Neal Morse Alben 2003 - 2005
Testimony
(2003)
Die Progwelt zeigte sich ziemlich überrascht als Neal Morse, kreativer Kopf und Macher von Spock's Beard und Transatlantic, im Jahr 2002 seinen Ausstieg aus beiden Bands bekanntgab. Spock's Beard, in den 90er Jahren zu einer Größe im Progressive Rock geworden, ließen schnell verlautbaren, auch ohne den bisherigen Ideengeber weitermachen zu wollen. Das letztjährige Werk "Feel Euphoria" konnte auch ohne Morse überzeugen. Transatlantic dagegen gehört wohl der Vergangenheit an. Und Neal Morse? Dieser wollte nach seinem neu gefunden Glauben an Gott andere Wege beschreiten. Kurz nach dem angekündigten Rückzug begann Neal Morse die Arbeiten an einem ambitionierten und überaus persönlichen Soloalbum.
Herausgekommen ist "Testimony". Das Album legt Zeugnis ab über Neal Morses bisheriges Leben, rekapituliert die frühen Jahre als erfolgloser Musiker und beschreibt auf über zwei Stunden verteilt in 29 Liedern wie Morse seine tiefe Lebenskrise überwand, indem er den Glauben an Gott für sich entdeckt hat.
Über die Texte und die Themenauswahl kann man gewiß erstmal die Stirn runzeln. Der entwaffnend naive Glauben an Jesus und Gott, der das Album durchzieht, mag für nordeuropäische Großstädter seltsam fremd erscheinen. Aber egal wie man zu diesem Thema steht: man muß Neal Morse anerkennen, daß er mit Herzblut bei der Sache ist und überaus offen und auch schonungslos sowohl mit seiner Vergangenheit abrechnet als auch die Errettung aus seinem Dilemma durch Gott besingt. Allerdings wirkt es dann auch gerade bei den religiösen Passagen, von denen es nicht gerade wenige gibt, zu kitschig und frömmelnd.
Musikalisch bestehen allerdings keine Zweifel an Neal Morses Können: "Testimony" macht da weiter, wo Spock's Beard mit "Snow" aufgehört hatten. Die Musik zeigt sich nachwievor geprägt von klassischen Proggrößen wie Gentle Giant, wobei Neal Morse allerdings mehr noch zum Songformat tendiert. Dies wird ergänzt durch echte Streicher- und Trompetenklänge, einen Gospelchor, Saxophon und Violine, was manchen Liedern einen gewissen Kansas-Flair verleiht. Passenderweise steuert dann der ebenfalls sehr gläubige Kerry Livgren auch ein Gitarrensolo zum Album bei. Weiterer prominenter Mitstreiter ist Mike Portnoy, der ja auch schon bei Transatlantic zusammen mit Neal Morse gespielt hat.
Das Album wird - musikalisch gesehen - auf jeden Fall allen bisherigen Spock's Beard Fans gefallen, da es stilistisch gesehen praktisch identisch ist. Kein Wunder natürlich, da Neal Morse ohnehin fast alle Lieder auch damals schon komponiert hatte. Für mich ist "Testimony" musikalisch sogar um Längen besser gelungen als das arg verkopfte und überambitionierte "Snow". Zwar ist "Testimony" ebenfalls sehr ambitioniert, aber die Musik ist dabei auch sehr emotional und leidenschaftlich geraten. Wo Snow noch arg konstruiert und kopflastig wirkte ist "Testimony" einfacher geworden. Es erzählt zwar eine sehr ähnliche Geschichte, nur daß an das Thema diesmal tiefpersönlich herangegangen wird. Hier wird eine reale Geschichte erzählt. Man merkt, daß Neal Morse die ganze Sache sehr nah am Herzen liegt. Die Spielfreude von Neal Morse und seinen Studiokollegen ist ebenfalls beeindruckend. Dazu sind Morse einige wirklich schöne Melodien gelungen, da verzeiht man vielleicht so pathetisch klingende Titel wie "God's Theme" oder "The Prince of The Power of the Air".
Was dann gleich wieder zur Thematik führt: der Seelenstriptease auf "Testimony" atmet immer wieder auch mal viel Pathos und zeigt eine beinahe kindliche Naivität. Da muß dann jeder für sich selbst entscheiden, ob er das über zweistündige Leiden und Seelenheil auf "Testimony" sich antun möchte. Immerhin begeht Morse nicht den Fehler, den Zuhörer bekehren oder missionieren zu wollen. Er erzählt lediglich seine eigene Geschichte. Es bleibt dabei, daß Neal Morse Mut beweist. Wer so viel von seinem Innenleben präsentiert, vor allem auf diese Weise, setzt sich sehr schnell dem Spott und Zynismus mancher Zeitgenossen aus. Es wäre aber sehr schade über die tiefreligiöse Thematik die durchweg ausgezeichnete Musik zu vergessen. Außerdem strahlt "Testimony" auf seine kindlich naive Weise sehr viel positives aus. Daß es dann aber auch an eine überlange Sonntagspredigt aus der Kirche erinnert trübt den Spaß beim Zuhören allerdings leider. Der nicht gar so gläubige Zuhörer hätte sich wohl an manchen Stellen etwas mehr Subtilität gewünscht. Aber vielleicht gibt es das im Vergleich zu Europa tiefreligiösen Amerika, wo sogar Präsidenten sich auf Gott berufen, wenn sie in andere Länder einmarschieren, einfach in Glaubensfragen nicht.
"Testimony" legt also vielleicht nicht nur ein persönliches Zeugnis ab. Sondern ist auch ein Repräsentant des christlichen Amerikas. Es ist kitschig, es trieft vor Gefühlen und Religiösität, es huldigt dem Pathos und dem sich aufgeklärt fühlenden Europäer sträuben sich bei manchen Textpassagen gewiß die Nackenhaare, weil sie an Naivität kaum zu übertreffen sind. Neal Morse geht das hohe Risiko ein, daß seiner persönlichen Heilsgeschichte andere Menschen nicht folgen können, da sie seine Erfahrungen nicht teilen. Aber abgesehen davon hat Neal Morse mit "Testimony" ein schönes Stück Musik abgeliefert und wer sagt, daß Progressive Rock Alben nicht auch sehr persönliche oder tiefreligiöse Themen haben können. Zum Schluß bleibt dann noch die Frage, warum nun Neal Morse wirklich Spock's Beard verlassen hat. Musikalische Gründe kann es eigentlich nicht gegeben haben, denn Neal Morse WAR Spock's Beard und setzt deren Tradition nahtlos fort, wie man auf "Testimony" erneut hören kann.
12/15 Punkte
Testimony Live
(2004)
Nach dem ambitionierten und tiefreligiösen Album "Testimony", dem man aufgrund der Herangehensweise an sein Thema gewiß mit einer gesunden Portion Skepsis begegnen kann, begab sich Neal Morse auf eine folgende Tour, die ihn auch nach Europa führte. Die Doppel DVD "Testimony Live" ist ein lückenloser Mitschnitt des Konzertes in Tilburg/Niederlande vom 17. November 2003.
Aber so kontrovers man auch "Testimony" angesichts der Texte diskutieren kann, besteht doch kein Zweifel daran, daß die Musik ihre Qualitäten hat. Das Konzert beweist dies nun eindrucksvoll. Unterstützt wird Neal Morse von Mike Portnoy, dann von Eric Brenton, Rick Altizer und Mark Leniger, die auch schon auf dem Album mitgewirkt haben, sowie von John Krovosa (der sich von Gott berufen fühlte, Neal Morse auf der Tour zu begleiten…), Bert Baldwin und Randy George.
Die Bildqualität der DVD im 4:3 Format ist ok, die Bildführung ebenfalls, am Klang gibt es auch nichts auszusetzen. Bleibt als Liveprogramm des Konzertes das komplette "Testimony"-Album und als Zugabe der Band noch die drei Lieder "We All Need Some Light", der Spock's Beard Klassiker "The Light" und der Transatlantic-Überflieger "Stranger In Your Soul". Die DVD ist also ein musikalischer Leckerbissen geworden, der keinem Spock's Beard, Transatlantic und natürlich Neal Morse Fan fehlen sollte. Die Band setzt die Lieder eindrucksvoll um und man merkt, daß die Musiker ihre Freude hatten. Der Konzertmitschnitt ist somit ein echter Höhepunkt für Progliebhaber.
Dazu gibt es dann noch als Bonus eine Tourdoku. Die Doku ist mit privater Videocamera gedreht worden, man sollte also keine perfekte Bildqualität erwarten. Interessant ist die Doku vor allem deshalb, weil sie einen kleinen Einblick in den Touralltag und das Seelenleben von Neal Morse gewährt. Und wer bei "Testimony" angesichts der Texte schon die Stirn runzelte, der wird sich hier bei der Doku vermutlich verwirrt den Kopf kratzen. Die einfach entwaffnend naive Religiösität von Neal Morse und Mannen durchzieht die ganze Doku. Man sieht die Tourband beim Beten, man bekommt mit, wie Neal Morse und seine Bandkollegen vorhaben, das Publikum durch ihre Musik näher ans Himmelreich zu führen. Desweiteren bekommt man noch das Wunder von der plötzlichen Heilung eines der Kinder von Neal Morse erzählt, dessen Loch im Herzen von alleine wieder verschwand. Ein wenig kurios wird es, wenn man erfährt, warum der Cellospieler John Krovosa mit an Bord ist: er fühlte sich beim Hören des "Testimony"-Albums von Gott dazu berufen, zusammen mit Neal Morse zu spielen, also begab er sich einfach zu ihm. Und obwohl Neal Morse John Krovosa überhaupt nicht kannte landete er tatsächlich in der Tourband. Das ist wohl angewandter Glauben im Alltagsleben. Man kann sich angesichts der in der Doku gezeigten Bilder schon fragen, ob Neal Morse nicht in seiner ganz eigenen Welt lebt, entrückt von der Realität.
Andererseits sieht man, daß der Mann anscheinend überaus glücklich momentan ist, zudem tief gerührt und beseelt von Gott. Man gönnt es ihm. So versteht man dann letzten Endes vielleicht auch besser, warum "Testimony" so geworden ist, wie es geworden ist.
Die DVD ist auf jeden Fall ein gelungenes Livezeugnis der musikalischen Fähigkeiten von Neal Morse und seiner Band und macht beim Zuhören und -sehen viel Spaß, so daß man sich wünscht, man wäre im Konzert dabei gewesen. Die DVD läßt einen den Abend miterleben, und wer "Testimony" nicht gar so mochte bekommt immerhin noch auf der zweiten DVD fast eine Stunde Progklassiker von Spock's Beard und Transatlantic als Zugabe geboten.
12 Punkte
One
(2004)
Es ist schon eine komische Sache. Da verkündet Neal Morse vor knapp zwei Jahren mehr oder minder über Nacht seinen Rückzug aus der Musikwelt, zumindest aber aus seiner Band Spock's Beard inklusive aller Nebenprojekte wie die enthusiastisch gefeierten Transatlantic, und was ist zwei Jahre später passiert?
Erst veröffentlichte Morse seine persönliche Heilsgeschichte als gelungene Progoper, dann wurde eine Live-DVD auf den Markt gebracht und jetzt, kaum ein Jahr nach "Testimony", folgt bereits der nächste Streich von Neal Morse: "One" heißt das neue Werk. Wie schon beinahe zu erwarten, hat auch "One" ein christlich-religiöses Konzept. "One" beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Gott, zuerst bilden beide eine Einheit, dann fällt der Mensch von Gott ab und verläßt ihn, was Gott dazu veranläßt, seinen Sohn in Form von Jesus Christus auf die Erde zu schicken, um die Menschen zurück zu Gott zu führen, was zum Ende in der Wiedervereinigung mündet. Während bei "Testimony" die Gottfindung also sehr persönlich gehalten war, abstrahiert "One" das ganze Thema und beschäftigt sich gleich mit der gesamten Menschheit (bzw. jenem Teil der Menschheit, der sich zum Christentum bekennt).
Man mag nun über das mal wieder sehr religiöse Thema die Stirn runzeln, aber erst mal zur Musik: Neal Morse wird auf dem Album vom beinahe nicht mehr wegzudenkenden Mike Portnoy am Schlagzeug unterstützt, der Bass wird vom Tourbassisten Randy George gezupft, der Rest der Instrumente wird vom Multitalent Morse mehr oder minder allein eingespielt, abgesehen von Streichern oder Bläsern, wie es sie auch schon auf "Testimony" gab.
"One" bietet zwei epische Progsuiten, die jeweils knapp achtzehnminütigen "The Creation" und "The Seperated Man", aufgelockert wird es durch einige Balladen, wie "Cradle To The Grave" oder "Father Of Forgiveness", erstaunlich hart geht es hingegen bei "Author of Confusion" zu, was man so von Morse noch nicht unbedingt gehört hat.
Zugegeben, die Musik bei "One" ist meist recht gut. Die Balladen mögen auf manche vielleicht kitschig wirken, vor allem beim Pathos, das immer wieder vorgetragen wird, aber sie klingen schlicht sehr schön. Und doch stellt sich bei "One" endgültig das Gefühl ein, vieles schon mal gehört zu haben. Man fragt sich ernsthaft, warum Neal Morse damals nicht die Namensrechte an seiner Band Spock's Beard mitgenommen hat. Wenn er tatsächlich neu anfangen wollte, sowohl privat als auch musikalisch, so zeigt sich musikalisch zumindest noch nichts davon.
"One" klingt viel mehr als "Testimony" wie die Fortsetzung bekannter Spock's Beard Werke (Neal Morse sollte die Gentle Giant Chöre vielleicht irgendwann mal endlich in Rente schicken), gelegentlich wähnt man sich auch bei Transatlantic - und so wirkt "One" auf merkwürdige Weise wie ein Progwerk von der Stange. Ohne Kenntnis aller anderen Alben von und mit Neal Morse wäre "One" musikalisch betrachtet überzeugend, doch wenn man beinahe ständig beim Hören Spock's Beard und Transatlantic im Kopf hat, läuft etwas falsch. Natürlich hat jeder Musiker seinen eigenen Stil, doch bei "One" hat man zu oft das Gefühl, Versatzstücken anderer Alben zuzuhören.
Vielleicht fehlt dem guten Neal Morse doch ein gleichberechtigter musikalischer Partner bzw. eine Band, die ihn dann und wann mal auf andere musikalische Gedanken bringt.
"One" ist damit ein weiteres Neal Morse Album geworden, ein weiteres Album, das mit seiner tiefreligiösen Thematik erneut stellenweise die Augenbrauen in die Höhe treibt, so man denn überhaupt auf die Texte achtet. Um es aber auch deutlich zu sagen: "One" bietet beileibe keine schlechte Musik. Allein die Originalität bleibt bei Neal Morse allmählich auf der Strecke. "The Creation" zumindest ist ein großartiges Progwerk geworden. Doch bei Neal Morse fällt es zunehmend auch schwerer, die Form vom Inhalt zu trennen. Man bekommt praktisch mit jedem Takt auch gleich eine religiöse Botschaft aufs Auge gedrückt, was natürlich legitim ist, aber doch eine gewisse Subtilität oder auch differenzierte Herangehensweise vermissen läßt. Neal Morse ist offensichtlich ein zum Glauben bekehrter Mensch mit Sendungsbewußtsein. Seine Musik repräsentiert das allzu deutlich. So mag es dann auch das beste sein vielleicht, wenn Morse tatsächlich als nächstes ein Album mit christlicher Gospelmusik aufnehmen möchte.
Mit "One" ist ihm aktuell ein Progressive Rock Album gelungen, das darunter leidet, genauso zu klingen wie alles andere, was Neal Morse bisher gemacht und aus der Abfolge unzähliger kleiner Deja Vus zusammengesetzt scheint. Schade, denn Morse hat definitiv die Gabe, schöne oder auch ergreifende Melodien zu schreiben. Mir gefallen deshalb die Balladen auch am besten eigentlich, sie wirken am originellsten, vor allem "Cradle To The Grave" mit seiner Wunderkerzenstimmung ist Neal Morse sehr gelungen, auch wenn das Thema, Gott hält ein Zwiegespräch mit einem Menschen und erklärt ihm, daß er sich eine Versöhnung wünscht, sich eigentlich jenseits aller Schmerzgrenzen bewegt. Die Progepen kommen musikalisch ungleich formelhafter daher und gewinnen mir oft ein "Ja, kenn ich, ach, kenn ich auch, ist ja ganz nett" ab.
"One" ist aber trotz aller Schwächen ein Album, das man auf jeden Fall gut anhören kann. Wer sich nicht am missionarischen Sendungsbewußtsein Neal Morses stört und darüber hinwegsehen kann, daß "One" sich allzu eifrig der Morseschen Progformel bedient, kann seine Freude mit den Liedern haben. Ansonsten wird "One" wohl eher einen zwiespältigen Eindruck auch hinterlassen. Um einen Bibelfilm zu zitieren: "Quo Vadis, Neal Morse?". Wird er von Fans den Löwen in der Arena zum Fraß vorgeworfen werden oder selbst die Kurve bekommen und seine musikalische Formel etwas überdenken, so er denn schon nicht seine Themen etwas subtiler umsetzen möchte?
10 Punkte
?
(2005)
Was haben Neal Morse und George W. Bush gemeinsam? Beide sind wiedergeborene Christen. Nun ist der eine der Präsident der USA, der andere beglückt die Welt mit seinem neuen Glauben, indem er fleißig Alben aufnimmt und auf musikalische Weise "Halleluja" verkündet.
"?" ist alles andere als ein schlechtes Album, als großes Konzeptwerk angelegt, ist es in zwölf Stücke unterteilt. Neal Morse läßt sich dabei von solchen Proggrößen wie Mike Portnoy (der mittlerweile zum festen musikalischen Zirkel von Neal Morse gehört), Roine Stolt und Genesis Großmeister Steve Hackett unterstützen. Dazu gesellen sich noch weitere Mitstreiter wie Jordan Rudess, Randy George und Bruder Alan Morse.
Die Musik auf "?" ist praktisch identisch zu allen bisherigen Werken Neal Morses. Was bedeutet: die Melodien sind nett und schön, die Arrangements lassen Raum für etliche Soloausflüge für Keyboards, Gitarren und gelegentlich auch für eine Bläsersektion, die hier und da ein wenig Swing in die Musik bringt. Es gibt Sequenzen die sich mal wieder vor Gentle Giant verneigen, dazu den typischen Morseschen Harmoniegesang, etwas ELP und Genesis und Yes, sowie etwas Singer-Songwriter Material. Neal Morse ist verläßlich, das muß man ihm lassen.
Wer sich also die 56minütige Predigt Neal Morses kauft, wird nicht enttäuscht werden, wenn er Musik im Stile der alten Spock's Beard und vorheriger Solowerke von Neal Morse hören mag. Um es deutlich zu sagen: "?" hat definitiv Unterhaltungswert. Doch muß die Frage erlaubt sein, wie lange man ein und das selbe Album aufnehmen kann, ehe die Fans und selbst nicht so versierte Zuhörer merken, daß der gute Mann offenbar nur jedes Jahr ein wenig am großen Zutatenkessel schüttelt, der musikalische Brei aber stets gleich schmeckt?
Wäre "?" das Erstlingswerk von Neal Morse würde das Urteil, trotz der mal wieder arg frömmelnden Texte, deutlich besser ausfallen. In Kenntnis sämtlicher Spock's Beard und Neal Morse Alben aber verursacht "?" bei mir neben, "ach wie schön, kenn ich", "ja, kenn ich auch" und "ach, ist doch immer wieder gut irgendwie", auch ein kräftiges Stirnrunzeln. Sollte Neal Morse weiterhin alljährlich das gleiche Album unter neuem Titel veröffentlichen läuft er echte Gefahr, daß die Zuhörer seine raffinierte Taktik durchschauen und sich irgendwann sagen, daß man dann auch gleich die alten Sachen hören und sich das Geld für den erneuten Aufguß der gleichen Melodien und Arrangements getrost sparen kann.
Wer es nicht so schlimm findet, daß "?" nichts neues, dafür sehr viel altbekanntes bietet, sollte bei "?" auf jeden Fall zugreifen. Füllmaterial findet sich auf dem Album nicht, die Musik weiß stets zu gefallen und man kann sogar in seliger Nostalgie schwelgen, wenn Steve Hackett die Saiten zupft. Neal Morse weiß, was er tun muß, um ein Progrockalbum aufzunehmen. Zu schade nur, daß er dabei zunehmend Konfektionsware abliefert und alle Alben dem selben Strickmuster folgen. "?" bewegt sich letztlich hart am Rande der Überflüssigkeit.
9 Punkte
TO für den Musikzirkus.
Testimony
(2003)
Die Progwelt zeigte sich ziemlich überrascht als Neal Morse, kreativer Kopf und Macher von Spock's Beard und Transatlantic, im Jahr 2002 seinen Ausstieg aus beiden Bands bekanntgab. Spock's Beard, in den 90er Jahren zu einer Größe im Progressive Rock geworden, ließen schnell verlautbaren, auch ohne den bisherigen Ideengeber weitermachen zu wollen. Das letztjährige Werk "Feel Euphoria" konnte auch ohne Morse überzeugen. Transatlantic dagegen gehört wohl der Vergangenheit an. Und Neal Morse? Dieser wollte nach seinem neu gefunden Glauben an Gott andere Wege beschreiten. Kurz nach dem angekündigten Rückzug begann Neal Morse die Arbeiten an einem ambitionierten und überaus persönlichen Soloalbum.
Herausgekommen ist "Testimony". Das Album legt Zeugnis ab über Neal Morses bisheriges Leben, rekapituliert die frühen Jahre als erfolgloser Musiker und beschreibt auf über zwei Stunden verteilt in 29 Liedern wie Morse seine tiefe Lebenskrise überwand, indem er den Glauben an Gott für sich entdeckt hat.
Über die Texte und die Themenauswahl kann man gewiß erstmal die Stirn runzeln. Der entwaffnend naive Glauben an Jesus und Gott, der das Album durchzieht, mag für nordeuropäische Großstädter seltsam fremd erscheinen. Aber egal wie man zu diesem Thema steht: man muß Neal Morse anerkennen, daß er mit Herzblut bei der Sache ist und überaus offen und auch schonungslos sowohl mit seiner Vergangenheit abrechnet als auch die Errettung aus seinem Dilemma durch Gott besingt. Allerdings wirkt es dann auch gerade bei den religiösen Passagen, von denen es nicht gerade wenige gibt, zu kitschig und frömmelnd.
Musikalisch bestehen allerdings keine Zweifel an Neal Morses Können: "Testimony" macht da weiter, wo Spock's Beard mit "Snow" aufgehört hatten. Die Musik zeigt sich nachwievor geprägt von klassischen Proggrößen wie Gentle Giant, wobei Neal Morse allerdings mehr noch zum Songformat tendiert. Dies wird ergänzt durch echte Streicher- und Trompetenklänge, einen Gospelchor, Saxophon und Violine, was manchen Liedern einen gewissen Kansas-Flair verleiht. Passenderweise steuert dann der ebenfalls sehr gläubige Kerry Livgren auch ein Gitarrensolo zum Album bei. Weiterer prominenter Mitstreiter ist Mike Portnoy, der ja auch schon bei Transatlantic zusammen mit Neal Morse gespielt hat.
Das Album wird - musikalisch gesehen - auf jeden Fall allen bisherigen Spock's Beard Fans gefallen, da es stilistisch gesehen praktisch identisch ist. Kein Wunder natürlich, da Neal Morse ohnehin fast alle Lieder auch damals schon komponiert hatte. Für mich ist "Testimony" musikalisch sogar um Längen besser gelungen als das arg verkopfte und überambitionierte "Snow". Zwar ist "Testimony" ebenfalls sehr ambitioniert, aber die Musik ist dabei auch sehr emotional und leidenschaftlich geraten. Wo Snow noch arg konstruiert und kopflastig wirkte ist "Testimony" einfacher geworden. Es erzählt zwar eine sehr ähnliche Geschichte, nur daß an das Thema diesmal tiefpersönlich herangegangen wird. Hier wird eine reale Geschichte erzählt. Man merkt, daß Neal Morse die ganze Sache sehr nah am Herzen liegt. Die Spielfreude von Neal Morse und seinen Studiokollegen ist ebenfalls beeindruckend. Dazu sind Morse einige wirklich schöne Melodien gelungen, da verzeiht man vielleicht so pathetisch klingende Titel wie "God's Theme" oder "The Prince of The Power of the Air".
Was dann gleich wieder zur Thematik führt: der Seelenstriptease auf "Testimony" atmet immer wieder auch mal viel Pathos und zeigt eine beinahe kindliche Naivität. Da muß dann jeder für sich selbst entscheiden, ob er das über zweistündige Leiden und Seelenheil auf "Testimony" sich antun möchte. Immerhin begeht Morse nicht den Fehler, den Zuhörer bekehren oder missionieren zu wollen. Er erzählt lediglich seine eigene Geschichte. Es bleibt dabei, daß Neal Morse Mut beweist. Wer so viel von seinem Innenleben präsentiert, vor allem auf diese Weise, setzt sich sehr schnell dem Spott und Zynismus mancher Zeitgenossen aus. Es wäre aber sehr schade über die tiefreligiöse Thematik die durchweg ausgezeichnete Musik zu vergessen. Außerdem strahlt "Testimony" auf seine kindlich naive Weise sehr viel positives aus. Daß es dann aber auch an eine überlange Sonntagspredigt aus der Kirche erinnert trübt den Spaß beim Zuhören allerdings leider. Der nicht gar so gläubige Zuhörer hätte sich wohl an manchen Stellen etwas mehr Subtilität gewünscht. Aber vielleicht gibt es das im Vergleich zu Europa tiefreligiösen Amerika, wo sogar Präsidenten sich auf Gott berufen, wenn sie in andere Länder einmarschieren, einfach in Glaubensfragen nicht.
"Testimony" legt also vielleicht nicht nur ein persönliches Zeugnis ab. Sondern ist auch ein Repräsentant des christlichen Amerikas. Es ist kitschig, es trieft vor Gefühlen und Religiösität, es huldigt dem Pathos und dem sich aufgeklärt fühlenden Europäer sträuben sich bei manchen Textpassagen gewiß die Nackenhaare, weil sie an Naivität kaum zu übertreffen sind. Neal Morse geht das hohe Risiko ein, daß seiner persönlichen Heilsgeschichte andere Menschen nicht folgen können, da sie seine Erfahrungen nicht teilen. Aber abgesehen davon hat Neal Morse mit "Testimony" ein schönes Stück Musik abgeliefert und wer sagt, daß Progressive Rock Alben nicht auch sehr persönliche oder tiefreligiöse Themen haben können. Zum Schluß bleibt dann noch die Frage, warum nun Neal Morse wirklich Spock's Beard verlassen hat. Musikalische Gründe kann es eigentlich nicht gegeben haben, denn Neal Morse WAR Spock's Beard und setzt deren Tradition nahtlos fort, wie man auf "Testimony" erneut hören kann.
12/15 Punkte
Testimony Live
(2004)
Nach dem ambitionierten und tiefreligiösen Album "Testimony", dem man aufgrund der Herangehensweise an sein Thema gewiß mit einer gesunden Portion Skepsis begegnen kann, begab sich Neal Morse auf eine folgende Tour, die ihn auch nach Europa führte. Die Doppel DVD "Testimony Live" ist ein lückenloser Mitschnitt des Konzertes in Tilburg/Niederlande vom 17. November 2003.
Aber so kontrovers man auch "Testimony" angesichts der Texte diskutieren kann, besteht doch kein Zweifel daran, daß die Musik ihre Qualitäten hat. Das Konzert beweist dies nun eindrucksvoll. Unterstützt wird Neal Morse von Mike Portnoy, dann von Eric Brenton, Rick Altizer und Mark Leniger, die auch schon auf dem Album mitgewirkt haben, sowie von John Krovosa (der sich von Gott berufen fühlte, Neal Morse auf der Tour zu begleiten…), Bert Baldwin und Randy George.
Die Bildqualität der DVD im 4:3 Format ist ok, die Bildführung ebenfalls, am Klang gibt es auch nichts auszusetzen. Bleibt als Liveprogramm des Konzertes das komplette "Testimony"-Album und als Zugabe der Band noch die drei Lieder "We All Need Some Light", der Spock's Beard Klassiker "The Light" und der Transatlantic-Überflieger "Stranger In Your Soul". Die DVD ist also ein musikalischer Leckerbissen geworden, der keinem Spock's Beard, Transatlantic und natürlich Neal Morse Fan fehlen sollte. Die Band setzt die Lieder eindrucksvoll um und man merkt, daß die Musiker ihre Freude hatten. Der Konzertmitschnitt ist somit ein echter Höhepunkt für Progliebhaber.
Dazu gibt es dann noch als Bonus eine Tourdoku. Die Doku ist mit privater Videocamera gedreht worden, man sollte also keine perfekte Bildqualität erwarten. Interessant ist die Doku vor allem deshalb, weil sie einen kleinen Einblick in den Touralltag und das Seelenleben von Neal Morse gewährt. Und wer bei "Testimony" angesichts der Texte schon die Stirn runzelte, der wird sich hier bei der Doku vermutlich verwirrt den Kopf kratzen. Die einfach entwaffnend naive Religiösität von Neal Morse und Mannen durchzieht die ganze Doku. Man sieht die Tourband beim Beten, man bekommt mit, wie Neal Morse und seine Bandkollegen vorhaben, das Publikum durch ihre Musik näher ans Himmelreich zu führen. Desweiteren bekommt man noch das Wunder von der plötzlichen Heilung eines der Kinder von Neal Morse erzählt, dessen Loch im Herzen von alleine wieder verschwand. Ein wenig kurios wird es, wenn man erfährt, warum der Cellospieler John Krovosa mit an Bord ist: er fühlte sich beim Hören des "Testimony"-Albums von Gott dazu berufen, zusammen mit Neal Morse zu spielen, also begab er sich einfach zu ihm. Und obwohl Neal Morse John Krovosa überhaupt nicht kannte landete er tatsächlich in der Tourband. Das ist wohl angewandter Glauben im Alltagsleben. Man kann sich angesichts der in der Doku gezeigten Bilder schon fragen, ob Neal Morse nicht in seiner ganz eigenen Welt lebt, entrückt von der Realität.
Andererseits sieht man, daß der Mann anscheinend überaus glücklich momentan ist, zudem tief gerührt und beseelt von Gott. Man gönnt es ihm. So versteht man dann letzten Endes vielleicht auch besser, warum "Testimony" so geworden ist, wie es geworden ist.
Die DVD ist auf jeden Fall ein gelungenes Livezeugnis der musikalischen Fähigkeiten von Neal Morse und seiner Band und macht beim Zuhören und -sehen viel Spaß, so daß man sich wünscht, man wäre im Konzert dabei gewesen. Die DVD läßt einen den Abend miterleben, und wer "Testimony" nicht gar so mochte bekommt immerhin noch auf der zweiten DVD fast eine Stunde Progklassiker von Spock's Beard und Transatlantic als Zugabe geboten.
12 Punkte
One
(2004)
Es ist schon eine komische Sache. Da verkündet Neal Morse vor knapp zwei Jahren mehr oder minder über Nacht seinen Rückzug aus der Musikwelt, zumindest aber aus seiner Band Spock's Beard inklusive aller Nebenprojekte wie die enthusiastisch gefeierten Transatlantic, und was ist zwei Jahre später passiert?
Erst veröffentlichte Morse seine persönliche Heilsgeschichte als gelungene Progoper, dann wurde eine Live-DVD auf den Markt gebracht und jetzt, kaum ein Jahr nach "Testimony", folgt bereits der nächste Streich von Neal Morse: "One" heißt das neue Werk. Wie schon beinahe zu erwarten, hat auch "One" ein christlich-religiöses Konzept. "One" beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Gott, zuerst bilden beide eine Einheit, dann fällt der Mensch von Gott ab und verläßt ihn, was Gott dazu veranläßt, seinen Sohn in Form von Jesus Christus auf die Erde zu schicken, um die Menschen zurück zu Gott zu führen, was zum Ende in der Wiedervereinigung mündet. Während bei "Testimony" die Gottfindung also sehr persönlich gehalten war, abstrahiert "One" das ganze Thema und beschäftigt sich gleich mit der gesamten Menschheit (bzw. jenem Teil der Menschheit, der sich zum Christentum bekennt).
Man mag nun über das mal wieder sehr religiöse Thema die Stirn runzeln, aber erst mal zur Musik: Neal Morse wird auf dem Album vom beinahe nicht mehr wegzudenkenden Mike Portnoy am Schlagzeug unterstützt, der Bass wird vom Tourbassisten Randy George gezupft, der Rest der Instrumente wird vom Multitalent Morse mehr oder minder allein eingespielt, abgesehen von Streichern oder Bläsern, wie es sie auch schon auf "Testimony" gab.
"One" bietet zwei epische Progsuiten, die jeweils knapp achtzehnminütigen "The Creation" und "The Seperated Man", aufgelockert wird es durch einige Balladen, wie "Cradle To The Grave" oder "Father Of Forgiveness", erstaunlich hart geht es hingegen bei "Author of Confusion" zu, was man so von Morse noch nicht unbedingt gehört hat.
Zugegeben, die Musik bei "One" ist meist recht gut. Die Balladen mögen auf manche vielleicht kitschig wirken, vor allem beim Pathos, das immer wieder vorgetragen wird, aber sie klingen schlicht sehr schön. Und doch stellt sich bei "One" endgültig das Gefühl ein, vieles schon mal gehört zu haben. Man fragt sich ernsthaft, warum Neal Morse damals nicht die Namensrechte an seiner Band Spock's Beard mitgenommen hat. Wenn er tatsächlich neu anfangen wollte, sowohl privat als auch musikalisch, so zeigt sich musikalisch zumindest noch nichts davon.
"One" klingt viel mehr als "Testimony" wie die Fortsetzung bekannter Spock's Beard Werke (Neal Morse sollte die Gentle Giant Chöre vielleicht irgendwann mal endlich in Rente schicken), gelegentlich wähnt man sich auch bei Transatlantic - und so wirkt "One" auf merkwürdige Weise wie ein Progwerk von der Stange. Ohne Kenntnis aller anderen Alben von und mit Neal Morse wäre "One" musikalisch betrachtet überzeugend, doch wenn man beinahe ständig beim Hören Spock's Beard und Transatlantic im Kopf hat, läuft etwas falsch. Natürlich hat jeder Musiker seinen eigenen Stil, doch bei "One" hat man zu oft das Gefühl, Versatzstücken anderer Alben zuzuhören.
Vielleicht fehlt dem guten Neal Morse doch ein gleichberechtigter musikalischer Partner bzw. eine Band, die ihn dann und wann mal auf andere musikalische Gedanken bringt.
"One" ist damit ein weiteres Neal Morse Album geworden, ein weiteres Album, das mit seiner tiefreligiösen Thematik erneut stellenweise die Augenbrauen in die Höhe treibt, so man denn überhaupt auf die Texte achtet. Um es aber auch deutlich zu sagen: "One" bietet beileibe keine schlechte Musik. Allein die Originalität bleibt bei Neal Morse allmählich auf der Strecke. "The Creation" zumindest ist ein großartiges Progwerk geworden. Doch bei Neal Morse fällt es zunehmend auch schwerer, die Form vom Inhalt zu trennen. Man bekommt praktisch mit jedem Takt auch gleich eine religiöse Botschaft aufs Auge gedrückt, was natürlich legitim ist, aber doch eine gewisse Subtilität oder auch differenzierte Herangehensweise vermissen läßt. Neal Morse ist offensichtlich ein zum Glauben bekehrter Mensch mit Sendungsbewußtsein. Seine Musik repräsentiert das allzu deutlich. So mag es dann auch das beste sein vielleicht, wenn Morse tatsächlich als nächstes ein Album mit christlicher Gospelmusik aufnehmen möchte.
Mit "One" ist ihm aktuell ein Progressive Rock Album gelungen, das darunter leidet, genauso zu klingen wie alles andere, was Neal Morse bisher gemacht und aus der Abfolge unzähliger kleiner Deja Vus zusammengesetzt scheint. Schade, denn Morse hat definitiv die Gabe, schöne oder auch ergreifende Melodien zu schreiben. Mir gefallen deshalb die Balladen auch am besten eigentlich, sie wirken am originellsten, vor allem "Cradle To The Grave" mit seiner Wunderkerzenstimmung ist Neal Morse sehr gelungen, auch wenn das Thema, Gott hält ein Zwiegespräch mit einem Menschen und erklärt ihm, daß er sich eine Versöhnung wünscht, sich eigentlich jenseits aller Schmerzgrenzen bewegt. Die Progepen kommen musikalisch ungleich formelhafter daher und gewinnen mir oft ein "Ja, kenn ich, ach, kenn ich auch, ist ja ganz nett" ab.
"One" ist aber trotz aller Schwächen ein Album, das man auf jeden Fall gut anhören kann. Wer sich nicht am missionarischen Sendungsbewußtsein Neal Morses stört und darüber hinwegsehen kann, daß "One" sich allzu eifrig der Morseschen Progformel bedient, kann seine Freude mit den Liedern haben. Ansonsten wird "One" wohl eher einen zwiespältigen Eindruck auch hinterlassen. Um einen Bibelfilm zu zitieren: "Quo Vadis, Neal Morse?". Wird er von Fans den Löwen in der Arena zum Fraß vorgeworfen werden oder selbst die Kurve bekommen und seine musikalische Formel etwas überdenken, so er denn schon nicht seine Themen etwas subtiler umsetzen möchte?
10 Punkte
?
(2005)
Was haben Neal Morse und George W. Bush gemeinsam? Beide sind wiedergeborene Christen. Nun ist der eine der Präsident der USA, der andere beglückt die Welt mit seinem neuen Glauben, indem er fleißig Alben aufnimmt und auf musikalische Weise "Halleluja" verkündet.
"?" ist alles andere als ein schlechtes Album, als großes Konzeptwerk angelegt, ist es in zwölf Stücke unterteilt. Neal Morse läßt sich dabei von solchen Proggrößen wie Mike Portnoy (der mittlerweile zum festen musikalischen Zirkel von Neal Morse gehört), Roine Stolt und Genesis Großmeister Steve Hackett unterstützen. Dazu gesellen sich noch weitere Mitstreiter wie Jordan Rudess, Randy George und Bruder Alan Morse.
Die Musik auf "?" ist praktisch identisch zu allen bisherigen Werken Neal Morses. Was bedeutet: die Melodien sind nett und schön, die Arrangements lassen Raum für etliche Soloausflüge für Keyboards, Gitarren und gelegentlich auch für eine Bläsersektion, die hier und da ein wenig Swing in die Musik bringt. Es gibt Sequenzen die sich mal wieder vor Gentle Giant verneigen, dazu den typischen Morseschen Harmoniegesang, etwas ELP und Genesis und Yes, sowie etwas Singer-Songwriter Material. Neal Morse ist verläßlich, das muß man ihm lassen.
Wer sich also die 56minütige Predigt Neal Morses kauft, wird nicht enttäuscht werden, wenn er Musik im Stile der alten Spock's Beard und vorheriger Solowerke von Neal Morse hören mag. Um es deutlich zu sagen: "?" hat definitiv Unterhaltungswert. Doch muß die Frage erlaubt sein, wie lange man ein und das selbe Album aufnehmen kann, ehe die Fans und selbst nicht so versierte Zuhörer merken, daß der gute Mann offenbar nur jedes Jahr ein wenig am großen Zutatenkessel schüttelt, der musikalische Brei aber stets gleich schmeckt?
Wäre "?" das Erstlingswerk von Neal Morse würde das Urteil, trotz der mal wieder arg frömmelnden Texte, deutlich besser ausfallen. In Kenntnis sämtlicher Spock's Beard und Neal Morse Alben aber verursacht "?" bei mir neben, "ach wie schön, kenn ich", "ja, kenn ich auch" und "ach, ist doch immer wieder gut irgendwie", auch ein kräftiges Stirnrunzeln. Sollte Neal Morse weiterhin alljährlich das gleiche Album unter neuem Titel veröffentlichen läuft er echte Gefahr, daß die Zuhörer seine raffinierte Taktik durchschauen und sich irgendwann sagen, daß man dann auch gleich die alten Sachen hören und sich das Geld für den erneuten Aufguß der gleichen Melodien und Arrangements getrost sparen kann.
Wer es nicht so schlimm findet, daß "?" nichts neues, dafür sehr viel altbekanntes bietet, sollte bei "?" auf jeden Fall zugreifen. Füllmaterial findet sich auf dem Album nicht, die Musik weiß stets zu gefallen und man kann sogar in seliger Nostalgie schwelgen, wenn Steve Hackett die Saiten zupft. Neal Morse weiß, was er tun muß, um ein Progrockalbum aufzunehmen. Zu schade nur, daß er dabei zunehmend Konfektionsware abliefert und alle Alben dem selben Strickmuster folgen. "?" bewegt sich letztlich hart am Rande der Überflüssigkeit.
9 Punkte
TO für den Musikzirkus.
Und: Fliege steht dir. Bitte beim nächsten Forentreffen tragen!!