FREAKSHOW-ARTROCK-FESTIVAL 2010 - PART II
Die Herbstversion des Würzburger "Avant-Classical-Rock"-Meetings am Samstag, dem 25.09.2010, bestätigt mir wieder die Gutmütigkeit der davon angesprochenen und auch recht zahlreich angelockten Klientel.
Kurzfristig verlegt wieder in die Franz-Oberthür-Schule am - nomen est omen - Zwerchgraben, nix zu Essen, KEINE GETRÄNKE, dazu Siffwetter, bei dem man kaum einen Raucher vor die Tür schicken möchte. Aber das alles spielt keine Rolle, wenn um Halbzwei der erste Ton erklingt.
ARANIS aus Belgien präsentieren ihr neues Programm "Roqueforte" - Küchenlatein für die Sinne. Von den personellen Wechseln seit ihrem Auftritt bei der Freakparade 2008 sind zwei durchaus bemerkenswert: Piano spielt nun Pierre Chevalier (von Univers Zero); und mit Dave Kerman (von Present) ist erstmals ein Drummer dabei, der sich dem Kontext anpasst mit einer für ihn ungewohnten Krawatte. Das Septett spielt nämlich feine Musik, komponiert vom Kontrabassisten Joris Vanvinckenroye, die den Appetit auf Michael-Nyman- und Astor-Piazzolla-, aber auch Univers-Zero-verwandte Köstlichkeiten nach eigenen Rezepten befriedigt. Nicht vorbelasteten Geschmäckern vermittelt sich Aranis einfach als köstlicher Groove, den, eigentlich ganz rockfern und geschmackswidrig, Flöte und Geige weben, dazu Piano und eine Gitarre, die nie eine School of Rock von innen sah. Trotzdem, und das ist das Bezaubernde, verleiht diese Musik der Welt ein leichtes Gefälle. Wie selbstverständlich rollt man voran, wie beflügelt schwingt man dahin. Dank der komplexen Arrangements wirkt das nicht naiv, eher wunderbar logisch, die Zustimmung ergibt sich wie von selbst.
Oberflächlich gehört, mag das alles wie ein Stück in x Versionen klingen, aber hier stecken gute Geister in den Details. Zwischen "Roque", den kurzen Salat-Gängen "Ade I-IV" und dem ausgedehnten "Naise" erklingen auch, ohne Kerman, ältere Stück wie "Turbulentie" mit seinem pikanten Pizzikato, "Trog" mit seinen knurrigen Arcostrichen und Mythra" als Nyman à la Strawinsky. Vanvinckenroyes Arrangierkunst, Vitalität und die dynamische Feminität der Flötistin Jana Arns, einer zierlichen, gestiefelten Gallierin in Braun, der schwungvollen Geigerin Liesbeth Lamprecht, der souveränen Akkordeonistin Marjolein Cools, verbinden sich zu unvermuteter Sogwirkung. Kerman verstärkt feinfühlig pochend und tickend den rhythmischen Drive, der Aranis so schön rollen lässt. Von solcher Klassik wollen die Wochenend-Freaks prompt einen Nachschlag.
Danach
SLEEPYTIME GORILLA MUSEUM,
bei ihrer dritten Freakshow kompakter, aber auch befremdlicher. Als theatralisch geschminkte Mad Max-Gestalten - auch die Männer in einer Art Priesterrock - buchstabieren die Kalifornier mit ihrer bizarren Mixtur aus Pathos, Avant-Rock und Butoh-Metall wie zur Zeit keine zweite Band FREAKS in Großbuchstaben. Nils Frykdahl ist, erstmals ohne seinen Kinn-Zopf, als Harlekin und Two-Spirit der Zeremonienmeister der Freakshow. Er "spricht" mit Schultern wie rollender Donner und Armen wie lispelnde Schlangen, mit ausdrucksstarker Mimik und der Zunge eines Taubstummen, er lallt und haspelt und verschluckt die Wörter und leitet so von Song zu Song, mit heiligem Unernst hart an der Schmerzgrenze. Dan Rathbun lässt seinen Sledgehammer-Dulcimer dröhnen, schlägt massive Zeuhlbassriffs. Matthias Bossi ist der straighte Trommler, Michael Mellender mit seinen Wannen und Schrottteilen, mit Gitarre und Trompete, ein perkussives und klangliches Schrapnell. Links geigt und singt die heißverehrte Avant-Madonna Carla Kihlstedt, die wilde Rose in diesem Dornbusch.
Statt weiterem Instrumentarium hat sie diesmal ihr Töchterchen Tallulah dabei. Die Gorillas inszenieren "anschwellende Bocksgesänge", aber eben mit einem grotesken Haken, der normale Maßstäbe durchkreuzt und einen in den Bann schlägt. Lautstärke und massive Metalriffs sind Attraktionen, die die Geister spalten. Unvertraut sind das anfänglich zarte, von Carla als Vögelchen umflatterte, aber zunehmend dramatisch gehämmerte Lied vom "Salamander", und ein noch etwas wackeliger Fetzer, den Mellender sich ausgedacht hat. Daneben gibt es Unverzichtbares wie Carlas rasant gefiedelte Hymne "Angle of Repose", das eisenhaltige "The Widening Eye" mit seinem treppab holpernden Accelerandoriff oder den Zombieaufstand "Helpless Corpses Enactment" mit seinem stolpernden Metalstakkato, Frykdahls wie an Knochen nagendem Gesang und dem kollektiven "Rise You Must!"
Live sind diese in der Substanz ökologisch und "weltanschaulich" engagierten Songs besonders struppig und lustvoll kakophon zerzaust. Als Zugabe gibt es das großartige "Sleep Is Wrong" in einer besonders krassen Version, mit lang anhaltenden zungenrednerischen Gesängen, deren letzter, wie rasend schlagwerkgekurbelt, irrwitzig gekeckertem Kecak ähnelt. SO MUSS DAS SEIN!! Sleepytime sind unbestritten der mächtige, großherzige King Kong jeder Freakshow.
Jetzt noch MAGMA, nach laaaangem Soundcheck furioser als erwartet, nachdem ich vor einer weichgespülten Säuselversion des Zeuhlkults gewarnt worden war. Allerdings sind das Kobaïanisch-Trollige und der Orkbiss völlig sublimiert in Swingle-Singers-Gospelei, die Orffschen Carmina transformiert in Soul und die beiden ersten Stücke - noch namenlos - klingen entsprechend - wie soll ich sagen? - poppig? - amerikanisch? Die prächtige Version von "Emëhntëhtt-Re", die den Hauptteil ausmacht, lässt mich dann etwas Jiddisches assoziieren, chassidische Spiritualität und Euphorie. Der dreistimmige Chor schürt im unermüdlichen Reigen mit beschwingter, abwechselnd einzelner und wieder vereinter, ätherisch webender und insistierender, immer wieder ekstatisch gipfelnder Vokalisation eine Hitzigkeit, in der die Macht von Musik, Trance und Levitation zu initiieren, deutlich zu spüren ist. Vander setzt als Kantor der "Hhai"-Beschwörung die pathetischen Höhepunkte, wobei ihm die Klebestreifen von sämtlichen Fingern baumeln. Die alte Pelzwurst in ihrer kurzen Büx ist immer noch ein erstaunlicher Seelenführer, der die Magmaeske Bimmelbahn Serpentine um Serpentine himmelwärts treibt. Sein federnder Drive, seine wie von innen heraus elektrisierten Blitzschläge, suchen ihresgleichen. Jim Grandcamp, der Ersatzmann für Mac Gaw an der Gitarre, bleibt zweckdienlich, der Bassist spielt nur die Pastellversion eines Zeuhlbasses, das Keyboard, na ja. Aber eine Band, in der mit Benoit Alziary ein Vibraphonist eine Hauptrolle spielt, hat nun mal eine eigene Klangvision. Ich möchte wetten, dass Vander dabei Lionel Hampton im Sinn hat. Stella Vander gibt die ewig junge Existentialistin. Isabelle Feuillebois sorgt im langen Hosenrock für den Hippietouch, wie ja überhaupt die Tambourins klingeln, als wären Gospel und Folk Geschwister. Der Sänger Hervé Aknin, inzwischen ein Obermaat auf dieser Himmelsarche, die mit aller Macht der Anziehungskraft der Erde sich entzieht - obwohl es jede High Fidelity in der Franz-Oberthür-Schule doppelt schwer hat - mischt in die rosarote Orgie ein Piratenkopftuch. Das reicht nicht, um die himmlisch-helle Seite herauszufordern. Besser Kirchentag als Reichsparteitag? Mein innerer Gorilla grinst verlegen.
Zum Glück ist die Sleepytimeisierung nachhaltig genug, um einen Samstag ins Gedächtnis zu versenken, den man sich kaum schöner hätte saufen können.
copyright: RIBOBERT DITTMAN (www.badalchemy.de)
freakCha
Die Herbstversion des Würzburger "Avant-Classical-Rock"-Meetings am Samstag, dem 25.09.2010, bestätigt mir wieder die Gutmütigkeit der davon angesprochenen und auch recht zahlreich angelockten Klientel.
Kurzfristig verlegt wieder in die Franz-Oberthür-Schule am - nomen est omen - Zwerchgraben, nix zu Essen, KEINE GETRÄNKE, dazu Siffwetter, bei dem man kaum einen Raucher vor die Tür schicken möchte. Aber das alles spielt keine Rolle, wenn um Halbzwei der erste Ton erklingt.
ARANIS aus Belgien präsentieren ihr neues Programm "Roqueforte" - Küchenlatein für die Sinne. Von den personellen Wechseln seit ihrem Auftritt bei der Freakparade 2008 sind zwei durchaus bemerkenswert: Piano spielt nun Pierre Chevalier (von Univers Zero); und mit Dave Kerman (von Present) ist erstmals ein Drummer dabei, der sich dem Kontext anpasst mit einer für ihn ungewohnten Krawatte. Das Septett spielt nämlich feine Musik, komponiert vom Kontrabassisten Joris Vanvinckenroye, die den Appetit auf Michael-Nyman- und Astor-Piazzolla-, aber auch Univers-Zero-verwandte Köstlichkeiten nach eigenen Rezepten befriedigt. Nicht vorbelasteten Geschmäckern vermittelt sich Aranis einfach als köstlicher Groove, den, eigentlich ganz rockfern und geschmackswidrig, Flöte und Geige weben, dazu Piano und eine Gitarre, die nie eine School of Rock von innen sah. Trotzdem, und das ist das Bezaubernde, verleiht diese Musik der Welt ein leichtes Gefälle. Wie selbstverständlich rollt man voran, wie beflügelt schwingt man dahin. Dank der komplexen Arrangements wirkt das nicht naiv, eher wunderbar logisch, die Zustimmung ergibt sich wie von selbst.
Oberflächlich gehört, mag das alles wie ein Stück in x Versionen klingen, aber hier stecken gute Geister in den Details. Zwischen "Roque", den kurzen Salat-Gängen "Ade I-IV" und dem ausgedehnten "Naise" erklingen auch, ohne Kerman, ältere Stück wie "Turbulentie" mit seinem pikanten Pizzikato, "Trog" mit seinen knurrigen Arcostrichen und Mythra" als Nyman à la Strawinsky. Vanvinckenroyes Arrangierkunst, Vitalität und die dynamische Feminität der Flötistin Jana Arns, einer zierlichen, gestiefelten Gallierin in Braun, der schwungvollen Geigerin Liesbeth Lamprecht, der souveränen Akkordeonistin Marjolein Cools, verbinden sich zu unvermuteter Sogwirkung. Kerman verstärkt feinfühlig pochend und tickend den rhythmischen Drive, der Aranis so schön rollen lässt. Von solcher Klassik wollen die Wochenend-Freaks prompt einen Nachschlag.
Danach
SLEEPYTIME GORILLA MUSEUM,
bei ihrer dritten Freakshow kompakter, aber auch befremdlicher. Als theatralisch geschminkte Mad Max-Gestalten - auch die Männer in einer Art Priesterrock - buchstabieren die Kalifornier mit ihrer bizarren Mixtur aus Pathos, Avant-Rock und Butoh-Metall wie zur Zeit keine zweite Band FREAKS in Großbuchstaben. Nils Frykdahl ist, erstmals ohne seinen Kinn-Zopf, als Harlekin und Two-Spirit der Zeremonienmeister der Freakshow. Er "spricht" mit Schultern wie rollender Donner und Armen wie lispelnde Schlangen, mit ausdrucksstarker Mimik und der Zunge eines Taubstummen, er lallt und haspelt und verschluckt die Wörter und leitet so von Song zu Song, mit heiligem Unernst hart an der Schmerzgrenze. Dan Rathbun lässt seinen Sledgehammer-Dulcimer dröhnen, schlägt massive Zeuhlbassriffs. Matthias Bossi ist der straighte Trommler, Michael Mellender mit seinen Wannen und Schrottteilen, mit Gitarre und Trompete, ein perkussives und klangliches Schrapnell. Links geigt und singt die heißverehrte Avant-Madonna Carla Kihlstedt, die wilde Rose in diesem Dornbusch.
Statt weiterem Instrumentarium hat sie diesmal ihr Töchterchen Tallulah dabei. Die Gorillas inszenieren "anschwellende Bocksgesänge", aber eben mit einem grotesken Haken, der normale Maßstäbe durchkreuzt und einen in den Bann schlägt. Lautstärke und massive Metalriffs sind Attraktionen, die die Geister spalten. Unvertraut sind das anfänglich zarte, von Carla als Vögelchen umflatterte, aber zunehmend dramatisch gehämmerte Lied vom "Salamander", und ein noch etwas wackeliger Fetzer, den Mellender sich ausgedacht hat. Daneben gibt es Unverzichtbares wie Carlas rasant gefiedelte Hymne "Angle of Repose", das eisenhaltige "The Widening Eye" mit seinem treppab holpernden Accelerandoriff oder den Zombieaufstand "Helpless Corpses Enactment" mit seinem stolpernden Metalstakkato, Frykdahls wie an Knochen nagendem Gesang und dem kollektiven "Rise You Must!"
Live sind diese in der Substanz ökologisch und "weltanschaulich" engagierten Songs besonders struppig und lustvoll kakophon zerzaust. Als Zugabe gibt es das großartige "Sleep Is Wrong" in einer besonders krassen Version, mit lang anhaltenden zungenrednerischen Gesängen, deren letzter, wie rasend schlagwerkgekurbelt, irrwitzig gekeckertem Kecak ähnelt. SO MUSS DAS SEIN!! Sleepytime sind unbestritten der mächtige, großherzige King Kong jeder Freakshow.
Jetzt noch MAGMA, nach laaaangem Soundcheck furioser als erwartet, nachdem ich vor einer weichgespülten Säuselversion des Zeuhlkults gewarnt worden war. Allerdings sind das Kobaïanisch-Trollige und der Orkbiss völlig sublimiert in Swingle-Singers-Gospelei, die Orffschen Carmina transformiert in Soul und die beiden ersten Stücke - noch namenlos - klingen entsprechend - wie soll ich sagen? - poppig? - amerikanisch? Die prächtige Version von "Emëhntëhtt-Re", die den Hauptteil ausmacht, lässt mich dann etwas Jiddisches assoziieren, chassidische Spiritualität und Euphorie. Der dreistimmige Chor schürt im unermüdlichen Reigen mit beschwingter, abwechselnd einzelner und wieder vereinter, ätherisch webender und insistierender, immer wieder ekstatisch gipfelnder Vokalisation eine Hitzigkeit, in der die Macht von Musik, Trance und Levitation zu initiieren, deutlich zu spüren ist. Vander setzt als Kantor der "Hhai"-Beschwörung die pathetischen Höhepunkte, wobei ihm die Klebestreifen von sämtlichen Fingern baumeln. Die alte Pelzwurst in ihrer kurzen Büx ist immer noch ein erstaunlicher Seelenführer, der die Magmaeske Bimmelbahn Serpentine um Serpentine himmelwärts treibt. Sein federnder Drive, seine wie von innen heraus elektrisierten Blitzschläge, suchen ihresgleichen. Jim Grandcamp, der Ersatzmann für Mac Gaw an der Gitarre, bleibt zweckdienlich, der Bassist spielt nur die Pastellversion eines Zeuhlbasses, das Keyboard, na ja. Aber eine Band, in der mit Benoit Alziary ein Vibraphonist eine Hauptrolle spielt, hat nun mal eine eigene Klangvision. Ich möchte wetten, dass Vander dabei Lionel Hampton im Sinn hat. Stella Vander gibt die ewig junge Existentialistin. Isabelle Feuillebois sorgt im langen Hosenrock für den Hippietouch, wie ja überhaupt die Tambourins klingeln, als wären Gospel und Folk Geschwister. Der Sänger Hervé Aknin, inzwischen ein Obermaat auf dieser Himmelsarche, die mit aller Macht der Anziehungskraft der Erde sich entzieht - obwohl es jede High Fidelity in der Franz-Oberthür-Schule doppelt schwer hat - mischt in die rosarote Orgie ein Piratenkopftuch. Das reicht nicht, um die himmlisch-helle Seite herauszufordern. Besser Kirchentag als Reichsparteitag? Mein innerer Gorilla grinst verlegen.
Zum Glück ist die Sleepytimeisierung nachhaltig genug, um einen Samstag ins Gedächtnis zu versenken, den man sich kaum schöner hätte saufen können.
copyright: RIBOBERT DITTMAN (www.badalchemy.de)
freakCha