SUN RA - Visionär oder Scharlatan?

 
firebyrd
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SUN RA - Visionär oder Scharlatan?

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Gepostet: 16.05.2006 - 08:43 Uhr  ·  #1
SUN RA – Visionär oder Scharlatan?

Geboren als Herman Sonny Blount am 22.5.1914 in Birmingham, Alabama,
gestorben am 30.5.1993, relativiert durch eigene Angaben Ra’s, wonach er von einem anderem Planeten stammen sollte. (vielleicht vom Saturn? Denn so nannte er sein eigenes Plattenlabel)
Auf die Frage eines Journalisten, wieso er von einem anderen Planeten stamme, wo doch eine Geburtsurkunde mit Geburtsort in Alabama existiere, soll Ra nur knapp geantwortet haben, ab der Journalist denn nicht den bekannten Jazzstandard „Stars fell on Alabama“ kenne....

So war er wohl zeit seines Lebens, geheimnisumrankt und undurchsichtig.

Dabei begann seine irdische Laufbahn relativ normal, indem er in den 40ern als Arrangeur und Pianist für den berühmten Bandleader Fletcher Henderson tätig war. Bereits in den 30ern leitete Ra eine eigene Band. Durch die Arbeit mit Henderson lernte er das Handwerk des Arrangierens für eine Big Band insofern „von der Pike auf“.
Dieses sollte ihm später zugute kommen, denn bis auf einige wenige Ausnahmen arbeitete er stets mit einer großen Besetzung. Etwa 1953 begann diese eigene Laufbahn dann endgültig mit Veröffentlichung eigener Platten. Angelehnt war die Musik noch sehr an den Bop, allerdings bereits mit unkonventionellen Arrangements angereichert und vor allem durch die Benutzung einfacher Billig-Keyboards, die er auf effektvolle Weise einsetzte.
Ebenfalls ergänzte er den Sound des Arkestras nach und nach um folkloristische Einflüsse anderer Kulturen.(insbesondere die ägyptische Mythologie – siehe auch seine Namensgebung – griff er immer wieder auf) und setzte frühzeitig Elemente des Free Jazz ein. Diese freie Gestaltung des Spieles entwickelte sich bis in die 70er Jahre ständig weiter.
Hinzu kam, dass die Live-Konzerte oft einem wilden Spektakel glichen. Die Musiker erschienen allesamt in fantasievolle Gewänder gekleidet auf der Bühne, auch hier wieder an die ägyptische Mythologie angelehnt in Verbindung mit fantasievoller Science Fiction. So wurden die Auftritte oft zu wahren „happenings“. Afrikanische Tänzer und Trommler bewegten sich zwischen starren Glitzergestalten und erzeugten einen wahren Rausch für die Sinne, zusammen mit der perfekt dazu eingesetzten Musik. Mittendrin Sun Ra an seinem Keyboardarsenal, Hammondorgel(hier : space organ), später Synthesizer, Akustikklavier. Von hier dirigierte der Meister seine Truppe wie ein Zirkusdirektor und setzte zwischendurch immer wieder selbst zu schrägen Soli an.
Stars dieser Show waren die hervorragenden Saxophonisten John Gilmore am Tenor(der eine Solokarriere zugunsten der lebenslangen Mitarbeit mit Sun Ra aufgab) und Marshall Allen am Alt. June Tyson als Sängerin begleitete die Truppe auch jahrelang recht erfolgreich. Mitten im Trubel stand Ra oft auf und zeigte nach oben gen Himmel und alle zusammen skandierten laut und ständig wiederholend : „Space is the place“ oder andere Songtitel....
In seinen letzten Lebensjahren widmete sich Sun Ra wieder verstärkt den Big Band- Arrangements, wie er sie schon bei Fletcher Henderson schrieb. Hierbei nahm er sich auch vieler Klassiker der Jazzgeschichte an und verarbeitete sie auf seine Weise.
Seine Musik zu hören, ist sicher nicht immer sehr einfach, da sie von üblichen Norman abweicht.
Sperrig, immer wieder voller Überraschungen, gibt sie jedoch den Weg frei für ein offenes Hörvergnügen, dass in der Jazzgeschichte seinesgleichen sucht....

So ist es auch nicht gerade ganz einfach, Plattenempfehlungen auszusprechen.
Unabhängig von meinen subjektiven Vorlieben habe ich daher nachstehend versucht, einige Veröffentlichungen zu empfehlen, die stellvertretend für verschiedene Richtungen und Perioden seines Schaffens stehen.

Jazz in Silhouette (1958)
The futuristic sounds of Sun Ra (1961)
The heliocentric worlds of Sun Ra, Vol. 1 (1965)
Atlantis(1967)
Space is the place (1972)
Lanquidity ( 1978), hier eine Platte, die Ra mit leichten Funkeinflüssen zeigt, einmal ganz anders!
Nuclear war (1982)
Blue delight (1988) vielleicht eine der zugänglichsten Veröffentlichungen
Mayan temples (1990) ein hervorragendes reifes Spätwerk!
Live at the Hackney Empire( erschienen 2000)

Interessant für den Sammler dürfte dann noch sein: “The Singles”, eine Doppel-CD, auf der alle die auf dem eigenen Label SATURN veröffentlichten Singles enthalten sind, teilweise auch zusammen mit Blues – und R&B-Musikern. Ein wahres Schatzkästlein!

Wolfgang

:shock:
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Re: SUN RA - Visionär oder Scharlatan?

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Gepostet: 31.05.2006 - 10:24 Uhr  ·  #2
@Firebyrd: Space is the place hab ich schon ne Weile in meiner Sammlung und gefällt mir sehr gut. Vom Cover, auf dem Sun Ra in ägyptischer Tracht steht bis zur Musik. Ein Extrem-Trip den ich mir so optisch umgesetzt wie du ihn beschreibst nur allzu gut vorstellen kann und gern gesehen hätte.

Gestern angekommen ist noch Atlantis (hab ich vom Titel her gewählt, ich habs ja mit der Mythologie) aber noch nicht angehört. Gefällt jedenfalls ebenso schon mal vom Cover her.

Könntest du nicht bei deinen Jazztips die Cover mit einstellen ? Ich bin nämlich ein sehr optischer Mensch und ein schönes Cover dazu verlockt mich noch gleich viel mehr.


Jerry




hmc
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Re: SUN RA - Visionär oder Scharlatan?

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Gepostet: 01.04.2009 - 18:41 Uhr  ·  #3
Interessanter Thread. Nie etwas über oder von dem Typen gehört.

Mann, es gibt noch sooooo viele Beiträge die ich noch nicht kenne.
firebyrd
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Re: SUN RA - Visionär oder Scharlatan?

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Gepostet: 01.04.2009 - 19:51 Uhr  ·  #4
Zitat geschrieben von hmc
Interessanter Thread. Nie etwas über oder von dem Typen gehört.

Mann, es gibt noch sooooo viele Beiträge die ich noch nicht kenne.



Das ist aber nicht leicht, zu dieser Musik Zugang zu finden.

Melde Dich, wenn ich Dir "behilflich" sein kann.... :8)
risou
 
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Re: SUN RA - Visionär oder Scharlatan?

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Gepostet: 01.04.2009 - 22:12 Uhr  ·  #5
Sun Ra habe ich live 1986 im Friedrichstadt Palast erleben werden dürfen.
Eindeutig: Visionär :!:
ohrenschmaus
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Re: SUN RA - Visionär oder Scharlatan?

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Gepostet: 01.04.2009 - 22:47 Uhr  ·  #6
hier ein schönes "mystisches" Bild-Tondokument (trotz miesem Ton!),
diese für mich bisher stimmigste (passende) Version konnte ich leider bisher nicht
auf Tonträger finden (Karma) ... ;) http://www.youtube.com/watch?v=QVBBjG8P9IM
radiot
 
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Re: SUN RA - Visionär oder Scharlatan?

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Gepostet: 31.05.2010 - 21:13 Uhr  ·  #7
Ich sage nur "Nuclear War"! Das Original auf der Platte ist ok (das beste Stück auf gleichnamiger Platte überhaupt, der Rest fällt wohl deutlich ab), noch besser aber gefallen mir die Versionen von Yo La Tengo (wie weit sich der musikaische Bogen zu spannen vermag!), zu hören auf der EP "Nuclear War" (Matador / ole 568-2 von 2002). Ich habe glaub ich vier CDs von Sun Ra resp. Arkestra, aber so richtig gefallen finde ich nicht an ihnen, z.T. liegt es auch am schlechten Sound. Daher tendiere ich bei der Bewertung eher in Richtung "überbewerteter Scharlatan". Meine letzte Erwerbung in Sachen Sonnengott war die "Sun Ra Arkestra - Live at Pit-Inn Tokyo, Japan, 8.8.1988"; auch nicht so der Kracher, aber als Freejazz erprobter Hörer hält man es schon aus.

Radiot grüßt! :8)
Mr. Upduff
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Re: SUN RA - Visionär oder Scharlatan?

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Gepostet: 11.04.2021 - 10:57 Uhr  ·  #8
Zitat geschrieben von firebyrd

...
Lanquidity ( 1978), hier eine Platte, die Ra mit leichten Funkeinflüssen zeigt, einmal ganz anders!
...

... hier auf jeden Fall kein Scharlatan... ...ein mitreissender tws. hypnotischerer Groove mit ner Prise Funk... das ist das einzige Album was mir von ihm durchweg gefällt... sonst ist seine Musik eher nicht so meins...
frimp
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Re: SUN RA - Visionär oder Scharlatan?

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Gepostet: 11.04.2021 - 12:20 Uhr  ·  #9
Da fehlte mir bislang immer wieder der Zugang, vielleicht werde ich auf meine alten Tage auch musikalisch harmoniebedürftiger. Wobei für mich Zappa noch extremer ist - da schaffen es nur einzelne Songs, in denen nicht von ihm "gesungen" wird.
firebyrd
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Re: SUN RA - Visionär oder Scharlatan?

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Gepostet: 11.04.2021 - 13:38 Uhr  ·  #10
aha, die Sonne ging wieder auf, nach langer Zeit....

Ich habe Sun Ra und seine Musik immer als Gesamtkunstwerk begriffen.

Zweimal habe ich ihn mit seinem Arkestra live erlebt, auch noch mit John Gilmore.

Einmal war das in einem Zirkuszelt in Kassel. Das passte so hervorragend. Diese ganze Show war wie eine atemberaubende Zirkusvorstellung, mit Artisten, Trommlern, Musikern. Das steckt noch heute fest in meinem Kopf.....

Marshall Allen, neben Gilmore der andere hervorragende Saxofonist, hat das Orchester nach Ra's Tod weiter am Leben gehalten. Der Mann ist auch bereits 96 Jahre alt!

Hier die aktuelle Platte:

freaksound
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Re: SUN RA - Visionär oder Scharlatan?

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Gepostet: 13.04.2021 - 08:26 Uhr  ·  #11
hups, hab ich wohl bei der "Erstveröffentlichung" übersehen.

Ineressanter Typ, ich hab ja ein faible für Leute die gegen den
Strich gebürstet sind.

Ist jetzt nicht direkt mein Musikalischer Heimatplanet, von dem
Sun Ra zu stammen scheint, aber durchaus interessant.
Hab mir mal das titelgebende Stück der "Space is the place"
angehört" und da kann ich durchaus damit (hat Sun Ra vielleicht
mal unter den falschen drogen eine New Orleans Marching Band
gehört?)

Leider muß ich auch Radiot recht geben - der sumpfige Klang
spricht gegen einen Erwerb der Scheibe.

Erste Hörproben der "Lanquidity" gefallen Musikalisch durchaus
gut und auch der Klang ist soweit OK - da könnte noch was werden
aus uns. 8)
firebyrd
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Re: SUN RA - Visionär oder Scharlatan?

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Gepostet: 13.04.2021 - 12:01 Uhr  ·  #12
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