Vielen Dank nochmals an badMoon für die Vorstellung von Ceeys‘ „Hiddensee“; die Insel kenne ich schon, gut geeignet, um im Sommer, so er denn wolkenlos und heiß ist, dort in den Ferien zu verbrennen. Kein Baum, kein Strauch, kein Schutz an den Stränden. Und kein Auto. Die Insel ist autofrei und wird es, bis auf die üblichen Ausnahmen, wohl auch bleiben. Früher kurvten da nur die Grenztruppen der DDR rum, der Urlauber muss, auch heute noch, die eigenen Füße oder das (mitgebrachte) Fahrrad bemühen.
Ceeys – also die Gebrüder Selke, kannte ich natürlich nicht. Gesehen habe ich deren CDs aber schon – das Kulturkaufhaus „Dussmann“ in der Friedrichstraße zu Berlin/Mitte hat eine relativ gut bestückte Abteilung „Neoklassik“ und unter dieser Rubrik wird Musik der Gebrüder Selke eingeordnet. Passend zur Insel "segelt" die Musik unter dieser Rubrik. Angehört oder wenigstens in die Hand genommen und angeschaut habe ich die CDs aber nie. Es gibt eben zu viel von all dem, ich kann und will auch nicht alles kennen. Obwohl manchmal dabei etwas verpasst wird, keine Frage.
Die Gebrüder Selke:
„Geboren in der "Deutschen Demokratischen Republik", wie das früher einmal hieß. Ihr Album, so ist einem Pressetext zu entnehmen, erzählt nicht nur von der malerischen Insel Hiddensee, sondern eben auch von einem Ort und einer Zeit, die für die Brüder von geistiger Bedeutung sind.“
Dies ist dann wirklich Pressetext, der Bezug zu Hiddensee dürfte nur im namensgebenden Titel der CD zu finden sein. Und wenn man bedenkt, dass die Gebrüder Selke 1980 und 1983 geboren sind, dann muss man schon fragen, wie viel DDR sie denn erinnern und mitgenommen haben. 1989 fiel die Mauer, sie waren damals also neun bzw. sechs Jahre alt.
"Erst später haben wir dieses autofreie Paradies wiederentdeckt - ein Ort, der das übliche Konzept des Glamours am Meer mit Einkaufszentren und Ausgehvierteln völlig ablehnt…“
Nun ja, der Ort, Teil des Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft, lehnt nicht ab sondern muss ablehnen. Glamour und Einkaufszentren auf Hiddensee? Da sind die Jungs ein wenig übers Ziel hinaus, für all das genannte ist die Insel einfach zu klein, war schon immer ein Ruhepunkt und wird es hoffentlich auch bleiben. Und wer die Insel besuchen will, kann nur mit dem Schiff dorthin. Das Auto bleibt auf Rügen stehen, Gepäck darf selbst geschleppt werden. Für viele Besucher schon ein Unding, da reicht es zum Tagestouristen; für einen längeren Urlaub wird es schon schwierig.
„Kann dieses Album überhaupt gehört und verstanden werden, ohne selber (in der DDR) dort gelebt zu haben?“
Da die Frage ausdrücklich gestellt wird – einen Bezug zur DDR (d. gr. d. Welt!) kann ich in der Musik von Ceeys nicht hören, absolut nicht. Da langen die Gebrüder mächtig in die Mottenkiste. Aber es sei ihnen gegönnt, ihre Musik ist gut und Künstlern, zumal Musikern, gesteht man gerne eine Art Legitimation für ihre Werke zu. Otto Normalo fragt kein Mensch und der hängt sich nicht so weit aus dem Fenster. Bei Künstlern, Musikern etc. ist dies anders. Entweder werden sie zu Erklärungsversuchen gedrängt, gut möglich dass sie sich selbst erklären wollen, da sie andauernd gefragt werden, „Background“ und da sie doch in der DDR geboren und aufgewachsen sind, wie kann es denn sein und überhaupt.
„Kann dieses Album überhaupt gehört und verstanden werden, ohne selber dort gelebt zu haben? Aber natürlich! Meiner Meinung nach muss das Album gar nicht verstanden werden. Es reicht völlig aus, sich auf diese Musik einzulassen. Wer das schafft, erlebt 45 entspannte Minuten, während derer man auch ohne oben erwähnte Mittel leicht entrückt in Klangteppichen schwelgen kann.“
Leider, leider: die Stücke, Klangteppiche?, haben Längen(?) von 1:41 bis zu 4:56. Ich komme da auf keinen Klangteppich. Im Original sind die Stücke also recht kurz und zu allem Übel hören sie am Ende einfach auf. Sie klingen nicht aus, es gibt keine Überleitungen, keine Verbindungen, es wirkt wie abgehackt an den Enden. Dem habe ich entgegen gewirkt, in dem ich mir die CD auf den Rechner lud und die Stücke gekürzt, also deren abrupte Enden und die darauf folgende Stille bis zum nächsten Stück zusammen schob. So ergibt sich ein durchlaufendes, wenn auch nicht unbedingt einheitliches Bild.
Erschwert wird dies außerdem noch dadurch, dass die Stücke, acht an der Zahl, leicht abgewandelt oder inspiriert davon, schon auf dem Album „Waende“ zu hören waren, drei „previously unreleased“ sind und eines vom Album „Concrete Fields“ stammt, welches vorher nur als Single veröffentlicht wurde.
Hier komme ich nochmal auf den Bezug zu Hiddensee und der Verbindung zur DDR-Kindheit zurück, auf welche sich die Stücke angeblich beziehen. Im Booklet ist zu den einzelnen Titeln zu lesen, worum es geht. Zum Beispiel:
„Leaving Wallbook“ inspired by the song „Union“ included on Waende, previously unreleased. „One of our favourite movies from the 1980s: Rain Man. The story of two brothers…“ usw. usf.
„Trabanten“ bezieht sich, richtig!, auf eben den Trabant, das DDR-Auto schlechthin. Der Leitspruch dazu, „following a well-known rhyme oft the time…HAST DU ZANGE, HAMMER, DRAHT, KOMMST DU BIS NACH LENINGRAD!“ (Ich kenne den Spruch noch so: „…KOMMST DU BIS NACH STALINGRAD!“) Egal.
Und „Solar Sunny“, genau, dieses Stück bezieht sich auf den Film „Solo Sunny“, den die Gebrüder Selke spät, sehr spät gesehen haben dürften, denn der ist von 1980, da waren sie quasi noch in Planung. Natürlich darf ihnen der Film gefallen, er ist auch sehr gut, aber mit ihrer Kindheit in der DDR und Hiddensee kann er gar nichts zu tun haben.
https://de.wikipedia.org/wiki/Solo_Sunny
Genug bekrittelt die Sache hier. Die Musik ist zweifelsfrei gut, wenn auch nicht überragend. Für mich aber völlig ohne DDR-Bezug, den finde ich sehr weit hergeholt, auch wenn es freilich legitim ist, sich an seine Kindheit so oder so zu erinnern und dies, da eben Musiker, auch musikalisch ausdrücken zu wollen.
Nochmal Pressetext:
„Die Klangeffekte wurden mittels osteuropäischer Synthesizern beigemischt - alles sollte mit möglichst originalgetreuen Instrumenten und Equipment der damaligen Zeit produziert werden.“
Da höre ich auch nichts, absolut nichts. Im Booklet wird auch, wenn ich richtig gelesen habe, nur einmal darauf eingegangen und „two analogue kick and bass synthesizers“ aus DDR-Produktion erwähnt, die ans Cello (?) gekoppelt sind. Aber auch egal.
Fazit: Schöne Musik und ich halte Ausschau nach den Vorgängeralben des Duos Selke. Und vielleicht nehmen wir einen der kommenden Konzerttermine in Potsdam wahr.
Immerhin etwas, oder?
radiot grüßt!