The Gathering - Alben von 1995- 2006.
Mandylion
(1995 - Boeijen, Geerligs, van Giersbergen, H. Rutten, R. Rutten, Wiersma)
Nachdem The Gathering ursprünglich als eher gewöhnliche Death Metal Formation gestartet waren, sollte sich mit der neuen Sängerin Anneke van Giersbergen vieles für die Band ändern. Nach Problemen mit diversen Sängern zuvor hatte sich mit Anneke van Giersbergen eine sehr talentierte Frontfrau gefunden, die durch ihren ausdrucksstarken Gesang entscheidend die neue musikalische Richtung von The Gathering prägen sollte.
Auf "Mandylion" gibt es sehr melodisch ausgeprägten und melancholisch anmutenden Metal, wobei hier und da aber auch andere Einflüsse schon hörbar werden. So z.B. eine gewisse Affinität zu Alternativebands wie Dead Can Dance auf dem instrumentalen Titelstück des Albums. Zwar produzieren The Gathering auf "Mandylion" nicht unbedingt sehr komplexe Musik, doch dafür werden die Lieder mit um so mehr Gefühl und Hingabe gespielt. Wenn so manches Progwerk manchmal etwas kopflastig wirkt, kann man dies von "Mandylion" nicht behaupten - man kann sich der emotionalen Wirkung der Lieder nicht entziehen.
Allein Anneke van Giersbergens Stimme reicht aus, um die volle Bandbreite an Gefühlen auszudrücken. Vom kraftgeladenen Klassiker der Band "Strange Machines", über Powerballaden wie "Leaves" bis hin zum äußerst zerbrechlichen und traurigen "Sand and mercury", das den Tod thematisiert, kann man sich ihrem Gesang nicht entziehen. Es war hier schon klar, daß mit van Giersbergen eines der ganz großen Talente entdeckt worden war.
Die Musik tut ihr übriges. Zwar gibt es auf "Mandylion" vereinzelt immer noch eher gewöhnliche Heavy Metal Phrasen, doch die äußerst gelungenen Melodien und die recht abwechslungsreichen Arrangements mit stilsicher eingesetzten Keyboards und der nötigen Prise Bombast lassen "Mandylion" mehr als deutlich über gewöhnliche Metalalben hervorstehen.
Und obwohl The 3rd And The Mortal etwas früher schon ein ähnliches Konzept verfolgt hatten, sind The Gathering jene, die nachfolgenden Bands mit ähnlichem Konzept, wie den niederländischen Kollegen von Within Temptation, den Weg endgültig geebnet haben.
"Mandylion" ist ganz gewiß ein großer Klassiker. In seiner Machart perfekt. Musikalisch wohl nicht das Ausbund an Komplexität oder Progressivität, ist das Album dafür in seiner emotionalen Wirkung unübertroffen. Und mit Anneke van Giersbergen, als eine der besten Sängerinnen im Rock/Metal-Genre, übt das Album einen Zauber aus, dem sich keiner verschließen kann.
Deshalb kann ich "Mandylion" all jenen empfehlen, die sich nicht als Progpuristen bezeichnen. Intensivere Musik wird man kaum finden.
14/15 Punkten
Nighttime Birds
(1997 - Boeijen, Geerligs, van Giersbergen, H. Rutten, R. Rutten, Wiersma)
Nach dem musikalischen Neustart von The Gathering mit "Mandylion" folgte zwei Jahre später das so wichtige Nachfolgealbum. "Mandylion" war ein großer Erfolg gewesen, weshalb es nahelag, erstmal nicht viel an der Rezeptur zu verändern. Mit Anneke Van Giersbergens exzellentem Gesang, dem Melodiegefühl und den gekonnten Arrangements konnte man nicht viel falsch machen. Und so führt "Nighttime Birds" auch die Linie von "Mandylion" fort. Allenfalls die Melancholie ist etwas gewichen, auch wenn sie immer noch eine entscheidenen Rolle in vielen Songs spielt.
"Nighttime Birds" weist eine Fülle an exzellenten Liedern auf, die sehr dynamischen und kraftvollen Lieder "On Most Surfaces" und "Confusion", die etwas ruhigeren und verträumt wirkenden Stücke "Kevin's Telescope" und "Nighttime Birds", sowie die zerbrechlich wirkende Ballade "Shrink".
Mit "Third Chance" wurde ein Song von einer zuvor veröffentlichten EP neu aufgenommen, wobei jedoch die Originalversion knackiger wirkte und von mir gegenüber der Albumversion vorgezogen wird. Die Single "The May Song" ist nett, nicht unbedingt typisch für das Album, aber gut anzuhören.
Leider sind "The Earth Is My Witness" und "New Moon, Different Day" nicht ganz so gut gelungen, auf mich wirken sie phasenweise uninspiriert, hier fehlt der zündende Funke in der Melodie. Es wird hier aber schon teilweise die Abkehr vom Metalsound deutlich, der später noch stärker wurde.
"Nighttime Birds" kann immer noch sehr überzeugen. Auch wenn sich im Vergleich zu Mandylion hier und da schon ein "aha"-Effekt einstellt, weil das Grundkonzept geblieben ist. Doch die Wirkung der Musik an sich ist erneut sehr intensiv geraten. The Gathering schreiben Lieder, die den Zuhörer berühren und mitnehmen.
Deshalb ist "Nighttime Birds" ebenfalls ein sehr empfehlenswertes Album.
13/15 Punkten
How To Measure A Planet
(1998 - Boeijen, Geerligs, van Giersbergen, H. Rutten, R. Rutten)
The Gathering unterzogen sich mit "How To Measure A Planet" einem großen Wandel in der Musik. Auch personell mußte man sich einem Wandel unterziehen. Der zweite Gitarrist Jelmer Wiersma hatte die Band verlassen, so daß René Rutten nun alleine die Saiten zupfen mußte. Musikalisch war der Wandel allerdings um einiges gravierender. So sehr, daß man einige alte Fans wohl vergraulte zumindest aber sehr irritierte. The Gathering verabschiedeten sich bei diesem Album von dem erfolgreichen Konzept der beiden vorangegangenen Alben und legten einen Großteil der Heavy Metal Anleihen ab, um sich statt dessen elektronisch veränderten Gitarrenklängen, sanft dahinfließenden Melodien und einer gehörigen Prise Progressivität zu widmen. Anneke Van Giersbergen hatte nach eigener Aussage auch keine Lust mehr, stets die "Metal-Braut" zu spielen. The Gathering ist dieser Imagewandel auf jeden Fall gelungen.
Schon das erste Lied "Frail" zeigt die neue Richtung an - anstelle von krachenden Metalriffs oder der gewohnten Dynamik gibt es ein sehr sinnliches und zerbrechliches Lied. Anneke Van Giersbergens Stimme kommt so eigentlich noch besser zur Geltung. Sie beweist hier eindrücklich, daß sie in der Tat viel mehr als nur eine "Metal-Braut" ist.
Auch die beiden Nachfolgelieder "Great Ocean Road" und "Rescue Me" lassen keinen Zweifel offen, daß The Gathering sich musikalisch weiterentwickelt hatten. Hier gibt es durchaus sehr viel Power, doch saftige Keyboardklänge und am PC veränderte E-Gitarren verleihen den Liedern ein ganz neues Gewand. Geblieben ist die emotionale Wirkung der Songs und das Melodiegefühl.
Auf "Rescue Me" mit einer instrumentalen Tour de Force im Mittelteil (auf dem u.a. ein Uraltsynthesizer, das Theremin, eingesetzt wird) zeigt die Band, daß sie es immer noch krachen lassen kann, doch wirken die Kompositionen an sich jetzt reifer, komplexer. Man entdeckt die etwas filigraneren Seiten, probiert neue Klangmöglichkeiten aus.
Und so ungewohnt dieser neue Stil zuerst klingen mag für ältere Fans - man kann sich auch dieser Musik nicht entziehen. Die Mischung aus Sinnlichkeit und Kraft, der emotionale Kitt sozusagen, ist nach wie vor präsent und erzeugt wie gewohnt eine große Wirkung.
Musikalisch gibt es nun eine größere Bandbreite. Sinnliches, Zärtliches, Rockiges, Episches, Progressives und auch Härteres fügen sich auf "How To Measure A Planet" zu einem überzeugenden Gesamtwerk zusammen.
Ursprünglich war "How To Measure A Planet" in der Erstauflage einmalig als Doppel-CD Version geplant. Spätere Auflagen sollten nur noch die erste CD beinhalten. Aber das wurde dann wieder fallengelassen, so daß man auch heute immer noch das Album mit beiden CDs im Laden erhält. Es wäre auch seltsam gewesen, die zweite CD wegzulassen, befindet sich dort doch das Titelstück.
Die zweite CD bietet mit "Probably Built In The Fifties" noch ein weiteres Highlight - wer aber beim fast 29-minütigen Titelstück zuerst als Progfan ins Entzücken gerät, wird leider enttäuscht. Das Titelstück entpuppt sich mehr als experimentelle Klangcollage ohne echte Melodie. Ein Lied, auf das man getrost verzichten kann.
Abgesehen von den Abstrichen bei der zweiten CD ist "How To Measure A Planet" aber ein ausgezeichnetes Album geworden, das musikalisch einen wichtigen Schritt vorwärts bedeutet. Es gibt deutlich mehr progressive Tendenzen und die Entscheidung, den Klang am PC aufzupolieren bzw. zu verändern wirkt sich sehr gut aus. The Gathering schafften mit diesem Album den Ausbruch aus der eigenen Formel, die bei erneuter Anwendung vielleicht zur Gefahr geworden wäre. So aber ist mit "How To Measure A Planet" bis auf den Ausrutscher beim Titelsong auf der zweiten CD ein sehr beeindruckendes Werk gelungen.
14/15 Punkten
if_then_else
(2000 - Boeijen, Geerligs, van Giersbergen, H. Rutten, R. Rutten)
Auf "if_then_else" wandelt sich die Musik von The Gathering erneut. Man verbindet nun die bei "How To Measure A Planet" erworbenen Freiheiten mit Anleihen aus den beiden anderen Alben zuvor. Vielleicht als Konzession an die älteren Fans, die die elektronische Herangehensweise beim Vorgängeralbum nicht so schätzten.
So gibt es auf "if_then-else" wieder mehr Metal-Einflüsse. "Shot To Pieces" z.B. läßt es wieder recht deutlich krachen. Doch wirklich zurückgegangen sind The Gathering nicht. Schon das sehr sinnliche und wunderschöne "Amity" beweist, daß The Gathering mittlerweile alles andere als eine Metalband mehr sind. Zwar haben viele Songs Kraft und Dynamik, und René Rutten läßt immer wieder mal seine Gitarren krachen, aber der Sound der Band ist mittlerweile so vielseitig geworden, daß dies nur eines der Stilmittel ist, die man verwendet.
Man ist auf "if_then_else" phasenweise experimentierfreudig, und es gibt immer noch die wunderschönen Songs wie "The Rollercoaster", das vielleicht am ehesten die Melange aus "Mandylion" und "How To Measure A Planet" symbolisiert.
Leider gibt es auf "if_then_else" auch etwas langweiligere Momente - so daß eher gemächlich dahinplätschernde "Analog Park", das einfach keinen bleibenden Eindruck setzen kann, das leicht zugekifft wirkende "Herbal Movement" und das zu unauffällige Instrumental "Pathfinder".
Bleiben acht Lieder, die die Stärken der Band zeigen. The Gathering befinden sich auf jeden Fall auf einem interessanten Weg. Sie streben danach, musikalisch nicht zu verkrusten, was ihnen auch gelingt. Warum sollte die Band auch alle paar Jahre eine weitere Version von "Mandylion" aufnehmen, wenn dieses Album in seiner Machart ohnehin schon perfekt war und man nur noch immer blasser werdende Kopien produzieren könnte.
So halten sich The Gathering frisch. Und solange Anneke Van Giersbergen als Ausnahmesängerin an Bord bleibt und die Band ihr sicheres Gespür für Gefühl und Melodien behält, werden noch eine Reihe exzellenter Alben folgen. Vielleicht jedoch sollten The Gathering ihre allzu experimentelle Seite im Probenraum lassen bzw. dort optimieren - zumindest dann, wenn man das Melodiegefühl dem Experiment opfert. Jene Momente sind, wenn es übertrieben wird - wie auch schon bei "How To Measure A Planet" - leider etwas konfus oder langweilig geraten.
Doch "if_then_else" ist in den überwiegend gelungenen Momenten sehr gut geraten, was dann die drei schwächeren Lieder mehr als wettmacht. Dennoch ist die Kluft bei manchen Liedern diesmal größer als sonst. Vielleicht ein Zeichen dafür, daß The Gathering nach "How To Measure A Planet" auf dem Album noch nicht genau wußten, wie es weitergehen soll. Ich denke, der weitere Weg wird auf jeden Fall spannend werden. Nachdem vor kurzem eine EP erschienen ist, laufen die Arbeiten am neuen Studioalbum auf Hochtouren.
12/15 Punkten
Souvenirs
(2003 - Boeijen, Geerligs, van Giersbergen, H. Rutten, R. Rutten)
Das Musikerleben ist nicht einfach. Was soll man tun, wenn man mit einem Musikstil Erfolg hat? Diese Linie für die Fans fortführen und dabei vielleicht die eigene Entwicklung aufgeben, weil man sich mehr oder minder nur noch selber kopiert? Oder soll man konsequent seinen eigenen Weg gehen, mit der Gefahr, daß alte Fans vor den Kopf gestoßen werden und vielleicht das neue Album nicht mehr kaufen werden?
The Gathering sind auf jeden Fall eine mutige Band. Nicht nur, daß die Gruppe nun ihr eigenes Plattenlabel hat, haben sich The Gathering dafür entschieden, konsequent neue Pfade zu beschreiten und altes mehr oder minder hinter sich zu lassen. Die Band selber nennt die Musik auf "Souvenirs" Trip Rock - wie immer man es nun auch nennen mag: man nehme die elektronischen Einflüsse auf "How To Measure A Planet", schraubt die Metaleinflüsse auf ein Mininum zurück und heraus kommen zehn Lieder, die durchaus ihren Reiz haben, die aber auch stellenweise ein wenig zu entrückt klingen. Hier und da wünsche ich mir, daß The Gathering es richtig krachen lassen, doch diese Momente sind sehr spärlich gesät. Und der ehedem so dynamische Gesang von Anneke van Giersbergen bekommt nun eher sphärische Qualitäten, wie man es auch beim Trip Hop sozusagen gewöhnt ist. Ich denke, daß die Band damit aber einiges an Potential verschenkt.
Schwachpunkt auf dem Album sind für mich dabei vor allem die Melodien. Sicherlich: es gibt sie, die gelungenen Gesangslinien. Die Ballade "You learn about it" klingt z.B. wunderschön und das Duett mit Trickster G. auf "A life all mine" hat auch seinen Reiz, doch viel zu oft plätschern die Melodien und mit ihnen die Songs ereignislos vor sich hin, mäandern ohne erkennbare Höhepunkte aus den Lautsprechern. Wo früher exzellente Melodien und knackige Gitarren vorherrschten, klingt es nun mehr nach einem zugenebelten Dauertrip. Vielleicht ist es deshalb auch kein Wunder, daß mancher Song auf "Souvenirs" wie eine Fortsetzung von "Herbal Movement" vom Vorgängeralbum "if_then_else" klingt.
Der Sound der Band ist immer noch sehr dicht, kein Zweifel, und die Gitarren braten hier und da im Hintergrund noch ordentlich mit. Aber was nützt all das, wenn diesmal leider vor allem der Gesang zu einförmig klingt und eigentlich kaum eine Melodie sich dauerhaft einnisten mag?
Wenn ich an "Strange Machines" denke und mir anhöre und dann dazu im Vergleich direkt das Eröffnungsstück auf dem aktuellen Album, frage ich mich, warum die Band offenbar keine Lust mehr hat, die etwas härtere Gangart einzuschlagen.
Natürlich ist es auch sinnlos, "Mandylion" oder "Nighttime Birds" auf ewig zu kopieren, ich persönlich fand den Weg auf "How To Measure A Planet" sehr reizvoll, als elektronische Einflüsse gekonnt mit Metalelementen gepaart wurden. "Souvenirs" hingegen betritt für mich eher langweiliges Terrain. Fraglich auch, ob The Gathering sich damit neue Fans erschließen können, es bleibt ebenfalls offen, wieviele alte Fans ihre Schwierigkeiten mit der neuen Musik haben werden.
Ich möchte damit nun nicht sagen, daß "Souvenirs" total mißlungen ist. Sicherlich nicht. Einiges hat seinen Reiz und das Album an sich ist sehr ausgewogen und harmonisch geraten. Nur leider hat man sich vielleicht zu sehr darauf konzentriert, etwas neues und anderes zu machen, hat Trip Hop Elemente in die Musik eingewoben, experimentiert hier und da ein wenig - und irgendwie dabei anscheinend die Melodien vergessen. Schade, da Anneke van Giersbergen eigentlich zu jenen gehört, die ich wirklich sehr gerne höre. Auf "Souvenirs" hingegen klingt sie oft sehr kraftlos und zurückhaltend, in gelungeneren Augenblicken immerhin filigran und fast zärtlich.
All jenen, die The Gathering bisher mochten und schon kennen, würde ich dringend empfehlen, zuerst in das Werk hineinzuhören und dann erst zu entscheiden, ob man es kaufen mag. Ansonsten könnte man sehr enttäuscht sein. Ich hoffe, daß ein zukünftiges Album der Band wieder mehr Wert auf gelungene Melodien legt und etwas mehr Dynamik bietet. "Souvenirs" ist für mich leider das bisher schwächste Album der Band seit Anneke van Giersbergen an Bord ist.
9/15 Punkten
Sleepy Buildings
(2004 - Boeijen, Geerligs, van Giersbergen, H. Rutten, R. Rutten)
Unplugged oder akustische Alben erfreuen sich in den letzten Jahren zunehmender Beliebtheit, so daß immer mehr Bands ihr Können auch ohne viel Studiotechnik beweisen wollen und nebenbei altbekannten Liedern neue Perspektiven abgewinnen.
The Gathering gaben im August 2003 zwei exklusive semiakustische Konzerte - soll heißen, daß elektrische Instrumente wie Keyboards und Gitarre dabei waren - im holländischen Nimwegen. Das Resultat dieser beiden Abende findet sich nun auf "Sleepy Buildings" wieder, das so etwas wie einen Abschluß der Zeit beim Label Century Media darstellt, welches das Album vertreibt. The Gathering haben zwischenzeitlich ihr eigenes Label gegründet und darauf im Jahr 2003 ihr Album "Souvenirs" veröffentlicht. Auf "Sleepy Buildings" bekommt man jetzt einen interessanten Querschnitt durch die Zeit bei Century Media geboten. Das Repertoire umfaßt die Alben "if_then_else", "How To Measure A Planet?", "Nighttime Birds", natürlich "Mandylion" und überraschenderweise auch einiges aus der Frühzeit der Band, ehe Anneke van Giersbergen dazustieß. So sind auch drei Songs von den Alben "Always" und "Almost A Dance" vertreten, die hier natürlich eine Neuinterpretation erfahren.
Die Arrangements auf "Sleepy Buildings" konzentrieren sich voll und ganz auf Anneke van Giersbergen, die hier eindrucksvoll ihre Sangeskünste unter Beweis stellen kann. Da geraten die Instrumente manchmal zum Beiwerk, weil Anneke praktisch alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Die Lieder zeigen sich auf "Sleepy Buildings" sehr intim, zerbrechlich und meist recht besinnlich - passend für einen (semi)akustischen Auftritt und es ist dabei schon interessant zu hören, wie ehemalige Kracher wie "Eleanore" plötzlich fragil daherkommen und sich sanft ins Ohr schmeicheln.
Die Songauswahl ist übrigens nicht unbedingt ein typisches "Best Of", sondern bedient sich meist bei den Stücken, die auf den ersten Blick auf den jeweiligen Alben vielleicht etwas im Schatten standen. Das mag gewiß auch daran liegen, daß die bekannteren Lieder bereits auf dem Livealbum "Superheat" zu hören waren, zum anderen tut es dem Musikgenuß keinen Abbruch, die Qualität der Lieder ist exzellent. Die Neuinterpretationen sind ebenfalls sehr beeindruckend und beweisen, daß The Gathering sich mittlerweile mehrere Welten vom ursprünglichen Metalansatz entfernt haben. Die Gruppe stößt in musikalisch ganz andere Regionen vor, wie nicht zuletzt auf "Souvenirs" zu hören war, das mir in der Rücksicht mittlerweile auch um einiges besser gefällt.
Somit ist "Sleepy Buildings" natürlich für alle Fans von The Gathering von höchstem Interesse, aber auch Liebhaber alternativer Musik sollten das Album ernsthaft in Erwägung ziehen. So eindringlich dargebrachte Musik bekommt man selten geboten und The Gathering beweisen, daß eine Menge Potential in der Gruppe steckt, die fernab formelhafter Gothicalben konsequent ihren eigenen Weg geht. "Sleepy Buildings" bietet als Appetithappen 14 ausgezeichnete Lieder, eine zurückhaltende Instrumentierung und Anneke van Giersbergen als exzellente Sängerin, der man gerne sehr viel länger als die knapp 72 Minuten Spieldauer zuhören möchte.
14/15 Punkten
Home
(2006 - Boeijen, van Giersbergen, Kooijman, H. Rutten, R. Rutten)
Drei Jahre nach "Souvenirs" hat sich bei The Gathering einiges getan. Anneke Van Giersbergen hat ihr erstes Kind zur Welt gebracht und Hugo Prinsen Geerligs hat die Band verlassen. Für ihn zupft nun Bassistin Marjolein Kooijman die Saiten.
Geblieben ist hingegen die neue musikalische Stilrichtung der Niederländer. Die eigenwillige Mischung aus Rock, Postrock und Electronica, die man zusammengewürfelt mit einigen Elementen des Trip Hop schlicht "Trip Rock" getauft hat.
Was kann man also von "Home" erwarten? Fans älterer The Gathering jedenfalls werden hier - wie schon auf dem Vorgängeralbum - nicht unbedingt bedient. "Home" zeigt sich genau wie "Souvenirs" sehr melancholisch, ätherisch, elektronisch und teilweise minimalistisch. Anneke Van Giersbergens Stimme schwebt dabei engelsgleich über der Musik, vorbei sind die Zeiten als sie noch als echte Rockröhre gegen bretternde E-Gitarren ansang. Dafür kann man sie aber pur und unverfälscht bei solch akustischen Kleinoden wie "Forgotten" bewundern, wenn sie allein von sanften Pianoklängen begleitet wird und ganz und gar zerbrechlich aus den Lautsprechern ins Zimmer fließt.
Man mag den alten The Gathering à la "Mandylion" hinterhertrauern, doch wenn man sich erstmal damit angefreundet hat, daß Bombast und Dynamik momentan im musikalischen Universum der Band nichts zu suchen haben und man sich stattdessen konsequent der Atmosphäre und Melancholie verschrieben hat, hat auch "Home" seine Reize. Das Album ist dann ein willkommener Begleiter für verregnete Nachmittage oder die besinnliche Seelenschau zur Abenddämmerung.
The Gathering haben ein Album aufgenommen, das über die gesamte Spieldauer ein gleiches Niveau halten kann, einzig das sehr kurze Geräuschexperiment "Fatigue" fällt hier etwas aus dem Rahmen. Doch trotz aller Homogenität (oder gerade deswegen) sehne ich beim Zuhören immer wieder mal einen musikalischen Ausbruch und etwas Tempo herbei, aber The Gathering bleiben konsequent bei ihrer Linie. Die Gitarren grummeln zwar hier und da wieder etwas mehr in typischer The Gathering Manier, einige Melodielinien lassen auch Erinnerungen an vergangene Alben wie z.B. "How To Measure A Planet" aufkommen, das war es aber auch schon an Reminiszenzen. The Gathering sind im 21. Jahrhundert angekommen und spielen diese Tage Musik für Großstädter, die sich abends in der Lounge versammeln, um gemeinsam den Tag zu vergessen.
Und doch müssen sich The Gathering der schwedischen Band Paatos geschlagen geben. Paatos sind bei weitem nicht so elektronisch veranlagt, aber spielen ansonsten eine ähnlich gelagerte Musik. Nur daß die Schweden, nicht nur auf ihrem neuen Album "Silence Of Another Kind" die ungleich besseren Melodien komponiert haben und die Musik an sich dort einfach lebendiger ist. So lebt "Home" vor allem von der intimen Atmosphäre, die Lieder bleiben am ehesten durch ihre Stimmungen im Gedächtnis, nicht aber durch besonders gelungene Melodien, was dann doch etwas schade ist, waren doch früher vor allem die Melodien auch eine Stärke bei The Gathering.
Ich persönlich würde mir wünschen, daß The Gathering irgendwann von ihrem "Trip" wieder herunterkommen, sich aus ihrer selbsterwählten Lethargie befreien, daß René Ruttens Gitarren die Gehörgänge freipusten und Anneke van Giersbergen endlich mal wieder so richtig aus sich herausgeht. Ihre säuselnde Stimme ist zwar immer wieder ein Genuß, aber auf die Dauer kann der allzu zurückhaltende Gesang leider auch - wie die Musik - etwas eintönig werden.
10/15 Punkten
T.O.
Mandylion
(1995 - Boeijen, Geerligs, van Giersbergen, H. Rutten, R. Rutten, Wiersma)
Nachdem The Gathering ursprünglich als eher gewöhnliche Death Metal Formation gestartet waren, sollte sich mit der neuen Sängerin Anneke van Giersbergen vieles für die Band ändern. Nach Problemen mit diversen Sängern zuvor hatte sich mit Anneke van Giersbergen eine sehr talentierte Frontfrau gefunden, die durch ihren ausdrucksstarken Gesang entscheidend die neue musikalische Richtung von The Gathering prägen sollte.
Auf "Mandylion" gibt es sehr melodisch ausgeprägten und melancholisch anmutenden Metal, wobei hier und da aber auch andere Einflüsse schon hörbar werden. So z.B. eine gewisse Affinität zu Alternativebands wie Dead Can Dance auf dem instrumentalen Titelstück des Albums. Zwar produzieren The Gathering auf "Mandylion" nicht unbedingt sehr komplexe Musik, doch dafür werden die Lieder mit um so mehr Gefühl und Hingabe gespielt. Wenn so manches Progwerk manchmal etwas kopflastig wirkt, kann man dies von "Mandylion" nicht behaupten - man kann sich der emotionalen Wirkung der Lieder nicht entziehen.
Allein Anneke van Giersbergens Stimme reicht aus, um die volle Bandbreite an Gefühlen auszudrücken. Vom kraftgeladenen Klassiker der Band "Strange Machines", über Powerballaden wie "Leaves" bis hin zum äußerst zerbrechlichen und traurigen "Sand and mercury", das den Tod thematisiert, kann man sich ihrem Gesang nicht entziehen. Es war hier schon klar, daß mit van Giersbergen eines der ganz großen Talente entdeckt worden war.
Die Musik tut ihr übriges. Zwar gibt es auf "Mandylion" vereinzelt immer noch eher gewöhnliche Heavy Metal Phrasen, doch die äußerst gelungenen Melodien und die recht abwechslungsreichen Arrangements mit stilsicher eingesetzten Keyboards und der nötigen Prise Bombast lassen "Mandylion" mehr als deutlich über gewöhnliche Metalalben hervorstehen.
Und obwohl The 3rd And The Mortal etwas früher schon ein ähnliches Konzept verfolgt hatten, sind The Gathering jene, die nachfolgenden Bands mit ähnlichem Konzept, wie den niederländischen Kollegen von Within Temptation, den Weg endgültig geebnet haben.
"Mandylion" ist ganz gewiß ein großer Klassiker. In seiner Machart perfekt. Musikalisch wohl nicht das Ausbund an Komplexität oder Progressivität, ist das Album dafür in seiner emotionalen Wirkung unübertroffen. Und mit Anneke van Giersbergen, als eine der besten Sängerinnen im Rock/Metal-Genre, übt das Album einen Zauber aus, dem sich keiner verschließen kann.
Deshalb kann ich "Mandylion" all jenen empfehlen, die sich nicht als Progpuristen bezeichnen. Intensivere Musik wird man kaum finden.
14/15 Punkten
Nighttime Birds
(1997 - Boeijen, Geerligs, van Giersbergen, H. Rutten, R. Rutten, Wiersma)
Nach dem musikalischen Neustart von The Gathering mit "Mandylion" folgte zwei Jahre später das so wichtige Nachfolgealbum. "Mandylion" war ein großer Erfolg gewesen, weshalb es nahelag, erstmal nicht viel an der Rezeptur zu verändern. Mit Anneke Van Giersbergens exzellentem Gesang, dem Melodiegefühl und den gekonnten Arrangements konnte man nicht viel falsch machen. Und so führt "Nighttime Birds" auch die Linie von "Mandylion" fort. Allenfalls die Melancholie ist etwas gewichen, auch wenn sie immer noch eine entscheidenen Rolle in vielen Songs spielt.
"Nighttime Birds" weist eine Fülle an exzellenten Liedern auf, die sehr dynamischen und kraftvollen Lieder "On Most Surfaces" und "Confusion", die etwas ruhigeren und verträumt wirkenden Stücke "Kevin's Telescope" und "Nighttime Birds", sowie die zerbrechlich wirkende Ballade "Shrink".
Mit "Third Chance" wurde ein Song von einer zuvor veröffentlichten EP neu aufgenommen, wobei jedoch die Originalversion knackiger wirkte und von mir gegenüber der Albumversion vorgezogen wird. Die Single "The May Song" ist nett, nicht unbedingt typisch für das Album, aber gut anzuhören.
Leider sind "The Earth Is My Witness" und "New Moon, Different Day" nicht ganz so gut gelungen, auf mich wirken sie phasenweise uninspiriert, hier fehlt der zündende Funke in der Melodie. Es wird hier aber schon teilweise die Abkehr vom Metalsound deutlich, der später noch stärker wurde.
"Nighttime Birds" kann immer noch sehr überzeugen. Auch wenn sich im Vergleich zu Mandylion hier und da schon ein "aha"-Effekt einstellt, weil das Grundkonzept geblieben ist. Doch die Wirkung der Musik an sich ist erneut sehr intensiv geraten. The Gathering schreiben Lieder, die den Zuhörer berühren und mitnehmen.
Deshalb ist "Nighttime Birds" ebenfalls ein sehr empfehlenswertes Album.
13/15 Punkten
How To Measure A Planet
(1998 - Boeijen, Geerligs, van Giersbergen, H. Rutten, R. Rutten)
The Gathering unterzogen sich mit "How To Measure A Planet" einem großen Wandel in der Musik. Auch personell mußte man sich einem Wandel unterziehen. Der zweite Gitarrist Jelmer Wiersma hatte die Band verlassen, so daß René Rutten nun alleine die Saiten zupfen mußte. Musikalisch war der Wandel allerdings um einiges gravierender. So sehr, daß man einige alte Fans wohl vergraulte zumindest aber sehr irritierte. The Gathering verabschiedeten sich bei diesem Album von dem erfolgreichen Konzept der beiden vorangegangenen Alben und legten einen Großteil der Heavy Metal Anleihen ab, um sich statt dessen elektronisch veränderten Gitarrenklängen, sanft dahinfließenden Melodien und einer gehörigen Prise Progressivität zu widmen. Anneke Van Giersbergen hatte nach eigener Aussage auch keine Lust mehr, stets die "Metal-Braut" zu spielen. The Gathering ist dieser Imagewandel auf jeden Fall gelungen.
Schon das erste Lied "Frail" zeigt die neue Richtung an - anstelle von krachenden Metalriffs oder der gewohnten Dynamik gibt es ein sehr sinnliches und zerbrechliches Lied. Anneke Van Giersbergens Stimme kommt so eigentlich noch besser zur Geltung. Sie beweist hier eindrücklich, daß sie in der Tat viel mehr als nur eine "Metal-Braut" ist.
Auch die beiden Nachfolgelieder "Great Ocean Road" und "Rescue Me" lassen keinen Zweifel offen, daß The Gathering sich musikalisch weiterentwickelt hatten. Hier gibt es durchaus sehr viel Power, doch saftige Keyboardklänge und am PC veränderte E-Gitarren verleihen den Liedern ein ganz neues Gewand. Geblieben ist die emotionale Wirkung der Songs und das Melodiegefühl.
Auf "Rescue Me" mit einer instrumentalen Tour de Force im Mittelteil (auf dem u.a. ein Uraltsynthesizer, das Theremin, eingesetzt wird) zeigt die Band, daß sie es immer noch krachen lassen kann, doch wirken die Kompositionen an sich jetzt reifer, komplexer. Man entdeckt die etwas filigraneren Seiten, probiert neue Klangmöglichkeiten aus.
Und so ungewohnt dieser neue Stil zuerst klingen mag für ältere Fans - man kann sich auch dieser Musik nicht entziehen. Die Mischung aus Sinnlichkeit und Kraft, der emotionale Kitt sozusagen, ist nach wie vor präsent und erzeugt wie gewohnt eine große Wirkung.
Musikalisch gibt es nun eine größere Bandbreite. Sinnliches, Zärtliches, Rockiges, Episches, Progressives und auch Härteres fügen sich auf "How To Measure A Planet" zu einem überzeugenden Gesamtwerk zusammen.
Ursprünglich war "How To Measure A Planet" in der Erstauflage einmalig als Doppel-CD Version geplant. Spätere Auflagen sollten nur noch die erste CD beinhalten. Aber das wurde dann wieder fallengelassen, so daß man auch heute immer noch das Album mit beiden CDs im Laden erhält. Es wäre auch seltsam gewesen, die zweite CD wegzulassen, befindet sich dort doch das Titelstück.
Die zweite CD bietet mit "Probably Built In The Fifties" noch ein weiteres Highlight - wer aber beim fast 29-minütigen Titelstück zuerst als Progfan ins Entzücken gerät, wird leider enttäuscht. Das Titelstück entpuppt sich mehr als experimentelle Klangcollage ohne echte Melodie. Ein Lied, auf das man getrost verzichten kann.
Abgesehen von den Abstrichen bei der zweiten CD ist "How To Measure A Planet" aber ein ausgezeichnetes Album geworden, das musikalisch einen wichtigen Schritt vorwärts bedeutet. Es gibt deutlich mehr progressive Tendenzen und die Entscheidung, den Klang am PC aufzupolieren bzw. zu verändern wirkt sich sehr gut aus. The Gathering schafften mit diesem Album den Ausbruch aus der eigenen Formel, die bei erneuter Anwendung vielleicht zur Gefahr geworden wäre. So aber ist mit "How To Measure A Planet" bis auf den Ausrutscher beim Titelsong auf der zweiten CD ein sehr beeindruckendes Werk gelungen.
14/15 Punkten
if_then_else
(2000 - Boeijen, Geerligs, van Giersbergen, H. Rutten, R. Rutten)
Auf "if_then_else" wandelt sich die Musik von The Gathering erneut. Man verbindet nun die bei "How To Measure A Planet" erworbenen Freiheiten mit Anleihen aus den beiden anderen Alben zuvor. Vielleicht als Konzession an die älteren Fans, die die elektronische Herangehensweise beim Vorgängeralbum nicht so schätzten.
So gibt es auf "if_then-else" wieder mehr Metal-Einflüsse. "Shot To Pieces" z.B. läßt es wieder recht deutlich krachen. Doch wirklich zurückgegangen sind The Gathering nicht. Schon das sehr sinnliche und wunderschöne "Amity" beweist, daß The Gathering mittlerweile alles andere als eine Metalband mehr sind. Zwar haben viele Songs Kraft und Dynamik, und René Rutten läßt immer wieder mal seine Gitarren krachen, aber der Sound der Band ist mittlerweile so vielseitig geworden, daß dies nur eines der Stilmittel ist, die man verwendet.
Man ist auf "if_then_else" phasenweise experimentierfreudig, und es gibt immer noch die wunderschönen Songs wie "The Rollercoaster", das vielleicht am ehesten die Melange aus "Mandylion" und "How To Measure A Planet" symbolisiert.
Leider gibt es auf "if_then_else" auch etwas langweiligere Momente - so daß eher gemächlich dahinplätschernde "Analog Park", das einfach keinen bleibenden Eindruck setzen kann, das leicht zugekifft wirkende "Herbal Movement" und das zu unauffällige Instrumental "Pathfinder".
Bleiben acht Lieder, die die Stärken der Band zeigen. The Gathering befinden sich auf jeden Fall auf einem interessanten Weg. Sie streben danach, musikalisch nicht zu verkrusten, was ihnen auch gelingt. Warum sollte die Band auch alle paar Jahre eine weitere Version von "Mandylion" aufnehmen, wenn dieses Album in seiner Machart ohnehin schon perfekt war und man nur noch immer blasser werdende Kopien produzieren könnte.
So halten sich The Gathering frisch. Und solange Anneke Van Giersbergen als Ausnahmesängerin an Bord bleibt und die Band ihr sicheres Gespür für Gefühl und Melodien behält, werden noch eine Reihe exzellenter Alben folgen. Vielleicht jedoch sollten The Gathering ihre allzu experimentelle Seite im Probenraum lassen bzw. dort optimieren - zumindest dann, wenn man das Melodiegefühl dem Experiment opfert. Jene Momente sind, wenn es übertrieben wird - wie auch schon bei "How To Measure A Planet" - leider etwas konfus oder langweilig geraten.
Doch "if_then_else" ist in den überwiegend gelungenen Momenten sehr gut geraten, was dann die drei schwächeren Lieder mehr als wettmacht. Dennoch ist die Kluft bei manchen Liedern diesmal größer als sonst. Vielleicht ein Zeichen dafür, daß The Gathering nach "How To Measure A Planet" auf dem Album noch nicht genau wußten, wie es weitergehen soll. Ich denke, der weitere Weg wird auf jeden Fall spannend werden. Nachdem vor kurzem eine EP erschienen ist, laufen die Arbeiten am neuen Studioalbum auf Hochtouren.
12/15 Punkten
Souvenirs
(2003 - Boeijen, Geerligs, van Giersbergen, H. Rutten, R. Rutten)
Das Musikerleben ist nicht einfach. Was soll man tun, wenn man mit einem Musikstil Erfolg hat? Diese Linie für die Fans fortführen und dabei vielleicht die eigene Entwicklung aufgeben, weil man sich mehr oder minder nur noch selber kopiert? Oder soll man konsequent seinen eigenen Weg gehen, mit der Gefahr, daß alte Fans vor den Kopf gestoßen werden und vielleicht das neue Album nicht mehr kaufen werden?
The Gathering sind auf jeden Fall eine mutige Band. Nicht nur, daß die Gruppe nun ihr eigenes Plattenlabel hat, haben sich The Gathering dafür entschieden, konsequent neue Pfade zu beschreiten und altes mehr oder minder hinter sich zu lassen. Die Band selber nennt die Musik auf "Souvenirs" Trip Rock - wie immer man es nun auch nennen mag: man nehme die elektronischen Einflüsse auf "How To Measure A Planet", schraubt die Metaleinflüsse auf ein Mininum zurück und heraus kommen zehn Lieder, die durchaus ihren Reiz haben, die aber auch stellenweise ein wenig zu entrückt klingen. Hier und da wünsche ich mir, daß The Gathering es richtig krachen lassen, doch diese Momente sind sehr spärlich gesät. Und der ehedem so dynamische Gesang von Anneke van Giersbergen bekommt nun eher sphärische Qualitäten, wie man es auch beim Trip Hop sozusagen gewöhnt ist. Ich denke, daß die Band damit aber einiges an Potential verschenkt.
Schwachpunkt auf dem Album sind für mich dabei vor allem die Melodien. Sicherlich: es gibt sie, die gelungenen Gesangslinien. Die Ballade "You learn about it" klingt z.B. wunderschön und das Duett mit Trickster G. auf "A life all mine" hat auch seinen Reiz, doch viel zu oft plätschern die Melodien und mit ihnen die Songs ereignislos vor sich hin, mäandern ohne erkennbare Höhepunkte aus den Lautsprechern. Wo früher exzellente Melodien und knackige Gitarren vorherrschten, klingt es nun mehr nach einem zugenebelten Dauertrip. Vielleicht ist es deshalb auch kein Wunder, daß mancher Song auf "Souvenirs" wie eine Fortsetzung von "Herbal Movement" vom Vorgängeralbum "if_then_else" klingt.
Der Sound der Band ist immer noch sehr dicht, kein Zweifel, und die Gitarren braten hier und da im Hintergrund noch ordentlich mit. Aber was nützt all das, wenn diesmal leider vor allem der Gesang zu einförmig klingt und eigentlich kaum eine Melodie sich dauerhaft einnisten mag?
Wenn ich an "Strange Machines" denke und mir anhöre und dann dazu im Vergleich direkt das Eröffnungsstück auf dem aktuellen Album, frage ich mich, warum die Band offenbar keine Lust mehr hat, die etwas härtere Gangart einzuschlagen.
Natürlich ist es auch sinnlos, "Mandylion" oder "Nighttime Birds" auf ewig zu kopieren, ich persönlich fand den Weg auf "How To Measure A Planet" sehr reizvoll, als elektronische Einflüsse gekonnt mit Metalelementen gepaart wurden. "Souvenirs" hingegen betritt für mich eher langweiliges Terrain. Fraglich auch, ob The Gathering sich damit neue Fans erschließen können, es bleibt ebenfalls offen, wieviele alte Fans ihre Schwierigkeiten mit der neuen Musik haben werden.
Ich möchte damit nun nicht sagen, daß "Souvenirs" total mißlungen ist. Sicherlich nicht. Einiges hat seinen Reiz und das Album an sich ist sehr ausgewogen und harmonisch geraten. Nur leider hat man sich vielleicht zu sehr darauf konzentriert, etwas neues und anderes zu machen, hat Trip Hop Elemente in die Musik eingewoben, experimentiert hier und da ein wenig - und irgendwie dabei anscheinend die Melodien vergessen. Schade, da Anneke van Giersbergen eigentlich zu jenen gehört, die ich wirklich sehr gerne höre. Auf "Souvenirs" hingegen klingt sie oft sehr kraftlos und zurückhaltend, in gelungeneren Augenblicken immerhin filigran und fast zärtlich.
All jenen, die The Gathering bisher mochten und schon kennen, würde ich dringend empfehlen, zuerst in das Werk hineinzuhören und dann erst zu entscheiden, ob man es kaufen mag. Ansonsten könnte man sehr enttäuscht sein. Ich hoffe, daß ein zukünftiges Album der Band wieder mehr Wert auf gelungene Melodien legt und etwas mehr Dynamik bietet. "Souvenirs" ist für mich leider das bisher schwächste Album der Band seit Anneke van Giersbergen an Bord ist.
9/15 Punkten
Sleepy Buildings
(2004 - Boeijen, Geerligs, van Giersbergen, H. Rutten, R. Rutten)
Unplugged oder akustische Alben erfreuen sich in den letzten Jahren zunehmender Beliebtheit, so daß immer mehr Bands ihr Können auch ohne viel Studiotechnik beweisen wollen und nebenbei altbekannten Liedern neue Perspektiven abgewinnen.
The Gathering gaben im August 2003 zwei exklusive semiakustische Konzerte - soll heißen, daß elektrische Instrumente wie Keyboards und Gitarre dabei waren - im holländischen Nimwegen. Das Resultat dieser beiden Abende findet sich nun auf "Sleepy Buildings" wieder, das so etwas wie einen Abschluß der Zeit beim Label Century Media darstellt, welches das Album vertreibt. The Gathering haben zwischenzeitlich ihr eigenes Label gegründet und darauf im Jahr 2003 ihr Album "Souvenirs" veröffentlicht. Auf "Sleepy Buildings" bekommt man jetzt einen interessanten Querschnitt durch die Zeit bei Century Media geboten. Das Repertoire umfaßt die Alben "if_then_else", "How To Measure A Planet?", "Nighttime Birds", natürlich "Mandylion" und überraschenderweise auch einiges aus der Frühzeit der Band, ehe Anneke van Giersbergen dazustieß. So sind auch drei Songs von den Alben "Always" und "Almost A Dance" vertreten, die hier natürlich eine Neuinterpretation erfahren.
Die Arrangements auf "Sleepy Buildings" konzentrieren sich voll und ganz auf Anneke van Giersbergen, die hier eindrucksvoll ihre Sangeskünste unter Beweis stellen kann. Da geraten die Instrumente manchmal zum Beiwerk, weil Anneke praktisch alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Die Lieder zeigen sich auf "Sleepy Buildings" sehr intim, zerbrechlich und meist recht besinnlich - passend für einen (semi)akustischen Auftritt und es ist dabei schon interessant zu hören, wie ehemalige Kracher wie "Eleanore" plötzlich fragil daherkommen und sich sanft ins Ohr schmeicheln.
Die Songauswahl ist übrigens nicht unbedingt ein typisches "Best Of", sondern bedient sich meist bei den Stücken, die auf den ersten Blick auf den jeweiligen Alben vielleicht etwas im Schatten standen. Das mag gewiß auch daran liegen, daß die bekannteren Lieder bereits auf dem Livealbum "Superheat" zu hören waren, zum anderen tut es dem Musikgenuß keinen Abbruch, die Qualität der Lieder ist exzellent. Die Neuinterpretationen sind ebenfalls sehr beeindruckend und beweisen, daß The Gathering sich mittlerweile mehrere Welten vom ursprünglichen Metalansatz entfernt haben. Die Gruppe stößt in musikalisch ganz andere Regionen vor, wie nicht zuletzt auf "Souvenirs" zu hören war, das mir in der Rücksicht mittlerweile auch um einiges besser gefällt.
Somit ist "Sleepy Buildings" natürlich für alle Fans von The Gathering von höchstem Interesse, aber auch Liebhaber alternativer Musik sollten das Album ernsthaft in Erwägung ziehen. So eindringlich dargebrachte Musik bekommt man selten geboten und The Gathering beweisen, daß eine Menge Potential in der Gruppe steckt, die fernab formelhafter Gothicalben konsequent ihren eigenen Weg geht. "Sleepy Buildings" bietet als Appetithappen 14 ausgezeichnete Lieder, eine zurückhaltende Instrumentierung und Anneke van Giersbergen als exzellente Sängerin, der man gerne sehr viel länger als die knapp 72 Minuten Spieldauer zuhören möchte.
14/15 Punkten
Home
(2006 - Boeijen, van Giersbergen, Kooijman, H. Rutten, R. Rutten)
Drei Jahre nach "Souvenirs" hat sich bei The Gathering einiges getan. Anneke Van Giersbergen hat ihr erstes Kind zur Welt gebracht und Hugo Prinsen Geerligs hat die Band verlassen. Für ihn zupft nun Bassistin Marjolein Kooijman die Saiten.
Geblieben ist hingegen die neue musikalische Stilrichtung der Niederländer. Die eigenwillige Mischung aus Rock, Postrock und Electronica, die man zusammengewürfelt mit einigen Elementen des Trip Hop schlicht "Trip Rock" getauft hat.
Was kann man also von "Home" erwarten? Fans älterer The Gathering jedenfalls werden hier - wie schon auf dem Vorgängeralbum - nicht unbedingt bedient. "Home" zeigt sich genau wie "Souvenirs" sehr melancholisch, ätherisch, elektronisch und teilweise minimalistisch. Anneke Van Giersbergens Stimme schwebt dabei engelsgleich über der Musik, vorbei sind die Zeiten als sie noch als echte Rockröhre gegen bretternde E-Gitarren ansang. Dafür kann man sie aber pur und unverfälscht bei solch akustischen Kleinoden wie "Forgotten" bewundern, wenn sie allein von sanften Pianoklängen begleitet wird und ganz und gar zerbrechlich aus den Lautsprechern ins Zimmer fließt.
Man mag den alten The Gathering à la "Mandylion" hinterhertrauern, doch wenn man sich erstmal damit angefreundet hat, daß Bombast und Dynamik momentan im musikalischen Universum der Band nichts zu suchen haben und man sich stattdessen konsequent der Atmosphäre und Melancholie verschrieben hat, hat auch "Home" seine Reize. Das Album ist dann ein willkommener Begleiter für verregnete Nachmittage oder die besinnliche Seelenschau zur Abenddämmerung.
The Gathering haben ein Album aufgenommen, das über die gesamte Spieldauer ein gleiches Niveau halten kann, einzig das sehr kurze Geräuschexperiment "Fatigue" fällt hier etwas aus dem Rahmen. Doch trotz aller Homogenität (oder gerade deswegen) sehne ich beim Zuhören immer wieder mal einen musikalischen Ausbruch und etwas Tempo herbei, aber The Gathering bleiben konsequent bei ihrer Linie. Die Gitarren grummeln zwar hier und da wieder etwas mehr in typischer The Gathering Manier, einige Melodielinien lassen auch Erinnerungen an vergangene Alben wie z.B. "How To Measure A Planet" aufkommen, das war es aber auch schon an Reminiszenzen. The Gathering sind im 21. Jahrhundert angekommen und spielen diese Tage Musik für Großstädter, die sich abends in der Lounge versammeln, um gemeinsam den Tag zu vergessen.
Und doch müssen sich The Gathering der schwedischen Band Paatos geschlagen geben. Paatos sind bei weitem nicht so elektronisch veranlagt, aber spielen ansonsten eine ähnlich gelagerte Musik. Nur daß die Schweden, nicht nur auf ihrem neuen Album "Silence Of Another Kind" die ungleich besseren Melodien komponiert haben und die Musik an sich dort einfach lebendiger ist. So lebt "Home" vor allem von der intimen Atmosphäre, die Lieder bleiben am ehesten durch ihre Stimmungen im Gedächtnis, nicht aber durch besonders gelungene Melodien, was dann doch etwas schade ist, waren doch früher vor allem die Melodien auch eine Stärke bei The Gathering.
Ich persönlich würde mir wünschen, daß The Gathering irgendwann von ihrem "Trip" wieder herunterkommen, sich aus ihrer selbsterwählten Lethargie befreien, daß René Ruttens Gitarren die Gehörgänge freipusten und Anneke van Giersbergen endlich mal wieder so richtig aus sich herausgeht. Ihre säuselnde Stimme ist zwar immer wieder ein Genuß, aber auf die Dauer kann der allzu zurückhaltende Gesang leider auch - wie die Musik - etwas eintönig werden.
10/15 Punkten
T.O.