Der Schneewittchenmörder

 
Moniek
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Der Schneewittchenmörder

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Gepostet: 11.03.2017 - 00:07 Uhr  ·  #1
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Der Schneewittchenmörder


Der Kommissar……….

„Schneewittchen“,
dachte der Kommissar, als er das Mädchen dort im Schnee liegen sah.
Die Anderen schauten ihn wortlos von der Seite an.
Hatte er etwa laut gedacht?
Später war er sich im Klaren darüber, dass er dieses Wort geprägt hatte,
denn auch die Presse griff diese Bezeichnung auf, wer weiß, aus welchem
Mund sie dieses Wort gehört hatten.
Bei dem Anblick drängte sich der Vergleich geradezu auf.
Es war im Februar und der Karneval war mit seinen Umzügen und Veranstaltungen
so dominant, dass daneben nichts mehr Platz hatte.
Überall sah man lachende und tanzende Menschen, meist im Kostüm, grell geschminkt und oftmals alkoholisiert.
Der Kommissar mochte den Karnevalstrubel nicht, erschwerte er doch seine Arbeit zusätzlich, da die *Jecken* sehr vertrauensselig und leichtsinnig wurden, wenn sie den nötigen Alkoholpegel hatten und zwischen Freund und Feind nicht mehr unterscheiden konnten.
…..und nun dieses hier………..
Ein zartes junges Mädchen, kaum erwachsen, in einem weißen Kleid, das sich nur wenig vom Schnee abhob. Auf der Brust breitete sich ein Blutfleck aus und ein paar Blutstropfen liefen als Rinnsal aus dem knallrot geschminkten Mund über den weißen Hals und versickerten im Schnee.
Lange schwarze Haare umgaben das hübsche, sehr blasse Gesicht.
Arme und Beine waren seltsam verrenkt, als wenn sie nicht zum Körper dazuzugehören schienen.
Lange konnte sie dort noch nicht liegen, denn außer ihren Fußspuren und vielleicht die ihres Mörders waren in dem frisch gefallenen Schnee keine weiteren zu sehen.
Als der Kommissar sich wieder aufrichtete, sah er sich genauer um und entdeckte, dass eine einzelne Fußspur vom Tatort wegführte.
Sollte der Mörder ein so deutliches Zeichen hinterlassen haben?
Er atmete einmal tief durch, dann bedeutete er seinen Leuten, dass er die Absicht hatte, diese Spur zu verfolgen.
Ein Gedanke kehrte immer wieder, aber er drang nicht ins Oberbewusstsein. Der Kommissar wusste nur, dass es für diese Tat wichtig war, diese Information zu verwenden. Er kannte sich gut genug, um darauf zu vertrauen, dass die Bilder, die ihm jetzt noch verborgen waren, zur rechten Zeit abrufbereit waren,
Fast lautlos folgten sie den Fußstapfen, die auch in dem wenig beleuchteten Weg gut zu erkennen waren.
An der maroden Tür eines baufälligen Schuppens endeten sie. Vorsichtig postierten sich die Männer ringsumher, obwohl sich seitlich und an der Rückseite keine weitere Tür befand, nur ein mit Brettern vernageltes Fenster.
Die Pistolen im Anschlag öffneten sie die Tür, ungewiss, was sie dort erwartete.
Im Lichtkegel der starken Taschenlampe sah man eine Gestalt, reglos auf den Boden gekauert, die blutverschmierten Hände vors Gesicht geschlagen.
Neben dem Mann lag ein Handy und der Kommissar erinnerte sich, dass Jemand bei der Polizei angerufen hatte, um den Mord zu melden.
Sollte das der Mörder selbst gewesen sein?
Am Liebsten hätte er die jämmerliche Gestalt gepackt und richtig durchgeschüttelt.
Mit einer Handbewegung gab er seinen Leuten den Auftrag, den Mann mitzunehmen.
Ein paar blieben zurück und sammelten alles ein, was als Beweisstück dienen könnte.
In seinem Büro angekommen, der Mann wurde erst einmal in eine Zelle geführt, um am nächsten Tag vernommen zu werden, saß der Kommissar erst einmal reglos auf seinem Stuhl. Mindestens 20 Minuten lang dachte er nach.
Auf einmal stiegen Bilder in ihm hoch, Strand, weißer Sand, ein Mädchen in einem weißen Sommerkleid, lange schwarze Haare, sehr jung und tot.
Das war gerade mal 7 Monate her.
Zu der Zeit wohnte er noch an der Ostsee.


Der Mörder……………

Wo sollte man anfangen, um ihm gerecht zu werden?
Bei seiner schlimmen Kindheit? – Andere haben auch eine schlimme Kindheit und werden nicht zum Mörder.
Sicher, seine Eltern waren arm, aber er wurde nicht verprügelt, jedenfalls nicht von seinem Vater und nicht von seiner Mutter.
Auch nicht von seinen Geschwistern……..er hatte nämlich keine, jedenfalls keine Lebenden.
Zwei kleine Mädchen, die später als er geboren wurden, starben, bevor sie ein Jahr alt waren.
Als er später darüber nachdachte, beneidete er sie manchmal.
Sein Vater war Fischer, dazu hatten sie ein Stück Land, was nicht sehr viel abwarf.
Bis er zur Schule ging, war seine Mutter am Tage bei ihm zuhause, nachts putzte sie in einer Gaststätte die Räume.
Oft war sie so müde, dass sie am Tisch einschlief.
Dann endlich der heiß ersehnte Schulbeginn.
Schon nach ein paar Wochen hatte der Junge keine Lust mehr, hinzugehen, nicht nur das, er hatte regelrecht Angst.
Niemandem vertraute er sich an, nicht einmal seinen Eltern.
Es gab da ein Mädchen, sehr hübsch und Lehrers Liebling, weil sie immer brav war, zumindest in der Klasse, wenn der Lehrer anwesend war.
Ihn konnte sie nicht leiden. Er war ärmlich angezogen und sein Schulfrühstück lud nicht zum Tauschen ein.
Besonders gut war er in der Schule auch nicht, verlor auch mehr und mehr die Lust am Lernen.
Niemand kümmerte sich um seine Hausaufgaben. Die Mutter ging jetzt am Tage arbeiten und kam weit nach ihm zu Hause an, müde und erschöpft. Dann kochte sie und er ging sofort nach dem Essen ins Bett, da war es wenigstens warm.
Der Vater war mit seinem Fischkutter immer öfter tagelang weg, das Stück Land, was sie bewirtschafteten, lag brach, denn die Mutter schaffte es nicht auch noch, dort alles in Ordnung zu halten.
Eines Tages kam er gar nicht mehr, sein Schiff war weit weg in schwere See geraten und untergegangen, die Besatzung mit Mann und Maus ertrunken.
Nun wurde es noch schwerer für ihn und seine Mutter, die es kaum schaffte, sich und ihren Sohn über Wasser zu halten.
Seine Kleidung wurde immer ärmlicher, geflickter, sein Verhalten immer auffälliger.
Vor etlichen Monaten hatten die Schikanen der Klassenkameraden begonnen, die, angestiftet von dem Mädchen, ihn ärgerten, ihm Sachen wegnahmen und ihn zuletzt verprügelten.
Sie stand unbeteiligt dabei, ihre Augen sahen verächtlich auf ihn herab, manchmal spuckte sie ihn auch an, wenn die Anderen ihn niedergerungen oder zu Boden geschlagen hatten.
Er biss dann fest die Zähne aufeinander, ballte die Hände zu Fäusten, aber er weinte nie.
Dann fing er an, die Schule zu schwänzen, trieb sich herum. Nachdem der Lehrer etliche Male versucht hatte, seine Mutter zu sprechen, inzwischen waren mehrere Monate vergangen, besuchte er sie zu Hause, um sie über den Sohn aufzuklären. Auch jetzt bekam er keine Prügel, nicht einmal eine Standpauke, aber zwei Tage später, es war ein Samstag, packte sie seine Sachen und brachte ihn in ein Heim. Das war das letzte Mal, dass er seine Mutter sah.
Bei dem Versuch, eine besser bezahlte Arbeit zu erhalten, war sie weit weg, in ein anderes Land unterwegs gewesen und dort nie angekommen.
Irgendwann erklärte man sie für tot…..er war nun ein Vollwaise.
Da er keine anderen Verwandten hatte, bekannt war es jedenfalls nicht und Niemand fragte nach ihm, stand er mit 11 Jahren ganz allein auf der Welt.
Er blieb bis zu seinem 18. Lebensjahr im Heim, war ein sehr schlechter Schüler und fiel auch dadurch auf, dass er sich allem fernhielt. Er war und blieb ein Einzelgänger.
Dann begann er eine Tischlerlehre, konnte dort auch wohnen, aber tat sich nicht durch besonderen Arbeitseifer hervor. Mit Müh und Not bestand er die Gesellenprüfung, musste dann aber einem anderen Lehrling Platz machen.
Auf der Wanderung in die nächste Stadt begegnete ihm ein Mädchen, ganz jung noch, in einem weißen Kleid……………….!


Die Verhöre………….

Die Gespräche mit dem mutmaßlichen Täter verliefen sehr einseitig. Der junge Mann sagte nicht ein Wort. Er schwieg, egal was der Kommissar ihn fragte und zeigte auch keine Regung, als man ihm die Fotos der toten Mädchen vorlegte.
Inzwischen stand fest, dass der Anruf tatsächlich von dem Handy geführt wurde,
das man neben dem Täter in dem Schuppen gefunden hatte.


Die Verhandlung……….

Auch während der Gerichtsverhandlung sprach der Täter nicht, wirkte irgendwie unbeteiligt. Der Kommissar, der auch als Zeuge geladen war, konnte den leeren Blick des Angeklagten nicht deuten. Selbst als er schuldig gesprochen wurde, zeigte er keinerlei Regung. Aufgrund von Indizien erhielt der Täter eine lebenslängliche Freiheitsstrafe. Nach einigen Jahren jedoch wies man ihn in eine Klinik ein, wo er die Tage damit verbrachte, die Wand anzustarren. Er las nicht, sah nicht fern, sprach nicht, lachte nicht, weinte nicht. Niemals wieder hörte man auch nur einen Ton von ihm.
White Bird
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Re: Der Schneewittchenmörder

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Gepostet: 11.03.2017 - 09:39 Uhr  ·  #2
Guten Morgen Moniek,

wieder präsentierst du uns eine berührende Geschichte, die auch die Schattenseiten des gesellschaftlichen Lebens aus verschiedenen Sichtwinkeln beschreibt. Einfach zutreffend und ohne jegliche Wertungen ......

Natürlich sollte dieser Beitrag nicht gelöscht werden ........


LG White Bird
Moniek
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Re: Der Schneewittchenmörder

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Gepostet: 11.03.2017 - 10:21 Uhr  ·  #3
Dankeschön
sunny
 
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Re: Der Schneewittchenmörder

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Gepostet: 11.03.2017 - 10:52 Uhr  ·  #4
wow, der Schneewittchenmörder...
klasse berührende Geschichte, vielen Dank.
Ich finde es immer wieder toll andere Facetten hier im Forum kennen zu lernen.

Moni einfach klasse. :q: :r:
kraut-brain
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Re: Der Schneewittchenmörder

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Gepostet: 11.03.2017 - 16:11 Uhr  ·  #5
Hallo Moniek,

und wieder ist es dir gelungen, uns mit deiner feinfühligen Geschichte zu beglücken, die die Tristesse einer präsenten Seite unseres gesellschaftlichen Lebends aufzeigt. Danke dafür .....
nixe
 
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Re: Der Schneewittchenmörder

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Gepostet: 11.03.2017 - 18:51 Uhr  ·  #6
macht nachdenklich, über die Welt, das miteinander & solche Typen! :q:
Tom Cody
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Re: Der Schneewittchenmörder

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Gepostet: 11.03.2017 - 20:17 Uhr  ·  #7
Liebe Moni, danke für deine nachdenklichen Zeilen. Leider werden wir mit den von dir beschriebenen Begebenheiten im Leben immer öfter konfrontiert.

Mich freut es sehr, daß du lyrische Werke verfaßt und sie hier auch einstellst! :happy:
Moniek
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Re: Der Schneewittchenmörder

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Gepostet: 12.03.2017 - 01:05 Uhr  ·  #8
Dankeschön, ich war mir nicht mehr sicher.
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