Julie Campiche Quartet - Onkalo

Zugreifen, hier ist etwas Hervorragendes gelungen!

 
firebyrd
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Julie Campiche Quartet - Onkalo

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Gepostet: 16.03.2020 - 19:34 Uhr  ·  #1
Julie Campiche Quartet - Onkalo

Es gibt Dorothy Ashby und es gibt Deborah Henson-Conant, und Julie Campiche. Und was verbindet die drei Damen? Zumindest das von Ihnen gespielte Instrument, und die Musik, die sie darauf spielen. Und das ist Jazz mit der Harfe.

Begleitet von Saxofon, Bass und Schlagzeug wird das Klangspektrum noch durch Effekte erweitert, von allen Beteiligten eingebracht. Einigen Jazzfreunden mag die Harfenistin noch bekannt sein durch ihre Mitwirkung in der sehr originellen und innovativen Gruppe Orioxy (von 2008-2016). Den Bassisten Manu Hagmann nahm sie mit für ihr eigenes Quartett und mit "Onkalo" liegt die aktuelle Platte vor. War ich von der letzten Platte von Orioxy, “Lost Children“, schon sehr begeistert, so übernehme ich diese gern für das Solowerk des Julie Campiche Quartets.

Denn diese Musik ist äußerst faszinierend, und die wesentlichen Akzente, die Julie bei Orioxy setzte, führt sie hier lückenlos fort. Und dabei helfen ihr alle drei Musiker, indem sie einerseits ihre eigene Art einbringen und sich andererseits mit der Bandleaderin musikalisch verschmelzen zu einem großen Ganzen. Mit “Flash Info“ startet die Platte und für die Dauer von hört man nur eine zart und melodiös gezupfte Harfe. Dann bricht der Schlagzeuger plötzlich ein und bringt den Song zusammen mit dem Bassisten in einen sehr schnellen Swing-Modus, aber nur kurz, dann wieder Harfe solo, dann wieder der unglaublich rasende Swing, doch innerhalb der gut neun Minuten Spielzeit ist noch alles möglich. Und so reiht sich nach gut drei Minuten auch der Saxofonist ein, und das ganze überraschende Spiel wird durch schwebende Effekte noch untermauert. Welch ein grandioser Auftakt! Es mag Zufall sein, aber in seiner Ausdruckskraft und hinsichtlich der rhythmischen Wechsel erinnert mich das Stück sehr stark an Milt Jackson & John Coltrane mit ihrem “Bebop“.

Doch Bebop wird hier sicherlich nicht angeboten, dessen wilder Swing vielleicht in einigen Passagen. Leo Fumagalli am Saxofon bricht ein wenig aus und gibt dem Titel noch mehr Kraft und Ausdruck. Allein der Auftakt ist dermaßen nach Maß, dass es sicher schwierig sein wird für die restliche Musik der Platte, dieses Niveau zu halten. Mithin, die vier Musiker haben überwiegend Texturen geschaffen, die zwischen Ruhe und Wildheit alles beinhalten, man forscht und experimentiert und wenngleich die Effekte (FX) auch ein wenig fremdartig klingen mögen, hier passen sie genau in das Gesamtbild, mit diesem teils fauchenden Sound, der mitunter wie ein kalter Wind durch die Szenerie pustet.

Solche Experimente kennt man derzeit eher aus Skandinavien von Musikern wie Nils Petter Molvaer. Jedoch während bei ihm die Electronics eher stark im Vordergrund stehen, füllen sie hier lediglich aus. Dabei unterstützen sie den oft mehr minimalistisch klingenden Sound, und jeder Song braucht Zeit, sich zu entfalten. Die bis auf einen Song langen Spielzeiten erlauben dieses auch. Ganz wunderschön ist das im Titelsong gelungen, mit 11:44 das längste Stück. Anfänglich glaubt man, im “ECM-Kosmos“ gelandet zu sein, irgendwo an einem verlassenen Ort in Skandinavien, und dann erinnert mich die Protagonistin ein wenig an die finnische Kollegin Iro Haarla, die neben Piano ebenfalls Harfe spielt. Ja, hier entsteht ein wahres Kopfkino, Musik als Soundtrack eines sehr geheimnisvollen Films, dessen Handlung sich in dunkler, abgeschiedener und verschneiter Landschaft abspielt, am ehesten ist das also ein Soundtrack für einen skandinavischen Film noir.

Kurzum, diese Platte sei Allen ans Herz gelegt, die Jazz mögen, aber nicht den traditionellen, sondern Jazz als Basis für Improvisation, und Allen, die solche elektronische Begleitung lieben, vorzugsweise der skandinavischen Art und Allen, die gern etwas Neues kennenlernen möchten, ach ja, und natürlich Allen, die den Klang der Harfe mögen. Zugreifen, hier ist etwas Hervorragendes gelungen!

Leo Fumagalli (saxophone & FX)
Julie Campiche (harp & FX)
Manu Hagmann (bass & FX)
Clemens Kuratle (drums & FX)

1 Flash Info (9:12)
2 Cradle Songs (4:30)
3 Onkalo (11:44)
4 To The Holy Land (10:15)
5 Lepidoptera (7:00)
6 Dastet Dard Nakoneh (8:38)


https://www.juliecampiche.com/de/Quartet

Sungrazer
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Re: Julie Campiche Quartet - Onkalo

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Gepostet: 16.03.2020 - 20:21 Uhr  ·  #2
Deine Beschreibung trifft es auf den Punkt, daher war ich mir auch sicher, daß es nicht meinen Geschmack treffen wird, neugierig hat mich deine Rezi dennoch gemacht.

Reingehört habe ich hier
Julie Campiche Quartet - Onkalo - live at Hafensommer Festival
Julie Campiche Quartet - Flash Info - live at Hafensommer Festival

Schon faszinierend welche Klänge man mit Instrumenten so erzeugen und Stimmungen aufbauen kann.

Zitat

Ja, hier entsteht ein wahres Kopfkino, Musik als Soundtrack eines sehr geheimnisvollen Films, dessen Handlung sich in dunkler, abgeschiedener und verschneiter Landschaft abspielt, am ehesten ist das also ein Soundtrack für einen skandinavischen Film noir.


Guter Tip, mit dem Kopfkino. Kopfhörer auf, Augen zu und anschalten, schon wirkt die Musik auf sehr eigene Weise. Skandinavischen Film Noir sehe ich gerne.
Ernst_August
 
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Re: Julie Campiche Quartet - Onkalo

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Gepostet: 17.03.2020 - 11:11 Uhr  ·  #3
Zitat geschrieben von Sungrazer

.... Augen zu und anschalten ...


Falsche Reihenfolge :happy:
Sungrazer
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Re: Julie Campiche Quartet - Onkalo

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Gepostet: 17.03.2020 - 12:51 Uhr  ·  #4
Zitat geschrieben von Ernst_August

Zitat geschrieben von Sungrazer

.... Augen zu und anschalten ...


Falsche Reihenfolge :happy:

Falsche Reihenfolge? ...Augen zu und Kopfkino einschalten. Erst visuelle Reize ausschalten, damit sich die Zellchen und die damit verbundenen Lauscher besser auf die Musik fokussieren können, deswegen auch Kopfhörer. Klappt dann auch mit dem Kopfkino besser, zumindest bei mir. ;-)
Trurl
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Re: Julie Campiche Quartet - Onkalo

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Gepostet: 17.03.2020 - 18:55 Uhr  ·  #5
das schreit ja förmlich meinen Namen :-) höre gerade die beiden Livesachen, die gepostet wurden, ich sach nur "SABBBBBBER"-genau was für meine Ohren

trurl
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