Terje Rypdal - Same

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firebyrd
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Terje Rypdal - Same

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Gepostet: 26.03.2021 - 19:01 Uhr  ·  #1
Terje Rypdal - Same (1971)

1971 - die Sixties waren fast "verdaut", die Siebziger brachten teilweise neue Eindrücke, teilweise Weiterentwicklungen und auch teilweise merkwürdige Blüten hervor. Wo stand ich musikalisch in jenem Jahr? Da musste ich erst einmal tief zurückblicken und resümieren. Nun, zunächst - welche in jenem Jahr erschienene Platten kaufte ich mir damals?
Diese LPs waren auf jeden Fall dabei: Curtis/Live! - Curtis Mayfield, If I Could Only Remember My Name - David Crosby, White Light - Gene Clark, Tarkus - Emerson, Lake & Palmer, Rory Gallagher - Rory Gallagher, The Cry of Love - Jimi Hendrix, Papa John Creach - Papa John Creach, Rock Love -Steve Miller Band, Rough and Ready -Jeff Beck Group.

Doch, unter anderem bedingt durch John Mayall, erfolgte eine starke Hinwendung zu den Ursprüngen des Blues und den jeweiligen Künstlern, so dass ich unter anderem auch solches kaufte: B.B. King - Live in Cook County Jail, Jimmy Reeves, Jr. - Born To Love Me, Howlin' Wolf - London Sessions.

Als wäre das noch nicht genug, kam es, wie es kommen musste, seit etwa 1970 dann die ersten Hinwendungen zum Jazz, allerdings noch nicht in der klassischen Form, Swing, Bebop, Hard Bop waren noch kein Thema, es startete mit Fusion jener Tage. So fanden solche Platten Einzug in das Regal: Carla Bley - Escalator Over The Hill, Jan Garbarek - Sart, Freddie Hubbard - First Light, Mahavishnu Orchestra - The Inner Mounting Flame, Joe Zawinul - Zawinul, V.A.- New Violin Summit. Und - durch Jan Garbarek kam ich dann unweigerlich auf einen Burschen, der damals bei "Sart" die Gitarre bediente: Terje Rypdal. Also - nix wie hin auf die Suche nach einer Scheibe von ihm. Ich entdeckte, auf dem ECM- Label die von Rypdal dort erschienene erste gleichnamige Platte. Und die hat mich dann voll ins Mark getroffen!

Und auch Nicht-Jazzern sollte dieser vielseitige Musiker zwischenzeitlich zu Ohren gekommen sein. Vielleicht auch durch seine Zusammenarbeit mit dem norwegischen Gitarren-Kollegen Ronni Le Tekrø aus dem Heavy Metal-Lager.

Dabei startete Terje Rypdal auch gar nicht als Jazzmusiker, sondern studierte klassisches Klavier und Trompete, bevor er sich das Gitarrespielen selbst beibrachte. Hank Marvin war seinerzeit eines seiner Vorbilder, als Rypdal mit der Beatgruppe The Vanguards aktiv war. Durch nachfolgende Arbeiten mit den Formationen The Dream und Min Bul sowie den Kontakt zum amerikanischen Komponisten George Russell und deren gemeinsame Arbeit mit Jan Garbarek gab es einen wichtigen Schritt hin zum Jazz. Dieser gipfelte 1969 mit der Teilnahme am Free Jazz-Festival in Baden-Baden.

Nach dem ersten Soloalbum von 1968 ("Bleak House") erschien dann das erste Album für das Münchener Label ECM, aufgenommen am 12. und 13. August 1971 im Arne Bendiksen Studio in Oslo. Hier war von Free Jazz nicht mehr die Rede. Hier wurde ein neuer Sound geboren - eine Klangwelt, die die Welten der klassischen Musik, des Rock, des Jazz, der Avantgarde sowie der norwegischen Folklore verband, wobei sich diese Mischung später noch stärker ausprägen sollte.

Manchmal wirkt sie gespenstisch, diese Stimmung der Musik - voller Melancholie und Einsamkeit und der Rypdal, wie man ihn später durch seinen typischen Gitarrenstil kennenlernte, spielte hier noch anders, war noch im Rock verwurzelt. Aber die Zusammenarbeit der Jahre davor mit Russell und Garbarek hatten ihre Spuren hinterlassen.

Die Gitarre hatte noch diesen 'kalten und klirrenden' Sound, der sich wohltuend von den Gitarristen der damaligen Bewegung der Fusion zwischen Jazz und Rock abhob. So waren es nicht Geschwindigkeitsrekorde auf der Gitarre, sondern individueller Ausdruck, der in den Vordergrund gestellt wurde.

Die Stimmung der Musik ist auch ein wenig mit der Musik von Weather Report in ihrer Anfangsphase zu vergleichen - nur sehr viel 'nordischer, kühler und verklärter'. So treffen wir auf teilweise hypnotisch wirkende Klangbilder, besonders im ersten Track, "Keep It Like That - Tight", der einen durch diesen steten monotonen Basslauf gefangen nimmt, bis sich der Song nach gut fünf Minuten wandelt. Garbarek soliert hier auch noch äußerst inspiriert frei mit seinem Solo auf dem Tenorsaxofon, und zum Schluss setzt Rypdal selbst 'metallische' Akzente.

Ansonsten finden wir auch Musik, die avantgardistische Züge trägt, immer wieder angelehnt an die großen Klassiker Skandinaviens: Grieg und Sibelius, nur eben viel moderner, verkörpert unter anderem durch den Musiker Eckehard Fintl mit Oboe und English Horn. In diese Richtung sollte der Musiker später ja noch verstärkt vorstoßen, auch durch eigene Kompositionen im Bereich der E-Musik.

Doch auch schon mit "Same" zeigt sich schon Rypdals ausgeprägtes Gespür für diese Musik, auf "Lontano II" zum Beispiel. Das ist Gitarre pur, für die Dauer von 3:11 Minuten, rumpelnd, dröhnend, drohend, geisterhaft. Oder auf "Rainbow", wo sich durch den Einsatz der Oboe und der mit starkem Reverb untermalten Gitarre eine befremdliche, wie nicht von dieser Welt stammende Atmosphäre ausbreitet, brillant in Szene gesetzt durch den gestrichenen Bass von Arild Andersen. Rypdal selbst spielte damals auch noch Flöte, insgesamt strahlt dieser Song eine großartige Darstellung von Weite, von klirrender Kälte und einem zauberhaften Märchenwald aus, einem Wald, in dem man sich nicht gern allein aufhalten mag, weil möglicherweise allerlei Ungetier aus den vom Frost weiss gefärbten Büschen springen könnte. Dieses wäre ein großartiger Soundtrack für einen entsprechenden Film.

Auch auf der "Electric Fantasy" wird auch schon einmal das Wah-Wah-Pedal eingesetzt und die Fusion-Stimmung wird von dem damals bereits hervorragenden Jon Christensen am mitunter rockenden Schlagzeug energisch untermalt, hierbei unterstützt von akustischer und elektrischer Bass-Unterstützung, ein mehr als solides Rhythmusfundament bildend. Der virtuose Pianist Bobo Stenson streut wunderbar akzentuierte "Keyboard-Flocken" ein, und Rypdals damalige Frau, Inger Lise, schafft sphärische, schwebende und unwirkliche Klang- Momente mit der elektronisch verfremdeten Stimme. Hier wurde eine Stimmung geschaffen, die durch das English Horn noch verstärkt wird. Die Doppel-Besetzung an Blasinstrumenten, Bass und Keyboards sorgt für einen dichten Sound. So manch einen Einfluss aus der Zeit, als Miles Davis dieses Genre entscheidend in Gang setzte mit "Bitches Brew", findet sich auch hier wieder, die Saat fiel auf sehr fruchtbaren Boden!

So ist dieses eine Platte mit Musik, die für spätere Rypdal-Fans befremdlich wirken mag, aber einen Musiker in Aufbruch-Stimmung zeigt. Dieses mitunter außergewöhnliche Klangerlebnis könnte allerdings auch Freunde innerhalb der progressiven Rock-Fraktion finden.

Terje Rypdal (guitar, flute)
Jan Garbarek (tenor saxophone, flute, clarinet)
Ekkehard Fintl (oboe, English horn)
Bobo Stenson (electric piano - #1,2,4,5)
Tom Halversen (electric piano - #3)
Arild Andersen (electric bass, double-bass)
Bjørnar Andresen (electric bass)
Jon Christensen (drums, percussion)
Inger Lise Rypdal (voice)

01:Keep It Like That - Tight (12:14)
02:Rainbow (7:05)
03:Electric Fantasy (15:33)
04:Lontano II (3:11)
05:Tough Enough (4:44)
(All compositions by Terje Rypdal)

OldMcMetal
 
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Re: Terje Rypdal - Same

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Gepostet: 26.03.2021 - 21:31 Uhr  ·  #2
Hätte ich 1971 ein etwas dickeres Konto gehabt, wäre aus den aufgeführten Käufen sicherlich nicht alles in der Tüte gelandet, mit Sicherheit aber Jeff Beck, Jimi Hendrix, Steve Miller und Rory Gallagher. Alles aber kein Jazz! Im gleichen Jahr hatte ich meine erste "Sounds" gekauft. Wenn ich die Hälfte des gelesenen verstanden hatte, war das viel. Friedrich Gulda, Limpe Fuchs, daran erinnere ich mich noch. Das der hier im WDR Sendegebiet bekannte Radio-DJ Winfried Trenkler eine Leidenschaft für Musik aus Skandinavien hatte, machte viele Bands aus diesen Breitengraden etwas bekannter. Dazu gehörte auch Terje Rypdal(und sein Sidekick Palle Middelborg). Um es kurz zu machen, es hat einige Jahre gedauert bis ich mich mit der Musik von Terje Rypdal anfreunden konnte. Sicherlich nichts, was ich durchgängig hören könnte oder möchte, aber ab und zu bin ich dazu bereit.

Hier noch ein früher Song von Terje Rypdal

Dead Man`s Tale
Trurl
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Re: Terje Rypdal - Same

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Gepostet: 26.03.2021 - 21:42 Uhr  ·  #3
So, die CD wiedergefunden und nun im Player. Da ich 1971 erst 12 war, brauchte ich mir keine Gedanken überPlattenkäufe zu machen, das Taschengeld floss ausschließlich in die Astronomie.

Für diese Art Musik wäre ich erst ab den frühen 80ern zu begeistern gewesen, und natürlich heute. spannend finde ich Garbarek, der sich vom „späteren etwas anderen Sound“ sehr unterscheidet. Und Saxophon ging bei mir in den 70ern nur bei VDGG.

Trurl
Mr. Upduff
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Re: Terje Rypdal - Same

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Gepostet: 27.03.2021 - 06:48 Uhr  ·  #4
...am toughenoughesten ist schon der Rausschmeisser...in dieser Liveaufnahme noch tougher... https://music.youtube.com/watc…ture=share

.. ansonsten für mich sein unmusikalischstes Album...viel Geräusch...viel Atmosphäre...aber wenig melodisch Greifbares... aber damals die Hauptsache: erst mal den Fuß drin bei ECM...
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