Wer aus meiner Generation (Bj.54) kennt nicht die Disco- und Partyknaller "Buddy Joe", "Back Home", "Holy Holy Live" oder "Radar Love"? Wurde doch zu dieser Zeit die Tanzfläche unsicher gemacht und manche Mähne wüst durch die Luft geschleudert.
"Damals", hätte mir anno 1970 jemand gesagt, dass ich die Band ca. 45 Jahre später in gleicher Besetzung über eine Bühne fegen sehe, ich hätte ihn für verrückt gehalten. Tatsächlich aber ist genau dies eingetreten. Präzise geschehen am
13. Juli 2017 - Golden Earring Live - Grenswerk/NL, Tegelen
Punkt 19 Uhr wurde das schwere schmiedeeiserne Tor auf Seite geschoben und die wartende Meute in das Konzertareal eingelassen. Die Location war mir bis dato unbekannt, ein Kollege, mit einem Freund ebenfalls anwesend, hatte mich darauf aufmerksam gemacht. Das Konzertgelände ist, so könnte man sagen, dreigeteilt aufgebaut: Vorne, direkt vor der Bühne, der Steh- und Mitkampfbereich. Dahinter schließt sich treppenförmig ein Sitzblock an. Und "ganz oben" noch einmal eine große, ebene Fläche. Hier sind Merchandisestände aufgebaut, eine lange Theke dient der flüssigen Versorgung, dahinter einige Futterstände mit den typischen holländischen Fritten, aber auch asiatische Imbisse können verköstigt werden. Ebenfalls auf dieser Fläche verteilen sich eine Menge Stehtische, an denen Speis und Trank verzehrt werden können. Ebenso lässt sich von dort aus das Konzertgeschehen bestens verfolgen.
Den Konzertabend läutet um 20:15 eine niederländische Heavy-Metal-Vorband ein. Kann man, muss man aber nicht erlebt haben, so meine Meinung. Lediglich die fetten Hammondklänge wussten zu begeistern. Insgesamt - hart an der akustischen Schmerzgrenze. So wurde am Ende des Sets seitens des Publikums auch nicht nach den üblichen Zugaben verlangt, sondern mit Höflichkeitsapplaus verabschiedet.
Ganz anders, als um 21:30 Uhr der Hauptact die Bühne betrat. Drei sichtlich ergraute Herrschaften nebst eines ganz in schwarz daherkommendem Typen. Coole Sonnenbrille, das Haupthaar schwarz gefärbt. Da wäre sie also, die Truppe called "Golden Earring", namentlich
Barry Hay: Gesang, Gitarre *** George Kooymans: Lead-Gitarre, Gesang *** Cesar Zuiderwijk: Schlagzeug *** Rinus Gerrits: Bass, Keyboard
Nach dem Opener hielt Hay ein kurzes Geplänkel mit dem Publikum. Auf niederländisch - schließlich war es ein Heimspiel für die Earrings, und dies war die ganzen ca. 90 Minuten ihres Auftrittes nicht zu verkennen. Fast wie in einer großen Familie konnte man sich fühlen. Ich befand mich im Sitzblock - aber bereits vor den ersten Takten stand alles auf den Beinen. Und spätestens beim dritten Song ging die Post ab: "When The Lady Smiles" riss den Laden aus dem Häuschen.
Egal, was die Band an diesem Abend präsentierte, sei es "Twighligt Zone", "Another 45 Miles", "Johnny Make Believe" oder "Going To Run" - nichts wirkte heruntergespielt oder lustlos dargeboten, wie man es nach einem 45-jährigen Bandleben vielleicht vermuten oder befürchten könnte. Ganz im Gegenteil - da oben standen vier durch und durch coole Profis, die bestens miteinander eingespielt waren und ihr Fach sichtlich verstanden. Zu manchem Song tauchte aus dem Dunkel ein grandioser Saxophonist auf der Bühne auf und vermochte es blendend, Improvisationen einzustreuen und Bekanntem eine gewisse Würze zu geben. Verschiedene Saxophone - je nach Song - kamen zum Einsatz. Zu einem Titel, leider ist mir der Name entfallen - wurde ein Riesenmördersaxophon geblasen, so abgrundtief, dass tatsächlich die Hosenbeine anfingen zu flattern. Hölle, was für ein Teil...
Flirrende, sphärisch-psychedelische Klänge setzten nach ungefähr fünfzig Konzertminuten ein. Gerrits hatte seinen Doppel-Bass umgeschnallt und bearbeitete, nein, malträtierte die Saiten unter den obstrusesten Verrenkungen seines Körpers. Ein geiler, abgefahrener Sound, der erst gar nicht vermuten ließ, wohin die Reise gehen sollte. Fast sieben Minuten lang dauerte der Psychotrip, bis das Rätsel gelöst wurde...
...Radar Love! Das Geheimnis war gelüftet, ein Riesengetose rauschte durch das Publikum, und spätestens jetzt dürfte auch ein Nicht-Earring-Fan seinen Hintern erhoben haben.
Kooymans legte während des Songs einige Gitarrensoli vom Feinsten hin. Irre, wie flink die Finger über die Saiten rasten. Hut ab vor dem Duell, welches er sich mit dem Drummer lieferte. Hier war wieder einmal zu sehen, zu spüren, zu hören, wie eingespielt diese vier coole Socken aufeinander waren, sind.
Es dauerte nun weitere sechs, sieben Minuten, bis Zuiderwijk zu einem mehr als respektablen Drumsolo ansetzen konnte.
Bearbeitete er anfangs "lediglich" die Schlagzeugbatterie, die sich vor und seitlich von ihm aufreihte, warf er nach einigen Minuten seine Drumsticks ins Publikum. Aber - das war's noch nicht: Mit zwei Schlagstöcken, die Köpfe rund und filzüberzogen, wandte er sich den Riesentrommeln in seinem Rücken zu. Stehend bearbeitete er diese, drosch zwischendurch noch auf die nebenstehenden Becken ein, um sich nach drei, vier Minuten wieder sitzend dem Schlagzeug zu widmen. Während der ganzen Bearbeitung der Drumanlage musste befürchtet werden, dass selbige einen Schaden am Trommelfell erleiden, blieben jedoch davon verschont.
Nach diesen beiden Soloeinlagen stand die vollständige Band wieder auf der Bühne. Sage und Schreibe wurde "Radar Love" auf ca. 25 Minuten gestreckt. Gänsehaut, allein dafür hätte sich die Fahrt nach Tegelen gelohnt.
Um annähernd einen Eindruck davon zu erhalten, was hier präsentiert wurde, kann der Song, ein wenig kürzer, in einer Rockpalast-Aufzeichnung aus 2007 gehört und gesehen werden:
Radar Love im Rockpalast (ca. 20 Minuten)
Die Band verließ die Bühne, um kurze Zeit später noch zwei Zugaben zu präsentieren. Mit einer donnernden Version von "Holy Holy Life" wurde ein phantastischer, emotionsgeladener Konzertabend beendet, den ich mir ohne die geringste Veränderung noch einmal anschauen würde. Es ist kaum zu glauben, dass dort oben eine Riege von Musikern stand, die die 70 bereits überschritten haben. Hut ab, sag ich da nur.
Auf dem Weg durch das Konzertgelände waren am Ende noch einige Hinweisplakate installiert. Vielleicht macht dieser kleine Bericht Appetit darauf, wer weiß...
"Damals", hätte mir anno 1970 jemand gesagt, dass ich die Band ca. 45 Jahre später in gleicher Besetzung über eine Bühne fegen sehe, ich hätte ihn für verrückt gehalten. Tatsächlich aber ist genau dies eingetreten. Präzise geschehen am
13. Juli 2017 - Golden Earring Live - Grenswerk/NL, Tegelen
Punkt 19 Uhr wurde das schwere schmiedeeiserne Tor auf Seite geschoben und die wartende Meute in das Konzertareal eingelassen. Die Location war mir bis dato unbekannt, ein Kollege, mit einem Freund ebenfalls anwesend, hatte mich darauf aufmerksam gemacht. Das Konzertgelände ist, so könnte man sagen, dreigeteilt aufgebaut: Vorne, direkt vor der Bühne, der Steh- und Mitkampfbereich. Dahinter schließt sich treppenförmig ein Sitzblock an. Und "ganz oben" noch einmal eine große, ebene Fläche. Hier sind Merchandisestände aufgebaut, eine lange Theke dient der flüssigen Versorgung, dahinter einige Futterstände mit den typischen holländischen Fritten, aber auch asiatische Imbisse können verköstigt werden. Ebenfalls auf dieser Fläche verteilen sich eine Menge Stehtische, an denen Speis und Trank verzehrt werden können. Ebenso lässt sich von dort aus das Konzertgeschehen bestens verfolgen.
Den Konzertabend läutet um 20:15 eine niederländische Heavy-Metal-Vorband ein. Kann man, muss man aber nicht erlebt haben, so meine Meinung. Lediglich die fetten Hammondklänge wussten zu begeistern. Insgesamt - hart an der akustischen Schmerzgrenze. So wurde am Ende des Sets seitens des Publikums auch nicht nach den üblichen Zugaben verlangt, sondern mit Höflichkeitsapplaus verabschiedet.
Ganz anders, als um 21:30 Uhr der Hauptact die Bühne betrat. Drei sichtlich ergraute Herrschaften nebst eines ganz in schwarz daherkommendem Typen. Coole Sonnenbrille, das Haupthaar schwarz gefärbt. Da wäre sie also, die Truppe called "Golden Earring", namentlich
Barry Hay: Gesang, Gitarre *** George Kooymans: Lead-Gitarre, Gesang *** Cesar Zuiderwijk: Schlagzeug *** Rinus Gerrits: Bass, Keyboard
Nach dem Opener hielt Hay ein kurzes Geplänkel mit dem Publikum. Auf niederländisch - schließlich war es ein Heimspiel für die Earrings, und dies war die ganzen ca. 90 Minuten ihres Auftrittes nicht zu verkennen. Fast wie in einer großen Familie konnte man sich fühlen. Ich befand mich im Sitzblock - aber bereits vor den ersten Takten stand alles auf den Beinen. Und spätestens beim dritten Song ging die Post ab: "When The Lady Smiles" riss den Laden aus dem Häuschen.
Egal, was die Band an diesem Abend präsentierte, sei es "Twighligt Zone", "Another 45 Miles", "Johnny Make Believe" oder "Going To Run" - nichts wirkte heruntergespielt oder lustlos dargeboten, wie man es nach einem 45-jährigen Bandleben vielleicht vermuten oder befürchten könnte. Ganz im Gegenteil - da oben standen vier durch und durch coole Profis, die bestens miteinander eingespielt waren und ihr Fach sichtlich verstanden. Zu manchem Song tauchte aus dem Dunkel ein grandioser Saxophonist auf der Bühne auf und vermochte es blendend, Improvisationen einzustreuen und Bekanntem eine gewisse Würze zu geben. Verschiedene Saxophone - je nach Song - kamen zum Einsatz. Zu einem Titel, leider ist mir der Name entfallen - wurde ein Riesenmördersaxophon geblasen, so abgrundtief, dass tatsächlich die Hosenbeine anfingen zu flattern. Hölle, was für ein Teil...
Flirrende, sphärisch-psychedelische Klänge setzten nach ungefähr fünfzig Konzertminuten ein. Gerrits hatte seinen Doppel-Bass umgeschnallt und bearbeitete, nein, malträtierte die Saiten unter den obstrusesten Verrenkungen seines Körpers. Ein geiler, abgefahrener Sound, der erst gar nicht vermuten ließ, wohin die Reise gehen sollte. Fast sieben Minuten lang dauerte der Psychotrip, bis das Rätsel gelöst wurde...
...Radar Love! Das Geheimnis war gelüftet, ein Riesengetose rauschte durch das Publikum, und spätestens jetzt dürfte auch ein Nicht-Earring-Fan seinen Hintern erhoben haben.
Kooymans legte während des Songs einige Gitarrensoli vom Feinsten hin. Irre, wie flink die Finger über die Saiten rasten. Hut ab vor dem Duell, welches er sich mit dem Drummer lieferte. Hier war wieder einmal zu sehen, zu spüren, zu hören, wie eingespielt diese vier coole Socken aufeinander waren, sind.
Es dauerte nun weitere sechs, sieben Minuten, bis Zuiderwijk zu einem mehr als respektablen Drumsolo ansetzen konnte.
Bearbeitete er anfangs "lediglich" die Schlagzeugbatterie, die sich vor und seitlich von ihm aufreihte, warf er nach einigen Minuten seine Drumsticks ins Publikum. Aber - das war's noch nicht: Mit zwei Schlagstöcken, die Köpfe rund und filzüberzogen, wandte er sich den Riesentrommeln in seinem Rücken zu. Stehend bearbeitete er diese, drosch zwischendurch noch auf die nebenstehenden Becken ein, um sich nach drei, vier Minuten wieder sitzend dem Schlagzeug zu widmen. Während der ganzen Bearbeitung der Drumanlage musste befürchtet werden, dass selbige einen Schaden am Trommelfell erleiden, blieben jedoch davon verschont.
Nach diesen beiden Soloeinlagen stand die vollständige Band wieder auf der Bühne. Sage und Schreibe wurde "Radar Love" auf ca. 25 Minuten gestreckt. Gänsehaut, allein dafür hätte sich die Fahrt nach Tegelen gelohnt.
Um annähernd einen Eindruck davon zu erhalten, was hier präsentiert wurde, kann der Song, ein wenig kürzer, in einer Rockpalast-Aufzeichnung aus 2007 gehört und gesehen werden:
Radar Love im Rockpalast (ca. 20 Minuten)
Die Band verließ die Bühne, um kurze Zeit später noch zwei Zugaben zu präsentieren. Mit einer donnernden Version von "Holy Holy Life" wurde ein phantastischer, emotionsgeladener Konzertabend beendet, den ich mir ohne die geringste Veränderung noch einmal anschauen würde. Es ist kaum zu glauben, dass dort oben eine Riege von Musikern stand, die die 70 bereits überschritten haben. Hut ab, sag ich da nur.
Auf dem Weg durch das Konzertgelände waren am Ende noch einige Hinweisplakate installiert. Vielleicht macht dieser kleine Bericht Appetit darauf, wer weiß...