Keefe Jackson's Likely So - A Round Goal
Hier wieder eine Neuerscheinung aus dem Jazz-Stall von Delmark Records aus Chicago: Keefe Jackson's Likely So. Aufgenommen wurde "A Round Goal" am 20. März 2013 live beim Jazzwerkstatt Festival in Bern. Ungewöhnliches wird uns erwarten, aber nicht nur das, was man hört, sondern wie es dazu kam, dass es so klingt - mit anderen Worten, Musik ohne Rhythmusgruppe. Nur Saxofone und Klarinetten, einmal kommt allerdings ein Harmonium zum Einsatz. Alle Register werden gezogen, vom hohen Sopranino bis hin zum Kontrabass-Saxofon, und bilden somit eine reiche Klangpalette.
Nicht, dass die Musik nun nicht rhythmisch wäre, denn neben den jeweiligen Solisten verstehen es die übrigen Musiker absolut, einen großflächigen Klangteppich zu bereiten. Dieser schwebt, treibt und gibt auch mal den Takt an. Besetzt ist die Band international, mit drei Amerikanern, einem Polen und drei Schweizern. Wenn ich es so richtig herausgehört und interpretiert habe, ist es Mars Williams, der den wildesten Solisten darstellt. Aber auf "Was ist Kultur" soll es Marc Stucky sein, dessen ausbrechendes Solo in Richtung Free Jazz marschiert, allerdings die Begleitung durch den Rest der Band nicht. Ach ja, Antwort auf die Frage: Das ist Kultur!
Allein der Auftakt, "Overture", kann an den Nerven zerren, stellt der Aufbau des Stückes doch bei einigen Hörern sicher bekannte Hörgewohnheiten auf den Kopf. Schnell ab damit in die Schublade 'Free Jazz'. Mir fallen sogleich Hörbeispiele von Musikern wie Anthony Braxton oder Willem Breuker dazu ein. Nicht ein wildes Saxofon ist es hier, das möglicherweise Unruhe erzeugt, sondern das scheinbare 'Durcheinander' der Komposition, des Zusammenspiels. Doch nach etwa drei Minuten formiert sich das Ensemble dann zu einem kollektiven Zusammenspiel mit Struktur. Mehrere Bläser gestalten einen wirklich elastisch swingenden Rhythmus und ein Saxofon (ist es Jackson?) flicht darin seine Beiträge derart ein, dass sie integriert wirken und nicht als Solo. Das ist sehr gut umgesetzt!
Andere Titel erinnern mich an Nebelhörner in der Nacht, die aus dem Hafengebiet zu uns herüberschallen. Auf "My Time Is My Own" knurrt und knarzt wohl das Kontrabasssaxofon. Ich habe Braxton einmal auf diesem Monster spielen sehen, ein toller Klang! "Pastorale", das klingt gar nicht nur pastoral, sondern manchmal wirr und flirrende Töne hüpfen gnomenhaft durch den Raum. Andererseits - im Sinne der Bedeutung eines Wortes wie zum Beispiel 'seelsorgerisch' - nimmt sich Keefe Jackson unserer Seele an. Auf dem Titelsong, der von Beginn an vorwärtstreibend und fordernd ist, stacheln die übrigen Bläser den Protagonisten - hier ist es Williams - zu wilden Exkursionen an. Ein wunderbares Stück Musik.
Ja, das ist eine wirklich mitreißende Klangerfahrung. Wer aber mit Jazz nichts am Hut hat, sollte vorsorglich die Ohren davon lassen - Risiken und Nebenwirkungen trägt der Hörer! Jazzpuristen mögen vielleicht auch die Nasen rümpfen, aber all jene, für die Jazz ein offenes Feld ist, werden mit dieser Platte mit Neuland der besten Sorte belohnt. Frech wirkt die Musik darüber hinaus! Dieser Boden ist fruchtbar und Jackson und seine Leute beackern ihn hervorragend! Großartig viel Raum bietet dafür mit über elf Minuten Spielzeit der letzte Titel.
Keefe Jackson (tenor saxophone, bass clarinet)
Mars Williams (alto, soprano and sopranino saxophones)
Waclaw Zimpel (clarinet, alto clarinet)
Marc Stucki (tenor saxophone, bass clarinet, harmonium)
Dave Rempis (alto and baritone saxophones)
Peter A. Schmid (baritone, bass and sopranino saxophones, bass clarinet, e-flat clarinet)
Thomas K.J. Mejer (contrabass and sopranino saxophones)
01:Overture (4:40)
02:Bridge Solo - Keefe (2:45)
03:Was ist Kultur? (4:00)
04:My Time Is My Own (6:00)
05:Pastorale (4:19)
06:There Is No Language Without Deceit (4:54)
07:Hierarchy Follies (4:20)
08:Round Goal (5:26)
09:Bridge Solo - Dave (2:55)
10:Neither Spin Nor Weave (6:53)
11:Roses (11:39)
(all compositions by Keefe Jackson)
http://www.keefejackson.com/
