Meine musikalische Sozialisation verlief nicht ganz geradlinig. Meine Eltern waren nicht wirklich zu gebrauchen (Vater unmusikalisch, Mutter auf Klassik fixiert), um Klänge außerhalb des dünnen medialen Angebots zu entdecken. Auch mein sieben Jahre älterer Bruder hatte so gar kein Händchen für Rockmusik: seine Plattensammlung war ein wirres Sammelsurium aus einem gruseligen Jimi Hendrix Bootleg, einer Ten Years Afters Scheibe, einigen Merkwürdigkeiten die dem Geschmack früherer Freundinnen entsprachen (Dolannes-Melodie, Big-Band-Tanzmusik) und hatte weder roten Faden noch Reizvolles zu bieten. Immerhin verirrte sich dann noch die „Relayer“ von Yes dazu, eine meiner Inselscheiben, aber frage mich niemand, warum.
So musste ich selber irgendwie initiativ werden, schließlich hatte mich der damalige Freund meiner Cousine auf Birth Control und ähnliche Sachen angefixt (leider hielt die Beziehung nicht lange).
In meiner ehemaligen Grundschule hatte eine Zweigstelle der Böblinger Stadtbibliothek eröffnet, was ein überaus cleverer pädagogischer Schachzug war. Denn das war weniger eine Bibliothek mit Bücherwürmern, die ihre Nase in Gedrucktes steckten und bei jedem Geräusch „psst!“ machten, sondern eher eine Begegnungsstätte für die Kids, die dort in lockerer Atmosphäre ans Lesen herangeführt werden sollten. So fanden dort auch häufig Veranstaltungen oder Lesungen statt.
Was aber das Allerbeste war: es gab eine Musikabteilung, die praktisch ausschließlich mit Rock-Schallplatten bestückt war (ich kann mich allenfalls an ein paar Jazz-Vinyls erinnern, aber sonst kein anderes Genre). Und was dann noch besser war – das Budget für diese Abteilung schien unerschöpflich und der oder die Verantwortliche nicht nur kauffreudig sondern auch mit einem wirklich guten Geschmack versehen (was sich mir mit der Zeit erschloß).
Dort gab es sehr viel Krautrock, von Amon Düül über Guru Guru bis zu den frühen Eloy Scheiben, aber natürlich auch Handfestes aus dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten. So fiel mir bald das Doppel-Live Album „Performance: Rockin‘ The Fillmore“ von Humble Pie in die Hände. Live war sowieso geiler, das hatte ich recht früh bemerkt, aber was die vier Briten da ablieferten, hat mich schon schwer beeindruckt und nachhaltig Maßstäbe für Livealben gesetzt. Steve Marriott, Peter Frampton, Greg Ridley und Jerry Shirley brannten ein Feuerwerk ab aus straighten Rocknummern (Four Day Creep) und ausladenden Jam-Sessions mit entsprechenden Gitarrenschlachten (I Walk On Gilded Splinters, Rolling Stone). Eine perfekte Mischung aus bluesigem Feeling, harten Rockmoves und souligem, mehrstimmigem Gesang, quasi eine Mischung aus schwarz und weiß, um es etwas plakativ auszudrücken. Mit I Don’t Need No Doctor brennt man zum Abschluß noch einmal richtig die Bühne ab. Nichts anderes als ein Klassiker und Meilenstein der von der Bühne eingefangenen Rockmusik.
Schade, dass Steve Marriott kein langes Leben vergönnt war und Peter Frampton sich für einen kommerziell einträglichen, aber musikalisch meines Erachtens weniger interessanten Weg entschieden hat. So war dieses Live-Doppelalbum von 1971 sicherlich der Höhepunkt der Bandhistorie von Humble Pie.
Audio Video “I’m Ready” : https://www.youtube.com/watch?v=BJ_miYQY4Xk
Audio Video “Stone Cold Fever”: https://www.youtube.com/watch?v=KiiFKJrrk8A
Audio Video “Hallelujah (I Love Her So)”: https://www.youtube.com/watch?v=yw5qkBnexiM
Audio Video „I Don’t Need No Doctor: https://www.youtube.com/watch?v=0lxyRjzXvxo
Performance: Rockin’ The Fillmore
AM Records, 1971
Steve Marriott Guitar, Harp & Vocals
Peter Frampton Guitar & Vocals
Greg Ridley Bass & Vocals
Jerry Shirleyr Drums
Spieldauer: 72:42 Minuten
01.Four Day Creep
02. I’m Ready
03. Stone Cold Fever.
04. I Walk On Gilded Splinters
05. Rolling Stone
06. Hallelujah I Love Her So
07. I Don’t Need No Doctor