Novalis – Die Jahre 1973 – 1979

 
hmc
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Novalis – Die Jahre 1973 – 1979

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Gepostet: 19.02.2009 - 12:42 Uhr  ·  #1
Novalis – Die Jahre 1973 – 1979

Banished Bridge
(1973 - Biereichel, Rahn, Schünzel, Wenzel)
Das Debutalbum einer Band ist oft ein Unikat - die Gruppe hat meistens ihren Stil noch nicht endgültig gefunden, oder aber das Personalkarussel dreht sich nach dem ersten Album noch sehr heftig. Nicht anders ergeht es Novalis.

Das Debutalbum unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von den späteren Klassikern. So ist das Album in englischer Sprache verfaßt und die E-Gitarre fehlt völlig. Banished Bridge gleicht daher eher einem unbehauenen Granitblock, der die spätere Form zwar bereits erkennen läßt, aber noch sehr viele rauhe Kanten, Unebenheiten und nicht ausgearbeitete Bereiche hat.

Zum einen ist der Gesang doch recht gewöhnungsbedürftig, wenn man, so wie ich, sich dem Debutalbum von den neueren Alben her nähert. Durch die englischen Texte verliert Novalis einiges an Charme und Poesie, Jürgen Wenzel als Sänger klingt auch nicht sonderlich überragend, sein Gesang klingt auf mich manchmal etwas weinerlich oder wie eine schlechte *opie von Les Holroyd von Barclay James Harvest. Bleiben die schon vorhandenen romantisch-epischen Strukturen von Komponist Lutz Rahn, die schon spätere Klasse erkennen lassen, aber noch nicht das Niveau der Nachfolgealben erreichen.

Hauptwerk des Albums ist das 17-minütige Titelstück Banished Bridge. Es beginnt mit leisen Vogelgezwitscher, Flötentönen und perkussiven Elementen - die Stimmung ist also sehr getragen und entspannt, der folgende Gesangsteil schleppt sich ein wenig zäh dahin, ehe dann Rahns Tastenarbeit einsetzt und ein vertrautes Gefühl sich einstellt. Rahn setzt den Schwerpunkt dabei auf schwere Orgelsounds und eingestreute Synthesizer.

Insgesamt betrachtet bietet das Stück durchaus Abwechslung und romantische Stimmungen, aber trotz dieser Diversität fehlt es der Musik an Dynamik und diesen Hauch Schönheit, der z.B. das Nachfolgealbum so auszeichnet.

Das Album läßt bei mir den Eindruck entstehen, einer ambitionierten und talentierten Amateurband zuzuhören. Immerhin sollten bis zum nächsten Album (das absolute Klasse bot) noch knapp zwei Jahre vergehen. Zeit genug also, sich mehr Schliff zu holen und die Richtung neu zu definieren.

Ich kann Banished Bridge nur bedingt empfehlen - für Novalis-Fans und Komplettisten ist es sicherlich interessant. Als Einzelprodukt klingt es aber unausgegoren und an einigen Stellen noch nicht ausgereift genug. Wer Novalis entdecken möchte, sollte besser mit dem zweiten Album beginnen und sich dann langsam nach vorne durcharbeiten, um dann - so er mag - ein Blick auf das leicht anachronistische Debutalbum zu werfen.

8 Punkte


Novalis
(1975 - Biereichel, Job, Karges, Rahn, Schünzel)

Mit diesem selbstbetitelten zweiten Album definierte Novalis die musikalische Richtung neu. Hatte es auf dem Debutalbum noch englische Texte gegeben, so besannen sich Novalis hier auf Geist und Lyrik des Namensgebers der Band - den deutschen Dichter der Frühromantik Karl Friedrich von Hardenberg. In Verbund mit Produzent Achim Reichel entstand eine Formation, die in den 70ern in Deutschland beachtlichen Erfolg hatte und auf ihren erfolgreichen Tourneen vor mehreren tausen Menschen jeweils spielte.

Das Album bietet durchgängig progressiv ausgerichtete, sehr romantische und teilweise verträumte Musik zum davonschweben. Novalis setzen dabei sehr auf instrumentale Passagen, bei denen Keyboards und E-Gitarre die dominante Rolle spielen.

Von den insgesamt fünf Titeln sind drei allein rein instrumental, die beiden anderen - mit sehr peotischen und lyrischen Texten ausgestattet - haben eher kurze, jedoch dafür auch sehr schöne, Textpassagen.

"Es färbte sich die Wiese grün" basiert auf einem Originaltext von Novalis (aka von Hardenberg) aus dem 18. Jahrhundert und versinnbildlicht das Credo der Band. Lyrische Rockmusik mit progressivem Einschlag mit dem Geist der Romantik zu verbinden.

Wer also lieber vertrackte Technik und ständige Rhythmuswechsel mag, der wird bei Novalis wohl nicht so recht zufrieden sein, obwohl es mit der E-Gitarre auch durchaus stellenweise sehr kraftvolle und rasante Momente gibt.

Romantische Seelen hingegen werden die Musik lieben. Neben dem erwähnten, fabelhaften, "Es färbte sich die Wiese grün" gibt es auch einen Klassiker des deutschen progressiven Rocks: "Wer Schmetterlinge lachen hört".

Ohne jeglichen Zynismus und mit ehrlich empfundener träumerischer Romantik entwickelt sich hier aus dem Text heraus ein großartiges Lied das musikalisch betrachtet den Vergleich mit den britischen Progrockgrößen der damaligen Zeit nicht zu scheuen braucht.

Ein weiterer Höhepunkt auf dem Album ist das knapp 9-minütige Instrumental "Impressionen", bei dem Keyboarder Lutz Rahn Motive der 5. Symphonie von Anton Bruckner zu einem sehr entspannten und melodischen Klanggemälde entwickelt. Diese Musik ist für mich ein Trittbrett für die Gedanken, die sich loslösen und zusammen mit der Musik auf die Reise gehen können. Es fällt mir sehr leicht, bei dieser Musik die Gedanken schweifen zu lassen und sich inspirieren zu lassen.

Was mir vielleicht nicht ganz so gut gefällt ist der Gesang von Heino Schünzel. Er hat eine durchaus angenehme Stimme, aber ich kenne ebenfalls die Liveversionen der Lieder des Albums, auf denen der spätere Sänger Fred Mühlböck singt (Zu hören auf dem Album "Konzerte", das ich selbst leider nur als Bandaufnahme besitze... eine CD-Pressung ist mir noch nicht zu Gesicht gekommen) und die sich dort tatsächlich noch eine Spur besser anhören.

Aber auch so ist Novalis ein eindrucksvolles Album gelungen, das den Weg ebnete für spätere Werke wie "Sommerabend" z.B. (siehe auch dort) Wer Novalis noch gar nicht kennt und eine romantische Ader in sich hat, der sollte auf jeden Fall einmal hineinhören.

13 Punkte


Sommerabend
(1976 - Biereichel, Job, Rahn, Schünzel)

Novalis spielten in den 70er Jahren progressiven Deutschrock, der sich, getreu dem ausgewählten Namen (Novalis war ein deutscher Dichter und Romantiker des 18. Jahrhunderts), meist sehr lyrisch und stellenweise poetisch gab. Die Texte waren mal eigene Werke, manchmal wurden auch alte Texte von Novalis leicht adaptiert und in die komplexe Musik eingewoben, deren Schwerpunkt neben den Texten bei langen Instrumentalpassagen lag. Erst in den 80ern orientierten sich Novalis zu kommerzieller Rock/Pop-Musik hin.

"Sommerabend" zeigt aber die progressive Charakteristik der 70er Jahre. Die drei Lieder teilen sich auf in ein fast 10-minütiges Instrumental, ein ebenfalls 10-minütiges, sehr lyrisches Lied basierend auf einem Originaltext von Novalis und ein knapp 18-minütiges Werk mit selbst geschriebenen Text.

Die Musik wird dabei von den Keyboards und der Leadgitarre dominiert und klingt zumeist sehr sanft. Die Drums sind auch nicht uninteressant, aber weit entfernt von der Rhythmik bei "Genesis" oder "Yes". Hauptaugenmerk bei Novalis gilt den Emotionen, die wunderbar durch die Musik erzeugt werden. Den Gesang teilen sich Gitarrist Detlef Job und Bassist Heino Schünzel. Beide klingen sehr warm und angenehm und generell kann man sagen, daß Novalis zeigen, daß deutsche Texte sehr wohl auch gut klingen können. Es muß nicht immer Englisch sein.

Das Instrumental "Aufbruch" erzeugt ein großes Gemälde aus Stimmungen, es ist zwar keine Lautmalerei, die Melodie dominiert auch hier, getragen von der Lead-Gitarre, aber es bleibt dem Zuhörer überlassen, die Gedanken dabei schweifen zu lassen und sich vorzustellen, was immer man bei der gehörten Musik assoziiert. Es klingt sehr entspannend und angenehm.

"Wunderschätze" ist ein romantisch verklärter Text von Novalis aus dem 18.Jahrhundert und beschreibt zuerst sehr eindringlich die bittere Einsamkeit eines Mannes, zeigt aber später dann auch einen Weg auf, wie er davon gerettet werden kann.

Wer diese dramatische Romantik und Bildsprache mag, wird das Lied sehr gern haben. Es ist sehr lyrisch und um einen Vergleich zu nennen, so hat es in etwa die selbe Stimmung wie einige stillere Lieder auf "Trick of a Tail" von "Genesis".

Wer lieber Härte und Dynamik in der Musik sucht, der wird es vielleicht ein wenig zu romantisch finden. Obwohl es im Mittelteil des Liedes ein etwas härteres Gitarrensolo gibt, das von einem schnell spielenden Baß unterlegt wird.

Hauptwerk ist aber das überlange "Sommerabend", das erneut eine großartige Atmosphäre verbreitet. Es beginnt sehr verträumt mit sphärischen Keyboardklängen, die unterlegt sind mit Sounds, die mich ein wenig an Walgesang erinnern. Im zweiten Teil "Der Strand" setzt dann die Akustikgitarre ein und im Hintergrund hört man, wie sich die Wellen brechen. Der folgende Text ist sehr poetisch und verträumt und wird wunderbar sanft vorgetragen. Er beschreibt die Empfindungen eines Mannes, der allein am Meer sitzt und den Wellen zusieht.

Später hin wird die Musik härter und es gibt auch ein dynamisches Keyboardsolo. Das Lied ist sehr vielschichtig aufgebaut und erzielt zumindest bei mir immer die beabsichtigte Wirkung. Von verträumt entspannt, hin zu nachdenklich und reflektierend, in einem Konflikt gipfelnd, der aber ein gutes und optimistisches Ende hat.

Es ist dabei zwar nicht ganz so komplex wie vergleichbar lange Lieder von "Yes" z.B. aber rein von den Emotionen her möchte ich "Sommerabend" doch mit "Close to the Edge" z.B. vergleichen. Die Musik ist dabei durch und durch lyrisch, poetisch und sehr romantisch. Wer diesen Attributen etwas abgewinnen kann, der sollte "Sommerabend" unbedingt einmal antesten. Es bietet romantischen Progrock höchster Qualität.

Es gibt auch noch frühere Alben von Novalis, auf denen u.a. sehr gelungene Werke wie "Wer Schmetterlinge lachen hört" gespielt werden, leider jedoch habe ich das entsprechende Album dazu noch nicht gefunden und ich besitze nur eine Cassettenaufnahme einer live gespielten Version.

Nach und nach werden die Novalis-Alben aber auch auf CD herausgebracht und vor allem die Alben bis 1979 bieten wunderbare Musik.

Sommerabend halte ich für überragend. Novalis müssen den Vergleich mit den berühmten Gruppen aus England nicht scheuen.

14 Punkte


Brandung
(1977 - Biereichel, Job, Mühlböck, Rahn, Schünzel)

Novalis hatten mit "Sommerabend" in Deutschland einen großen Hit gelandet - es waren mehr als 100.000 Exemplare verkauft worden. "Brandung" knüpfte nahtlos an diesen Erfolg an.

Novalis hatten mit diesem Album ein wenig ihr Konzept geändert, was auch auf den neuen Leadsänger Fred Mühlböck zurückzuführen ist.
Auf "Brandung" gibt es den ersten Versuch, einen kompakten, radiotauglichen Song zu schreiben. "Irgendwo, Irgendwann" hatte dabei vor allem in Norddeutschland (Novalis stammen aus Hamburg) Erfolg im Radio. Der Song hat aber trotz seiner Kompaktheit den Charme eines damals typischen Novaliswerkes. Es gibt schöne Keyboard- und E-Gitarreneinlagen, ein abwechslungsreiches Arrangement und das Lied an sich ist weit vom Dumpfrock oder Discopop damaliger Zeiten entfernt, auch wenn es sehr flott und beinahe fröhlich daherkommt.

Abgesehen von diesem ersten Singleversuch zelebrieren Novalis auch auf "Brandung" ihren Romantik-Rock.
Es wurden erneut Texte vom Namensgeber Novalis adaptiert - so geschehen beim leisen Akustikgitarrenstück "Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren" und dem langen "Astralis", das solchen Klassikern wie "Wer Schmetterlinge lachen hört" nachempfunden ist.

Hauptwerk ist aber das knapp 16-minütige "Sonnenwende", ein Konzeptwerk wie schon "Sommerabend" auf dem Vorgängeralbum.
Es gibt sehr schöne instrumentale Parts, die sehr stark an der Klassik angelehnt sind und dazu einen ökologisch-kritischen Text von Mühlböck, der den Niedergang und Wiederaufstieg der Menschheit in ein neues Paradies auf Erden beschreibt. Generell kann man sagen, daß Mühlböck mehr zeitkritisches in die Band einbrachte (dies sollte sich erst recht beim nächsten Album "Flossenengel" zeigen, das die Ausrottung der Wale beklagt). Mühlböcks Stimme klingt auf dem ganzen Album immer sehr dramatisch, im Schlußteil von Sonnenwende schließlich schwingt sich Mühlböck bis ins Falsett empor, die Vokaleinlage erinnert mich dabei ein wenig an "The Great Gig In The Sky" von Pink Floyd.

Als Fazit bleibt übrig, daß "Brandung" "Sommerabend" in fast nichts nachsteht, letzteres Album hatte allenfalls das etwas schönere Konzeptstück. "Brandung" zeigt zusammen mit den beiden Vorgängeralben und dem Nachfolger "Flossenengel" Novalis auf dem kreativen Höhepunkt. Wer romantisch-poetischen Progrock mag, der wird von Novalis bestens bedient. Die Band schaffte es damals, ihren eigenen Klang zu finden und den englischen Prog-Gruppen ein deutsches Pendant zu bieten.

13 Punkte


Vielleicht bist Du ein Clown?
(1978 - Biereichel, Job, Mühlböck, Rahn, Schünzel)

Die beiden vorangegangenen Alben "Sommerabend" und "Brandung" waren für Novalis ein großer Erfolg gewesen. Und mit "Brandung" hatten sich die Bandmitglieder endgültig für die Musik als Beruf entschieden. "Vielleicht bist Du ein Clown?" trägt dem insofern Rechnung, als daß allein die Aufmachung schon um einiges professioneller ausgefallen ist. Das Cover des Albums wurde von Hipgnosis entworfen (die u.a. auch für Pink Floyd Cover entwarfen) und die Plattenfirma machte zunehmends Druck auf die Band, kommerzielle Lieder zu schreiben.

Das Album bietet wohl nicht zuletzt deshalb keine breitwandigen Konzeptwerke mehr, wie man sie von Novalis bisher gehört hatte. Die Texte sind immer noch stellenweise sehr lyrisch und poetisch geraten wie bei "Der Geigenspieler" oder "Die Welt wird alt und wieder jung", bei dem ein Text Friedrich Schillers als Vorlage diente, doch gibt es auch eher zeitgenössisch-kritische Texte wie "Vielleicht bin ich ein Clown" oder das schlagerhafte "Manchmal fällt der Regen eben lang".

Die Musik selbst klingt auch um einiges gestraffter nun, ist aber zum Glück noch weit davon entfernt, in die Banalität abzugleiten. Das sehr romantische Stück "Der Geigenspieler" bietet noch all die Zutaten, die man bei Novalis schätzt. Wunderbare Keyboarduntermalung von Lutz Rahn, schönen Gesang von Detlev Job und ein abwechslungsreiches Arrangement mit einigen Tempowechseln.

Doch spätestens beim Singleversuch "Manchmal fällt der Regen eben lang" macht sich das Bemühen bemerkbar, vermehrt kommerzielle Stücke für das Radio schreiben zu wollen (bzw. zu müssen). Das Lied ist doch recht simpel (im Vergleich zu anderen Novaliswerken) konstruiert, folgt einem einfachen Vers-Refrain Schema, klingt aber mit seiner flotten Mitsing-Melodie wenigstens angenehm.

"Vielleicht bin ich ein Clown" ist rhythmisch sehr interessant aufgebaut, kann mich aber nicht überzeugen, es fehlt mir ein wenig das epische oder emotionale Moment, wie es z.B. "Der Geigenspieler" wunderbar bietet.

Es gibt auch zwei instrumentale Stücke, "Zingaresca" wurde von Fred Mühlböck komponiert und ist ein schönes, wenn auch nicht sonderlich komplexes, Gitarrenstück mit einzelnen Keyboardintermezzos.

Keyboarder Lutz Rahn hat "City Nord" beigesteuert (City Nord ist ein Gewerbegebiet in Hamburg, in dem - zumindest nach dem Zeitgeist und Geschmack der 70er Jahre - architektonisch interessante Bürobauten angesiedelt sind, heutzutage wird über den Abriß nachgedacht...) und trägt ebenfalls dem Bemühen Rechnung, gestrafftere Songstrukturen zu liefern, ist aber gut gelungen.

"Die Welt wird alt und wieder jung" ist ein sehr poetischer und stiller Ausklang des Albums, Sänger Fred Mühlböck wird nur vom Klavier und leisen Streichertönen begleitet.

Alles in allem ist bei "Vielleicht bist Du ein Clown" das beginnende Ende der progressiven Phase bei Novalis bereits zu erkennen. Die Lieder bewegen sich um die 5 bis 6 Minuten, und bemühen sich, einfacheren Strukturen zu folgen. Das künstlerische Niveau der vorangegangenen Werke wird trotz professioneller Produktion nur noch selten erreicht. "Vielleicht bist Du ein Clown?" bietet dennoch schöne Momente und gute Musik - doch die grandiosen Werke wie "Sommerabend" oder "Brandung" werden nicht fortgeführt. Angesichts des Zeitpunktes der Veröffentlichung ist es aber leider ein generelles Phänomen der damaligen Progbands gewesen. Ende der 70er gab es einfach keinen Platz mehr für Progrock in den Charts, der Massengeschmack hatte sich verändert und die Progbands versuchten zumeist vergebens, ihre Richtung ein wenig zu ändern.

Immerhin kann man hier aber sagen, daß Novalis ihre Sache gut gemacht haben, andere kommerzielle Annäherungen von viel berühmteren Gruppen damals sind um einiges schlechter ausgefallen.

Wer die Musik von Novalis mag, der kann auch getrost hier zugreifen - wer hingegen diese Band erst entdecken möchte, dem möchte ich zuerst die Alben "Sommerabend", "Novalis" und "Brandung" empfehlen, die in keinster Weise dem britischen Progrock hinterherstehen.

11 Punkte


Flossenengel
(1979 - Biereichel, Job, Mühlböck, Rahn, Schünzel)

Das Konzeptalbum (mit dem neuen Leadsänger Fred Mühlböck, dessen dramatischer Gesang voll Vibrato schwingt) erzählt die Geschichte des Fabelwesens Atlanto, das im Meer lebt, und eines Tages von einem Fischer in seinem Netz gefangen wird...

Das Album ist sehr ökologisch ausgelegt und kritisiert die Ausbeutung der Meere und die Ausrottung der Fische und Wale. Die Gruppe unterstützte mit dem Album damals den WWF.

Die Musik zeigt sich immer noch sehr poetisch und meist sanft - jedoch herrschen hier bereits kurze und geradlinigere Kompositionen vor. Novalis nähert sich damit schon mehr dem Rock/Pop-Gefilde und verläßt allmählich den progressiven Bereich, der aber auch hier noch vertreten ist.

Es beginnt sehr atmosphärisch mit der instrumentalen Ouvertüre "Atlanto" (welches von echtem Walgesang eröffnet wird) und dabei ein wenig an "Aufbruch" von "Sommerabend" erinnert. Die Melodie ist wie immer sehr schön und ein wenig verträumt, Keyboard und Gitarre wechseln sich in den führenden Rollen ab und vor allem die stets variierenden Tasteninstrumente sorgen für abwechslungsreiche Farben in der Musik.

Danach folgen zwei kürzere Lieder, die Atlanto beschreiben. Das beste Lied auf "Flossenengel" ist für mich dann das knapp 9-minütige "Das Netz". Es beginnt mal wieder sehr atmosphärisch mit einem wabernden Keyboardsound, dazu einige Klänge von der Gitarre, die allmählich eine Melodielinie aufnimmt. Es erinnert dabei ein wenig an "Shine on you crazy diamond" von "Pink Floyd", bloß sehr viel zarter und romantischer.

Der Text ist sehr kurz geraten und beschreibt, wie Atlanto an Bord des Fischerbootes im Netz gefangen aufwacht.

"Flossenengel" wird vom Schifferklavier begleitet und beschreibt nun die Gefühle des Fischers, wie er Atlanto betrachtet. Das kurze Lied ist sehr poetisch und lebt vor allem von Mühlböcks dramatisch angehauchten Gesang. "Walzer für einen verlorenen Traum" ist ein kurzes Instrumental im Walzertakt. Es klingt sehr beschwingt und lebt vor allem von der E-Gitarre.

"Sklavenzoo" klingt sehr hart und schroff und beschreibt, wie der eingesperrte Atlanto den Menschenmassen vorgeführt wird.

"Alle wollen leben" ist ebenfalls rockig und von der Botschaft her nachdenklich. Atlanto spricht zu dem Fischer, der ihn gefangen hat und klagt ihm das Leid seiner Artgenossen. Die ökologische Botschaft ist hier sehr präsent und es wird der Raubbau an der Natur angeklagt.

"Rückkehr" erzählt, wie der reuige Fischer Atlanto zurück zum Meer bringt und ihn dort freisetzt. Die Musik ist wieder stiller geworden.

Zwischendurch greift die E-Gitarre erneut das Hauptthema aus "Atlanto" auf.

Beendet wird die Geschichte von dem sehr kurzen und schnellen "Ob Tier, Ob Mensch, Ob Baum", die die Einheit und das gleiche Ziel aller Lebewesen zum Thema hat - das Überleben.

"Flossenengel" bietet abschließend gesehen sehr schöne Musik, diesmal neben eher sinnlichen Liedern jedoch auch einige Härte und Dynamik. Es ist dabei nicht mehr ganz so komplex wie "Sommerabend" aber Stimmungen und Emotionen werden auch hier aufs beste in Szene gesetzt, so daß "Flossenengel" ein gutes Konzeptalbum mit einem ansprechenden ökologischen Thema und schönen Melodien ist. Progressivität zeigt sich nur noch bei wenigen Liedern aber. "Das Netz" als bestes Beispiel dafür. Mit diesem Album nahm die Progrockphase von Novalis ein Ende.

13 Punkte


TO für den Musikzirkus.
Mr. Upduff
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Re: Novalis – Die Jahre 1973 – 1979

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Gepostet: 19.02.2009 - 13:05 Uhr  ·  #2
Ein schöne zund umfassende Zusammenfassung..."Banished Bridge" und "Vielleicht bist Du ein Clown?" würde ich ein paar Pünktchen mehr geben..."Brandung" für die erste LP-Seite weitaus weniger und für "Sonnenwende" die vollste Punktzahl...
Tom Cody
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Re: Novalis – Die Jahre 1973 – 1979

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Gepostet: 19.02.2009 - 15:05 Uhr  ·  #3
Sehr umfangreich und detailiert dargestellt - well done. :daumen:

Mir persönlich gefallen die "Same" und die "Sommerabend" am besten. Da würde ich jeweils die volle Punktzahl verteilen. Mit Abstrichen kommt dann die "Banished Bridge". Die "Konzerte" kann man noch dazunehmen. Alle anderen Alben sind dann nicht mehr so ganz nach meinem Geschmack.
hmc
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Re: Novalis – Die Jahre 1973 – 1979

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Gepostet: 19.02.2009 - 15:16 Uhr  ·  #4
Leider ist die Konzerte erst jetzt erschienen, über ein Bootleg wollte ich nichts schreiben.
Hole ich aber nach und hänge sie dran.
YETI
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Re: Novalis – Die Jahre 1973 – 1979

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Gepostet: 19.02.2009 - 20:12 Uhr  ·  #5
ich schwärme beonders für Sommerabend.
Mr. Upduff
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Re: Novalis – Die Jahre 1973 – 1979

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Gepostet: 29.09.2011 - 12:53 Uhr  ·  #6
Zitat geschrieben von hmc

Brandung
(1977 - Biereichel, Job, Mühlböck, Rahn, Schünzel)

Novalis hatten mit "Sommerabend" in Deutschland einen großen Hit gelandet - es waren mehr als 100.000 Exemplare verkauft worden. "Brandung" knüpfte nahtlos an diesen Erfolg an.

Novalis hatten mit diesem Album ein wenig ihr Konzept geändert, was auch auf den neuen Leadsänger Fred Mühlböck zurückzuführen ist.
...
Abgesehen von diesem ersten Singleversuch zelebrieren Novalis auch auf "Brandung" ihren Romantik-Rock.
...
Hauptwerk ist aber das knapp 16-minütige "Sonnenwende", ein Konzeptwerk wie schon "Sommerabend" auf dem Vorgängeralbum.
Es gibt sehr schöne instrumentale Parts, die sehr stark an der Klassik angelehnt sind und dazu einen ökologisch-kritischen Text von Mühlböck, der den Niedergang und Wiederaufstieg der Menschheit in ein neues Paradies auf Erden beschreibt. Generell kann man sagen, daß Mühlböck mehr zeitkritisches in die Band einbrachte (dies sollte sich erst recht beim nächsten Album "Flossenengel" zeigen, das die Ausrottung der Wale beklagt). Mühlböcks Stimme klingt auf dem ganzen Album immer sehr dramatisch, im Schlußteil von Sonnenwende schließlich schwingt sich Mühlböck bis ins Falsett empor, die Vokaleinlage erinnert mich dabei ein wenig an "The Great Gig In The Sky" von Pink Floyd.

Als Fazit bleibt übrig, daß "Brandung" "Sommerabend" in fast nichts nachsteht, letzteres Album hatte allenfalls das etwas schönere Konzeptstück. "Brandung" zeigt zusammen mit den beiden Vorgängeralben und dem Nachfolger "Flossenengel" Novalis auf dem kreativen Höhepunkt. Wer romantisch-poetischen Progrock mag, der wird von Novalis bestens bedient. Die Band schaffte es damals, ihren eigenen Klang zu finden und den englischen Prog-Gruppen ein deutsches Pendant zu bieten.

13 Punkte
...

Für die A-Seite gibt`s von mir max. 7, aber für die B-Seite 15+1 Punkte...
Tom Cody
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Re: Novalis – Die Jahre 1973 – 1979

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Gepostet: 08.04.2012 - 19:15 Uhr  ·  #7
73 - 76 waren ihre besten Jahre aus meiner Sicht! 😉
Triskell
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Re: Novalis – Die Jahre 1973 – 1979

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Gepostet: 08.04.2012 - 19:19 Uhr  ·  #8
Zitat geschrieben von Tom Cody
73 - 76 waren ihre besten Jahre aus meiner Sicht! 😉


Seh ich genauso. :8)
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Re: Novalis – Die Jahre 1973 – 1979

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Gepostet: 10.05.2012 - 09:55 Uhr  ·  #9
Seit wenigen Tagen ist von MIG das Album Flossenengel wiederveröffentlicht worden. Hat das mal jemand gehört? Und wenn ja, wie ist der Sound? Und gibt es Bonustracks?
ForbiddenPlanet
 
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Re: Novalis – Die Jahre 1973 – 1979

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Gepostet: 28.10.2012 - 20:12 Uhr  ·  #10
Inzwischen habe ich mir auch Flossenengel zugelegt und bin vollkommen verblüfft, wie gut die heute noch klingt. Musikalisch gesehen sogar etwas vielfältiger als all die Alben zuvor. Und Lutz Rahn habe ich jedenfalls nie besser gehört.
Die Texte allerdings - die ich schon damals als eher grenzwertig empfand - wirken heute oft unfreiwillig komisch und gehen zumindest für mich gar nicht mehr. Trotz der guten Absicht, die da sicherlich dahintersteckt(e).
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Re: Novalis – Die Jahre 1973 – 1979

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Gepostet: 29.10.2012 - 09:40 Uhr  ·  #11
Die Vinylausgabe drehte sich vor einigen Monaten auch noch bei mir auf dem Plattenteller. Find sie auch sehr ansprechend. Die Lyrics? Na ja, wurde schon Schlimmeres in deutscher Sprache verfasst.
Tom Cody
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Re: Novalis – Die Jahre 1973 – 1979

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Gepostet: 06.11.2020 - 20:31 Uhr  ·  #12
Zitat geschrieben von YETI

ich schwärme beonders für Sommerabend.

Ein klasse Album, ja.... ^_^
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