Das alte Ehepaar

 
Moniek
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Das alte Ehepaar

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Gepostet: 09.02.2018 - 13:02 Uhr  ·  #1
Das alte Ehepaar

Bevor der alte Mann die Tür abschloss, schaute er noch einmal das Häuschen an.
Es würde nicht lange dauern, bis er es wieder sah.
Dann drehte sich zu seiner Frau um, ein wenig müde wirkte er schon, nahm die altmodische Reisetasche in die Hand und eingehakt gingen die Beiden langsamen Schrittes zur nächsten Bushaltestelle.
An der Endstation stiegen sie aus.
Dann verlor sich ihre Spur, niemand wusste, wohin sie gegangen waren.
Als sie vor drei Monaten in das kleine Städtchen zogen, stellten sie sich den Nachbarn vor.
Sie kämen geradewegs aus London, erzählten sie und wollten nach der Pensionierung die gute Luft in der ländlichen Umgebung genießen.
Die beiden Alten gingen viel spazieren, man sah sie nur zusammen.
Jane war die erste, die sich öfter und länger mit ihnen unterhielt.
Als allein erziehende Mutter von lebhaften, Zwillingen im Alter von 2 Jahren, hatte sie wenig Freizeit und sah fast immer müde aus.
Der Vater der Kinder hatte sich schnell aus der Verantwortung gezogen, als feststand, dass ihre Verbindung nicht ohne Folgen bleiben würde.
Einige Leute tuschelten hinter ihrem Rücken, andere sahen angestrengt an ihr vorbei.
Die Großeltern der süßen Kinder wollten nichts von ihnen wissen und sprachen von Jane nur als dem Flittchen, das ihren braven Sohn verführt hatte.
So stand sie ziemlich alleine da, arm und von Vielen gemieden.
Sie bemühte sich, eine gute Mutter zu sein, spielte und sang mit ihren Kindern und ging draußen spazieren, sooft es das Wetter erlaubte.
Nach und nach fasste sie Vertrauen zu dem alten Ehepaar und erzählte ihnen ihre Geschichte.
Sie war erst 17 Jahre jung gewesen und sehr verliebt in den 5 Jahre älteren Tom und glaubte ihm jedes Wort, wenn er ihr von seinen Zukunftsplänen erzählte.
Flugzeugbauer wollte er werden, in der Firma seines Vaters, heiraten und Kinder haben, mit ihr natürlich.
So verlebten sie einen herrlichen Sommer miteinander, bis im September feststand, dass Jane schwanger war.
Sofort zog Tom sich zurück, reagierte nicht auf Anrufe und Briefe und wurde schließlich von seinem Vater ins Ausland geschickt, um bei einem befreundeten Unternehmen einen Teil seiner Ausbildung zu absolvieren.
Janes Eltern lebten nicht mehr, so konnte sie auch von der Seite nicht auf Unterstützung rechnen.
Eine Zeit lang hatte sich der örtliche Gemüsehändler um sie bemüht, er war zwar 20 Jahre älter, aber fleißig und sicher auch sehr nett, doch Jane liebte Tom immer noch.
Nun führten die Spaziergänge des alten Ehepaares häufiger an dem schönen großen Haus vorbei, in dem Toms Eltern wohnten.
Manchmal sahen sie in dem Garten auch Toms Mutter, eine gut aussehende Frau von 50 Jahren.
Sie hatte nichts weiter zu tun, da das Personal alle Arbeit im und außerhalb des Hauses erledigte.
Sie langweilte sich schrecklich.
Der kleine Hund, den sie zu ihrem letzten Geburtstag bekommen hatte, beschäftigte sie zwar ein wenig, aber auch er konnte die Leere in ihr nicht ausfüllen.
Der einzige Sohn war im Ausland und der Mann oft auf Geschäftsreise.
So vergingen die Tage, einer wie der andere und sie ertappte sich manchmal dabei, dass sie an ihre Enkelkinder dachte, die sie ja noch nie gesehen hatte.
Sie wusste nicht einmal, ob es zwei Jungen, zwei Mädchen oder ein Pärchen war.
Wenn die beiden Alten vorbeikamen und freundlich grüßten, erwiderte sie den Gruß, aber zu einem Gespräch kam es nicht.
Manchmal schoben die Beiden auch eine Kinderkarre (sie kümmerten sich um die Zwillinge, indem sie mal das Mädchen und mal den Jungen spazieren fuhren).
So vergingen einige Wochen und wieder sah Toms Mutter das Ehepaar mit einer Kinderkarre den Weg entlang gehen.
Die alte Frau sah etwas blass und angestrengt aus und als sie näher gekommen waren, sprach der alte Mann sie an.
Seiner Frau ginge es nicht gut, ob sie sich einen Moment auf eine der Bänke im Garten setzen dürfe.
Schnell öffnete Toms Mutter das Tor, der alte Mann stützte seine Frau und führte sie zu einer Bank.
Toms Mutter stand nun neben dem Kinderwagen und kurz entschlossen folgte sie mit der Karre den alten Leuten.
Das Kind sah sie mit großen Augen an und dann lächelte es, so dass sie nicht umhin konnte, zurückzulächeln.
Da die beiden Alten ganz mit sich selbst beschäftigt waren, sprach sie mit dem Kleinen, der überhaupt keine Angst zu haben schien, sogar seine Ärmchen ausstreckte und aus dem Kinderwagen herauswollte.
Sie nahm ihn auf den Arm, spürte kaum sein Gewicht und der Kleine kuschelte sich an sie.
Ein warmes, zärtliches Gefühl durchströmte sie und sie beneidete die alten Leute, die sich um ein so süßes Enkelkind kümmern durften.
Als es der älteren Frau besser ging, bedankten sie sich und machten sich wieder auf den Weg.
Ungern hatte Toms Mutter den Kleinen wieder in die Karre gesetzt und sagte zu den beiden Alten, sie dürften gerne wieder kommen.
Es folgten einige Besuche und Toms Mutter freute sich sehr darauf und wartete schon sehnsüchtig, dass sich die kleinen Kinderärmchen wieder um ihren Hals legten.
Als die alte Frau wieder einmal einen Schwächeanfall hatte, waren sie in dem großen Garten und Toms Mutter spielte mit ihrem Enkelkind, ohne zu wissen, wer da in ihrem Garten herumtollte.
Der alte Mann gab ihr eine Telefonnummer und bat sie, die Mutter des Kindes anzurufen, damit sie ihr Kind abholen konnte, da es für sie beide zu anstrengend sein würde, das Kleine nach Hause zu bringen.
Als Jane auftauchte, blass und schmal, mit dem anderen Kind auf dem Arm, erschrak Toms Mutter, denn sie hatte sie ja sofort erkannt.
Erst wirkte sie abweisend und streng, da sie ein abgekartetes Spiel vermutete, aber nach und nach glaubte sie den Beteuerungen Janes, dass sie von den Besuchen nichts gewusste hatte.
Sie sah sich ihre beiden Enkelkinder an und erkannte jetzt auch die Ähnlichkeit mit ihrem Sohn Tom.
Deswegen waren ihr die Kleinen auch gleich so vertraut gewesen.
Liebevoll nahm die frischgebackene Großmutter die Kinder auf den Schoß, strahlte und sagte, dass sie sie nie wieder missen möchte.
Sie würden einen Weg finden, den Vater und den Großvater zu überzeugen.
Jane war noch zurückhaltend, da sie die Demütigungen seitens der Familie nicht so schnell vergessen konnte, aber im Interesse der Kinder ließ sie den Kontakt zu.
Nach und nach gehörte sie zur Familie.
Es wurde auch darüber gesprochen, dass sie mit ihren Kindern in das große Haus einziehen sollte.
Das alte Ehepaar packte die wenigen Sachen, die sie mitnehmen wollten, in eine alte Reisetasche und machte sich auf den Weg.
Ihre Aufgabe war erfüllt.
Es vergingen Jahre und Jahrzehnte
Ein altes Ehepaar steuerte geradewegs auf ein kleines Häuschen zu und schloss die Tür auf.
Sie waren wieder hier.
White Bird
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Re: Das alte Ehepaar

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Gepostet: 12.02.2018 - 16:01 Uhr  ·  #2
Moni, danke wieder für diese schöne Geschichte. :happy:

Manchmal ist es wohl so, dass eine scheinbar neutrale Person mehr herbeiführen kann, um entgleiste bzw. zerissene Verbindungen wieder zusammenzuführen. Dieses hat das alte Ehepaar doch wunderbar geschafft. Und dein letzter Satz lautet ja auch: Sie waren wieder da. Vielleicht schaffen sie es ja auch andernorts.
Moniek
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Re: Das alte Ehepaar

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Gepostet: 12.02.2018 - 21:54 Uhr  ·  #3
Ich denke, das ist ihre Bestimmung
Tom Cody
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Re: Das alte Ehepaar

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Gepostet: 13.02.2018 - 15:12 Uhr  ·  #4
Eine schöne Geschichte ist Dir hier wieder einmal gelungen! Vielen Dank, Moni! :)
Moniek
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Re: Das alte Ehepaar

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Gepostet: 13.02.2018 - 22:42 Uhr  ·  #5
Gerne Jürgen. Ich freue mich, wenn es Euch unterhält. :r:
kraut-brain
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Re: Das alte Ehepaar

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Gepostet: 14.02.2018 - 14:47 Uhr  ·  #6
Eine schöne Geschichte hast du wieder mit einem versöhnlichen Happy End entwickelt. Es hat erneut Spaß gemacht, deinen Zeilen zu folgen. Danke dafür Moni .... :happy:
Moniek
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Re: Das alte Ehepaar

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Gepostet: 14.02.2018 - 17:53 Uhr  ·  #7
:D Ein dickes Dankeschön von mir an Euch
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