November 2014 - David Bowie - Low

badMoon

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November 2014 - David Bowie - Low

 ·  Gepostet: 01.11.2014 - 11:51 Uhr  ·  #385025
Bereits die ersten Takte im Radio machten mich kribbelig. Gehört hatte ich sie in Sonthofen, ich war gerade auf einem Lehrgang der Bundeswehr, "Rechnungsführer" schimpfte sich das. Die fehlende Ansage des Moderators ließ mich im Unklaren darüber, was ich da gerade hörte. Aber, ...Gottseidank hatte ich einen musikalisch sehr versierten Kollegen. Mit einer Selbstverständlichkeit und leicht überlegen-herablassendem Ton klärte er mich darüber auf, wie der Song hieß: "Das war "Blue, Blue, 'lectric Blue".

Mit diesem profunden Wissen machte ich mich also auf die Socken, "Blue, Blue, 'lectric Blue" in den einschlägigen Plattenläden zu erwerben. Der Titel musste dermaßen neu und aktuell sein, dass auch kein einziger Musikfachhändler damit etwas anfangen konnte. Mein Kumpel war schon ein toller Typ - was der so alles kannte und locker aus dem Ärmel schüttelte...

Irgenwann und einige Zeit später hielt ich dann die LP "Low" in den Händen. Mein Einstiegssong wurde zwischenzeitlich in "Sound And Vision" umbenannt, klang aber noch genau so wie damals im Radio. Und ich gebe zu - anfangs konnte ich mit dem Gesamtalbum nicht viel anfangen. Es war ziemlich verstörend, die A-Seite mit den kurzen, fast verstümmelten Musikstücken. Und die B-Seite , instrumental-düster, kalt und technisch.

Inspiriert von Bands wie Kraftwerk oder Neu! komponierte Bowie gemeinsam mit Brian Eno ein durch und durch experimentelles Album, welches heute als eines seiner Meisterwerke gelten dürfte. Gemessen an seinen vorherigen Alben wie bspw. "Station To Station" oder "Ziggy Stardust" hatte Bowie, oft bezeichnet als "Das Chamäleon der Popmusik", hier wohl seinen radikalsten musikalischen Wandel vollzogen.

Instrumental eröffnet die A-Seite elektronisch mit "Speed Of Life", kühl-treibend, rhythmisch-nervös. Und instrumental endet Seite A mit "A New Career In A New Town", nicht weniger treibend. Ebenso dominiert der Synthie, im Vergleich zum Opener wirkt dieser Song düsterer als eben dieser. Zwischen diesen Instrumentals geht die Reise treibend, nervös, düster weiter. Nach bereits 1:52 endet "Breaking Glass" gerade dann, wenn man sich auf den Tanzgroove eingestellt hat und überlässt "What In The World", einem hektisch voranpeitschendem Song die Bühne. Kein Titel der A-Seite überschreitet die Länge von 3:30 Minuten, und so fügen sich sieben Titel zu einer kühl-homogenen, gefühlsflirrenden Einheit zusammen.

Die große Überraschung jedoch folgt prompt auf der B-Seite: Sollte man der Meinung unterliegen, kühler als das bisher gehörte geht es nicht mehr, sieht man sich arg getäuscht: Bereits der erste synthetische Tastenanschlag von "Warszawa" kann Beklemmungen auslösen. Und aus dieser Umklammerung entlässt Warszawa aus keiner einzigen seiner insgesamt 381 Sekunden. Ab und an scheint ein melodischer Hoffnungsschimmer aus der Umklammerung befreien zu wollen, aber die düster-tragende Grundstimmung lässt nicht los. Und bringt gleichzeitig die wohlverdiente Entspannung nach der hektischen A-Seite des Albums. "Warszawa" dürfte für viele Bands richtungsweisend gewesen sein - so haben sich zum Beispiel "Joy Division" anfangs nicht umsonst in Anlehnung an dieses musikalische Kleinod "Warsaw" genannt. "Warszawa" eröffnete auch eine zeitlang einige der Bowie-Liveacts - nicht immer zur Zufriedenheit des Publikums.

Mit den experimentellen Klängen von "Low" war Bowie seiner Zeit wahrhaftig ein Stückchen voraus. Die Düsternis des Albums, die sich ausbreitende Tristesse, die sich mit Suizid und Psychosen beschäftigenden Themen sind wohl dem Drogeneinfluss, unter dem Bowie damals stand, geschuldet. Vielleicht war "Low" für ihn ein Befreiungsschlag. Ganz sicher jedoch wird es heute, fast 40 Jahre nach seinem Erscheinen, nach anfänglicher Ablehnung, Verstörung und zwiespältiger Aufnahme seiner Kritiker als ein Meilenstein der Musiklandschaft angesehen. Und wird sicher weitere 40 Jahre überleben und noch zu hören sein, wenn heutige "Alben des Jahres" längst aus den Regalen und musikalischen Gedächtnissen verschwunden sein werden.

Musiker

David Bowie – Gesang, Gitarre, Saxophon, Vibraphones, Xylophones, Harmonica, Piano, Keyboards und div. elektronische Instrumente
Brian Eno – Gesang, Mini Moog, Synthesizer, Piano, Keyboards und div. elektronische Instrumente
Tony Visconti – Background
Carlos Alomar – Guitar
Ricky Gardener – Guitar
Dennis Davis – Drums
George Murray – Bass
Roy Young – Piano, Farfisa
Mary Visconti – Hintergrundgesang
Iggy Pop – Hintergrundgesang

Warzawa (Live)
Sound And Vision
Always Crashing in the Same Car

Trurl

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Re: November 2014 - David Bowie - Low

 ·  Gepostet: 01.11.2014 - 12:25 Uhr  ·  #385028
:// Mit Heroes und Scary monsters zusammen ( die passende Livescheibe STAGE nehme ich mal raus) meine liebsten Bowiescheiben. Schöne Wahl

Trurl

Leslie

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Re: November 2014 - David Bowie - Low

 ·  Gepostet: 01.11.2014 - 12:43 Uhr  ·  #385029
Dein ReFü Kollege kannte zumindest ein Textfragment aus Sound and Vision <_< der Rechnungsführer war 1968 der wichtigste Mann beim Bund - der gab mir monatlich meinen Sold von 90 DM ...

ich bin ja ein Bowie Fan und hab bis 1983 einige Platten von ihm erworben - auch LOW - allerdings steht Low in der hintersten Ecke meiner Bowie Abteilung - damit wurde ich nicht warm und Blue Blue Electric Blue gab es ja schon 1969 <_<

der Ziggy, Station to Station, Heroes, Scary Monsters und der größte Erfolg Lets Dance stehen hier auch - Davids Beteiligung an Lou Reeds Transformer und Iggys & Stooges Raw Power sind auch erwähnenswert - Raw Power ist meine einzige Punkplatte

wie auch immer - David Bowie zählt zu den ganz Großen im Musikgeschäft - zudem soll er ein immenses Vermögen angehäuft haben - ein Zeichen dass er den Geschmack vieler Musikfreunde trifft...

badMoon

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Re: November 2014 - David Bowie - Low

 ·  Gepostet: 01.11.2014 - 12:52 Uhr  ·  #385032
Zitat geschrieben von Leslie

Dein ReFü Kollege kannte zumindest ein Textfragment aus Sound and Vision <_< der Rechnungsführer war 1968 der wichtigste Mann beim Bund - der gab mir monatlich meinen Sold von 90 DM ...


Off-Topic-On

...mittlerweile sind meine Straftaten verjährt, und so oute ich mich mal kurz: Manch Wehrpflichtigem in finanziellen Nöten habe ich über Frisierung der Verpflegungsliste (Eintragung von Krankheitstagen oder Sonderurlaub) zur Auszahlung von Verpflegungsgeld verholfen. Ich glaube, der Tagessatz war damals 4,50 DM. Finanziell entstand dem Bund dadurch kein Schaden, da weniger Verpflegungsteilnehmer gemeldet wurden als selbige verpflichtet waren. Auch dies problemlos, weil - es gingen IMMER weit weniger an der Verpflegung verpflichtete Teilnehmer in die Kantine, als hätten gemeldet werden müssen.

Off-Topic-Off

Zurück zur Musik.

Leslie

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Re: November 2014 - David Bowie - Low

 ·  Gepostet: 01.11.2014 - 12:57 Uhr  ·  #385033
Zitat geschrieben von badMoon


Off-Topic-On
Ich glaube, der Tagessatz war damals 4,50 DM

Off-Topic-Out



Donnerwetter - ich glaube 1968 gab es noch keine 2 DM pro Tag <_< - habs vergessen...

Stattmeister

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Re: November 2014 - David Bowie - Low

 ·  Gepostet: 01.11.2014 - 16:00 Uhr  ·  #385037
Sehr schöne Vorstellung einer Scheibe die ich noch erwerben möchte (du hattest sie mir ab und an ja bereits ans Herz gelegt). Hier steht aus dem Zyklus nur die Heroes und die finde ich sehr gut. Und "Sond and Vison" ist für mich ein Hammersong. Auch das hier gehörte Warszawa geht unter die Haut.

holger_fischer

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Re: November 2014 - David Bowie - Low

 ·  Gepostet: 02.11.2014 - 21:04 Uhr  ·  #385078
Danke für die informative Vorstellung. Sound and Vision war der erste Song, den ich von Bowie hörte. Seine Plattenumsätze wurden dadurch durch mich nicht gesteigert. Ich hatte mir dann aber noch ein paar ältere Sachen von ihm angehört. Der Bruder eines Freundes hatte einige LPs. Aber dabei ist es dann auch geblieben. Nach Deiner Beschreibung scheint "Low" recht abwechslungsreich zu sein. Ich könnte noch mal ein Ohr riskieren....

Stattmeister

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Re: November 2014 - David Bowie - Low

 ·  Gepostet: 02.11.2014 - 21:29 Uhr  ·  #385084
Tu es nicht, das ist keine Holger-kompatible Musik :u: :-M

Tom Cody

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Re: November 2014 - David Bowie - Low

 ·  Gepostet: 03.11.2014 - 11:49 Uhr  ·  #385106
Vielen Dank für diese informative und detaillierte Vorstellung! ://

Bowie ist zweifellos eine der schillernsten und prägendsten Personen der Rockmusik. Mir gefallen in erster Linie seine Werke der Frühphase. Liegt vielleicht an dem Gitarristen Mick Ronson, der einigen Liedern auch die entsprechende Härte verlieh.

4 CDs stehen hier: Space Oddity und Sound and Visions I-III. Von der "Low" sind auf der Compilation auch einige Tracks verewigt.

Off topic:

Ja, ja, den Refü....

.....kenne ich eigentlich auch nur vom Essenmarken eintauschen. Wenn ein freies Wochenende anstand, schaute man vorher beim Refü vorbei.... 8)

Triskell

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Re: November 2014 - David Bowie - Low

 ·  Gepostet: 03.11.2014 - 13:00 Uhr  ·  #385114
Wenn ich Bowie nicht kennen würde, hättest Du mir jetzt das "Maul" wässrig gemacht. ;)
Allerdings, bis auf wenige Songs, die sich auf diesem Sampler befinden, spricht mich die Musik einfach nicht an.
Genauso ergeht es mir im übrigen mit dem Schaffen von Roxy Music. :whistle:

Jersch

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Re: November 2014 - David Bowie - Low

 ·  Gepostet: 03.11.2014 - 19:14 Uhr  ·  #385136
Ich verbinde mit der Musik von "Low" immer auch viele Sequenzen aus dem Junkiedrama "Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo".

sunny

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Re: November 2014 - David Bowie - Low

 ·  Gepostet: 03.11.2014 - 20:27 Uhr  ·  #385145
Zitat geschrieben von Jersch

Ich verbinde mit der Musik von "Low" immer auch viele Sequenzen aus dem Junkiedrama "Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo".


Vielen Dank für die klasse Vorstellung.
Obwohl ich David Bowie recht wenig auflege, geht es mir wie Jersch schreibt
mit David Bowie bringe ich immer "Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" in Verbindung.

Für mich ist die Berliner Zeit von ihm sehr prägend, diese hörte ich recht oft
und die möchte ich am liebsten.

Das Album "Low" ist eines der besseren von ihm, zumindest für mich. :D
Befasse mich mit dem Werk am Mittwoch, wenn ich mehr Zeit habe.

nixe

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Re: November 2014 - David Bowie - Low

 ·  Gepostet: 11.11.2015 - 10:24 Uhr  ·  #424409
@badMoon Ich kenne dieses Album erst einem Monat, denn ich habe mir die Berlin-Box Zeit! 77-79 zugelegt, da ich ja einiges von Bowie*s Berlin Zeit! gehört hatte & außer Heroes nix zu sounden bekam! Sound & Vision hatte ich auch schon ewig nicht mehr gehört & wollte es mir zulegen, gut das es hier mit drauf ist!!!

...

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Re: November 2014 - David Bowie - Low

 ·  Gepostet: 27.11.2015 - 10:36 Uhr  ·  #426421
Wie sollte es auch anders sein? Bin natürlich auch überzeugter Bowiefan!
Die Berliner Zeit finde ich auch sehr spannend! Die Ausstellung im Frühjahr in der Hauptstadt "Bowie is..." war übrigens auch super!
Hier stehen von Bowie alle Studioplatten rum. Und die werden auch relativ regelmäßig gehört.
Wobei ich natürlich "Z S and the Spiders from mars" favorisiere!
LG, Ziggy

badMoon

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Re: November 2014 - David Bowie - Low

 ·  Gepostet: 27.11.2015 - 11:00 Uhr  ·  #426424
@Ziggy,

hätte es sich ergeben, bspw. bei einem zeitlichen Zusammentreffen mit der Boulettenrunde, hätte ich mir die Bowieausstellung auch angesehen. Schade, ...sowas findet leider nicht so häufig statt. Schön, dass Du das erleben konntest.

:happy:

badMoon

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Re: November 2014 - David Bowie - Low

 ·  Gepostet: 26.01.2016 - 06:32 Uhr  ·  #433715
Ausstellung: David Bowie is

Die Ausstellung zeigt zum ersten Mal weltweit eine Übersicht über die Ausnahmekarriere von David Bowie, einem der richtungsweisendsten und einflussreichsten Künstler unserer Zeit...

Ausgestellt wird noch bis zum 13.03.16.

Museumeiland 1
Groningen / NL

Weitere Informationen

freaksound

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Re: November 2014 - David Bowie - Low

 ·  Gepostet: 01.02.2016 - 16:33 Uhr  ·  #434294
ach ne, oder....... 845 km , is das gemein.......................

White Bird

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Re: November 2014 - David Bowie - Low

 ·  Gepostet: 03.10.2018 - 11:06 Uhr  ·  #540558
Durch den Brezel wurde ich auf diese Rezi von David Bowie gestoßen und habe es genossen, den Beitrag zu lesen. Wirklich umfassend hast du das Album aus deiner Sicht beschrieben. Deshalb auch nur einige Anmerkungen von mir dazu.

David Bowie habe ich erst als Späteinsteiger im Jahre 1983 richtig kennengelernt. Let's Dance war das Album, dass praktisch eine Art Weichensteller für das Gesamtwerk von Bowie für mich war. In der Folgezeit hatte ich somit die Möglichkeit, ihn auf etlichen Konzerten auch live zu sehen.Die Magie, die von seiner vielfältigen Musik ausgeht, hat mich somit gefangen genommen und letztlich bis zu seinem Tod begleitet. Auf diesem Wege habe ich sämtliche Schaffensphasen seines künstlerischen Lebens ausleben können. Ich würde mich somit als großer Fan seiner Musik bezeichnen.

Mit der Einspielung "Low" hat es uns Bowie damals nicht ganz leicht gemacht. Der musikalische Stilwechsel hat sich schon leicht mit der LP "Station To Station angekündigt und fand in seiner Berliner Phase seine abschließende Umsetzung. Sicherlich war es seiner Drogensucht und auch inneren Zerrissenheit geschuldet, dass der Stilwechsel derart dramatisch verlief. Denn nichts war mehr wie vorher, selbst die ihn begleitenden Musiker wurden ausgewechselt. Außer Iggy Pop und Brian Eno musste man sich nun an völlig andere Begleitmusiker gewöhnen.

In einem Punkt möchte ich dir aber in deiner gelungenen Rezi widersprechen. Die erste Seite wirkt auf mich nicht nervös, treibend oder hektisch, sondern für mich handelt es sich um eine Aneinanderreihung gelungener, ja auch tanzbarer Musikstücke, die in dem gespielten Kontext der ersten Seite wie aus einem Guss wirken. Sie verbreiten in mir Freude und ein Gefühl der Wohligkeit.

Die zweite LP Seite hingegen ist sehr sperrig und gewöhnungsbedürftig und unterscheidet sich von allem, was David Bowie bis zu diesem Zeitpunkt eingespielt hat. Aber auch mit dem Blickwinkel der heutigen Zeit handelt es sich um hörenswerte und zugleich spannende Musik. Als Späteinsteiger empfindet man diesen Wandel wahrscheinlich weniger dramatisch als die Hörer aus dem Jahre 1977.


LG White Bird