Hindi Zahra – Handmade

sehr ungewöhnlich!

 
firebyrd
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Hindi Zahra – Handmade

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Gepostet: 21.04.2010 - 07:55 Uhr  ·  #1
Hindi Zahra – Handmade

Akustische Gitarre im schunkelnden Stil einer verlangsamten Version eines Stückes aus der Geschichte des 'Gypsy Swing', einst von Django Reinhardt ins Leben gerufen. Dazu Geräusche zwischen Klatschen und Perkussion und einer weiteren Gitarre. Irgend etwas heult im Hintergrund, dazu Stimmenfetzen unter dem dezent swingenden Gesang, der ein wenig an das erinnert, was wir von Madeleine Peyroux kennen.
Sehr ungewöhnlich, dieser "Beautiful Tango" zu Beginn einer Platte mit reichlich sonderlicher Musik, die bis auf eine Ausnahme ("Oursoul") in englischer Sprache vorgetragen wird.

Hindi Zahra, die für alle Songs verantwortlich oder mindestens mitverantwortlich zeichnet, wurde in Marokko geboren, siedelte mit ihrem Vater in jungen Jahren nach Paris und lebt heute in London.

So kam sie im Laufe ihres 30-jährigen Lebens mit verschiedenen Musikstilen in Berührung wie zum Beispiel mit der traditionellen Musik der Berber. Einflüsse von Musikern wie Ali Farka Touré oder Cheika Rimitti prägten zudem, oder als Backgroundsängerin gab es Kontakte zu Soul und HipHop.

Wir hören auf "Handmade" eine kühne Mischung aus afrikanischen Klängen, Blues, World Music, Jazz und Folk, und das in relativ gemäßigtem und überwiegend ruhigen Vortrag.

Wiederum ein schunkelnd-hypnotisches Stück mit afrikanischem Themenbezug ist "Oursoul", in der Sprache der Berber gesungen. Thematisch geht es um Zwangsheiraten.

Cool und lasziv swingend ist "Fascination", ein Track, der dadurch in der Tat Faszination ausübt, hier kommt eine gewisse Liebe zu altem Jazz längst vergangener Zeiten zum Tragen.

"Set Me Free", das geht klar in die Richtung eines Ali Farka Touré, das hat einen stark bluesigen Ausdruck, aber die afrikanische Variante, bitte! Verzerrte E-Gitarren schleichen sich durch die perkussive Nummer, noch einmal pure Faszination - man ist erstaunt über die besondere 'Fremdartigkeit' dieser Musik, die sich so frei gibt, wie die Nomaden: nicht zu packen, nicht zu kategorisieren, ein 'Wall Of Sound der Feinheiten'!
Denn man wird nicht unmittelbar und sofort 'angesprungen', man muss hineinwachsen in dieses unwiderstehliche Geflecht von Klängen.

"Kiss & Thrills", da schwelgt die Gitarre, wie man es einst von Peter Green gewohnt war: Sehr sensible Einstreuungen in das hypnotische Gesangs-/Perkussionsgeflecht, so dümpelt der Song betörend dahin, bis "At The Same Time" mit lasziv-rumpelndem Swing ablöst.
Manchmal glaube ich, eine Version eines Stückes des britischen Duos Congregation zu vernehmen; genau jenes raue Element taucht auch hier stets wieder auf - jedoch leichter, luftiger und flockiger.
Die Leichtigkeit des Vortrags eines Ali Farka Touré nimmt wieder Gestalt an. Dazu gesellt sich dann noch eine nordafrikanische Variante mit dezent orientalischem Anflug.

"Imik Si Mik", nun swingt es, ein sehr jazziger Titel. "Stand Up" geht druckvoller zur Sache, Rhythmuswechsel mit gar leichten Reggae-Anklängen geben eine ganz individuelle Färbung. Dazu wiederum arabische Einflüsse als Veredelung - 'erste Sahne'!

"Music" hat gar Anteile von Popmusik mit Rockelementen, das fällt aus dem Rahmen.
Weniger druckvoll, sehr verspielt-folkig nun "Don't Forget", und mit "Old Friends" werden wir mit geheimnisvollen Tönen verabschiedet. Das ist der gewisse Anteil von Psychedelic, der sehr stark zum Ausdruck kommt, abgehobenes Stimmgewirr, ach, David Crosby könnte wunderbar mitmischen. Schwebend und schwerelos treibt der Song vor sich hin. Schade, knapp drei Minuten sind viel zu kurz, aber ein hervorragender Abschluss einer der vielseitigsten und faszinierendsten Platten der letzten Zeit.

Bei vielen Titeln fällt auf, dass trotz der relativen Schlichtheit der Arrangements im Hintergrund stets etwas zu passieren scheint. Da schwirren Vokalfetzen, da klackert die Perkussion, und wahrscheinlich stammen viele dieser Klänge von der Gitarre. Zahra besticht durch ihre melancholische und zurückhaltende, aber dennoch ausdrucksstarke Stimme.
Ahnlich wie Billie Holiday ist diese Bestandteil des Ganzen, als Instrument, und doch mit ganz anderer Klangfärbung und mit anderem Ausdruck.
Meinen Glückwunsch, 'Blue Note', zu dieser Verpflichtung. Ich hoffe, man wird der Künstlerin weiterhin viel freie Hand lassen.

Und - der Trend scheint fortzuschreiten, Blue Note ist schon lange kein reines Jazzlabel mehr.
Die Musiker:

Hindi Zahra (vocals, guitars, percussion, piano - #4,9,11; melodica - #7)
Romain Vaugeois (guitars - #1,2)
Thierry Moutoussamy (percussion)
Fritz Sunderman (guitars - #2,3,4,9,11; mandocello - #6)
Sjang Coenen (bass machine - #2,9; bass -#3,4,6,9; double bass - #11)
Karel de Backer (drums - #2,3,4,7)
Thomas Naim (guitars - #3,4,5,7,8,9,10)
Lucile Loison (background vocals - #3,4,7)
Abdenour Djemai (guitars - #4,5; percussion - #5, mandole tres - #8, bendir - #8)
Dominique Vantomme (keyboards - #4)
David Aubaile (keyboards - #8)
Gael Chosson (drums, percussion - #8)
Camille Ablard (cello - #10)
Abdoulaye Traoré (guitars - #10

Die Titel:

01:Beautiful Tango (3:56)
02:Oursoul (3:16)
03:Fascination (3:35)
04:Set Me Free (3:52)
05:Kiss & Thrills (3:51)
06:At The Same Time (3:23)
07:Imik Si Mik (3:55)
08:Stand Up (4:39)
09:Music (3:49)
10:Don't Forget (3:47)
11:Old Friends (2:59)

Website:

http://www.hindi-zahra.com/

Wolfgang
risou
 
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Re: Hindi Zahra – Handmade

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Gepostet: 21.04.2010 - 20:19 Uhr  ·  #2
Oh ha! Die Scheibe kann nur gut sein nach dieser Rezi.
"Wall Of Sound der Feinheiten"
:idea: :daumen:
freaksound
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Re: Hindi Zahra – Handmade

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Gepostet: 26.04.2010 - 17:09 Uhr  ·  #3
schönheit liegt zwar oft im Ohr des Hörers, aber ich gebe dir recht - klingt wieder mal sehr interessant.
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