Ralph Mothwurf Orchestra - Zelt

Alles wirkt spektakulär, die Musik scheint flirrend zu schweben, Soundfetzen fliegen durch die Luft, und Genregrenzen werden spielend überschritten...

firebyrd

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Ralph Mothwurf Orchestra - Zelt

 ·  Gepostet: 16.07.2021 - 18:25 Uhr  ·  #624066
Ralph Mothwurf Orchestra - Zelt

Heute lässt mich das Ralph Mothwurf Orchestra in sein "Zelt". Der aus Linz stammende österreichische Komponist, Dirigent und Musiker Ralph Mothwurf stellt mit seinem zweiundzwanzig-köpfigen Orchester etwas vor, dass Grenzen zu sprengen scheint. Zunächst vermutet man anhand der Vielzahl der Musiker sicherlich gewohnte Bigband-Klänge, doch außer, dass entsprechende Arrangements solcher Formationen hier sicher auch Anwendung finden, hat der Komponist hier offensichtlich angestrebt, eine Verschmelzung von Traditionen zeitgenössischer Moderne und Jazz zu vollstrecken. Dieses gelingt mit den verschiedenen Musikern/innen vorzüglich.

Ein klares Zeichen setzt man sogleich mit dem Auftakttitel, "Pferd". Dieses galoppiert dann auch einem teils ungezähmten Wildpferd gleich, durch die fast zehn Minuten dieses fulminant arrangiert und gespielten Titels. Leicht schräg anmutend wird ein Thema vorgestellt, dass mich assoziativ sofort hingeleitet zum Willem Breuker Kollektief aus den Niederlanden. Da schwirren die Bläser durch den Raum, da brummelt die Tuba, und bei etwa Minute 2:39 empfange ich ekstatische Schreie eines Saxofons, das kann durchaus die berühmte Gänsehaut auslösen und zeigt mir, dass man Elemente freien Jazz' durchaus auch in einen solchen Rahmen packen kann. Die Schreie werden abgelöst von einer rockig orientierte E-Gitarre, die einen guten Platz im Umfeld von Jazz Rock der 70er Jahre hätte. Gleichzeitig klöppeln die Mallets, und erinnern mich nun wiederum an die Formation Gong, wie sie einst in den Siebzigern und Achtzigern agierte. Und mitunter taucht bei mir gedanklich auch Einiges auf, dass ich von Frank Zappa kenne.

Die jeweiligen Solisten der einzelnen Stücke sind aufgeführt bei den Songtiteln. So werden zwar der Gitarrist Peter Rom und der Trompeter Martin Eberle bei "Pferd" aufgeführt, aber wer das wilde Saxofon dort spielt, erfahre ich leider nicht."Lui" wird vom gestrichenen Bass eingeleitet und bringt die gewisse Note aus der klassischen Musik ein, etwas, was noch einmal unterstreicht, wie man versucht hat, die geplante Verschmelzung umzusetzen. Dieses schwirrende Arrangement wirkt hypnotisch, so klingt es, als hätte man eine Platte von Mike Oldfield mit akustischen Instrumenten neu arrangiert. Zwischendurch gibt es stets wieder Breaks, die die einzelnen Songs öffnen und sich neu entwickeln lassen. So kann es auch schon einmal vorkommen, dass sich Passagen einschleichen, die sich anhören, als würde sich ein Symphonieorchester vor dem Spiel einstimmen und dieses hätte man integriert als Bestandteil dieses faszinierenden Gesamtsounds.

Ich muss gestehen, dass die Bearbeitung dieser acht Songs ganz aus dem Rahmen bisher gehörter Musik mit großer Besetzung aus dem Jazz-Genre fällt. Carla Bley und Paul Haines mit ihrem "Escalator Over The Hill" mag ansatzweise gedanklich auftauchen, aber letztlich ist Zelt beeindruckend anders. Alles wirkt spektakulär, die Musik scheint flirrend zu schweben, Soundfetzen fliegen durch die Luft, und Genregrenzen werden spielend überschritten und die verschiedenen Stilelemente verschmelzen mit großer Leichtigkeit. Dabei gibt es stets überraschende Wendungen und es hört nicht auf, aufregend und fordernd zu bleiben. Im "Zelt" fand eine großartige Inszenierung statt, die diese Platte zu einem Klassiker werden lassen könnte. Bravo!

Ralph Mothwurf (Komposition & musikalische Leitung)
Maria Holzeis-Augustin, Benjamin Tabatabai (Flöte)
Vincent Pongracz, Christopher Haritzer (Klarinette)
Astrid Wiesinger, Anna Tsombanis, Vicy Pfeil (Saxophon)
Birgit Eibisberger, Laila Schubert (Horn)
Christian Hollensteiner, Martin Eberle, Markus Pechmann (Trompete)
Clemens Hofer, Georg Schrattenholzer (Posaune)
Tobias Ennemoser (Tuba)
Irena Manolova, Tobias Meissl (Schlaginstrumente)
Peter Rom (Gitarre)
Michael Tiefenbacher (Keyboards)
Tobias Vedovelli (Bass)
Valentin Duit (Schlagzeug)


1 Pferd (9:54) / Peter Rom, Martin Eberle
2 Lui (6:40) / Martin Eberle, Tobias Meissl
3 Sinken (6:21) / Michael Tiefenbacher
4 Stamm (8:27) / Astrid Wiesinger
5 Kreis (6:05) / Valentin Duit
6 Zelt (8:51)
7 Tau (6:11) / Anna Tsombanis, Tobias Vedovelli
8 Druck (5:21) / Vincent Pongracz


http://www.ralphmothwurf.com/

kraut-brain

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Re: Ralph Mothwurf Orchestra - Zelt

 ·  Gepostet: 22.07.2021 - 23:20 Uhr  ·  #624448
Folgt man deinen Zeilen, hat man eine ungefähre Ahnung, was dem geneigten Hörer wohl musikalisch geboten wird.

Ich bin den Songbeispielen "Pferd", "Stamm" und "Zelt" gefolgt und habe mir die drei Musikstücke komplett angehört. Was mir entgegenschlug, war ja teilweise ein totaler Orkan, der zwischen freien und konventionellen Musikstrukturen hin und her wog, der sich zwischen rasanten, aber auch verhaltenen Tempofolgen bewegte. Ich wurde geradezu mitgerissen und zwar im positiven Sinne.

Für mich ist das ein ganz großes musikalisches Kino, was die Musiker unter der Leitung von Ralph Morthwurf entwickelt haben.

Ich vermute mal, wen es packt, den packt es richtig und andere werden mit dieser Spielform nichts anfangen können.

Danke für deine Rezi ........