf Songs kommen und vergehen wie Windböen.
Nur, dass sie eben den fatalen Gestank von Giftgas mit sich tragen. Dieser Eindruck verdankt sich auch der leisen Intensität von Harveys Gesang. Der fesselt sofort, und so kommen schleichend auch die Texte zur Geltung. Und mit welcher Brutalität! Soldaten fallen wie Fleischklumpen, Verletzte hängen im Stacheldraht, und der Boden ist aufgeweicht vom Blut. Schauplatz dieser Schrecken ist der Erste Weltkrieg, genauer: das Massaker auf der Halbinsel Gallipoli. Hier lancierten 1915 britische und französische Militärs eine Offensive und ernteten ein strategisches und menschliches Desaster. «Let England Shake» nimmt darauf direkten Bezug.
Weltkarriere im Schritttempo
Dies ist das beste, dringendste Album von PJ Harvey seit «To Bring You My Love». Mit dieser Platte stand sie 1995 kurz davor, ein grosser Rockstar zu werden. Ihr erotisch knisternder und verrätselter Blues-Entwurf fürs GrungeZeitalter verkaufte sich eine Million Mal. Doch es folgte eine Weltkarriere im Schritttempo. Harvey veröffentlichte alle drei bis vier Jahre neue Alben, und sie entfernte sich immer weiter von der Musik, die sie bekannt gemacht hatte.
Für «White Chalk» (2007) legte sie schliesslich die Stromgitarre weg und machte das Klavier zu ihrem Hauptinstrument, obwohl sie darauf bestenfalls eine talentierte Dilettantin war. Sie wollte weg aus ihrer Komfortzone, in der sie es sich mit ruppigem Rock und Noise vielleicht etwas zu bequem gemacht hatte. Sie verlegte ihre Stimme in hohe Register und klang so nicht mehr wie die alttestamentarische Furie, die sich mit Zorn und Verlangen durch ihre frühen Alben geschnaubt hatte – sondern plötzlich ganz mädchenhaft.
Aktuell und brisant
An diesem Gesangsstil hält Harvey fest, doch wirkt er jetzt viel sinniger. Er wird zum Teil der kargen Vision dieser neuen Platte, die in ihrer Trostlosigkeit an die Konzept- und Kriegsalben von Pink Floyd erinnert («The Wall», «The Final Cut»). Die sich in ihrer Intention dann aber unterscheidet: PJ Harvey betrauert nicht die zerschlagenen Hoffnungen der Nachkriegsgenerationen. Sie beklagt das 20. Jahrhundert als ein verlorenes, in dem ihr geliebtes England an fernen Fronten immer wieder Blut vergossen hat – und dies bis heute tut. Dazu passt die Musik: Auch dank vielen Verweisen an die Popmusik der letzten fünfzig Jahre wirkt «Let England Shake» wie der Entwurf einer zeitgemässen und politisch aufgeschlossenen Folkmusik.
Damit ist PJ Harvey der Vision, wie sie die britischen Punks von The Clash auf ihren besten Platten formuliert haben, nun deutlich näher als dem Pathos von Pink Floyd. Und sie kommt damit zu einem Zeitpunkt heraus, da es im britischen Pop durchaus wieder Bedarf gibt für einen so harten, gedrungenen und auch aggressiven Entwurf. Dient der Folk von der Insel – gerade auch mit seinem aktuellen, leisen Revival – doch vor allem der Mythologisierung eines alten, idyllischen England. Und zeugt darum mehr von Wunschdenken und Wurzellosigkeit als von politischer, protestierender Zeitgenossenschaft.
Diese historisch gefilterte Aktualität verleiht diesem Album seine Brisanz. Und der Sängerin ihre berauschende Kraft. Es ist, als wüsste PJ Harvey wieder, warum sie Songs schreibt. Auf «Let England Shake» dreht sich ihre Kunst zum ersten Mal seit langem nicht mehr um die Unterwanderung des kreativen Prozesses, sondern um Fragen von Identität und Herkunft. Und darum, wie sie die eigene Persönlichkeit prägen.
«Let England Shake» klingt unschuldig und birgt das Grauen. In diese Platte hineinzublicken, heisst, sich erschüttern zu lassen. Es heisst aber auch, auf eine verdrehte, ja perverse Art grossartig unterhalten zu werden.