Bad Hindelang, der vierte Urlaubstag. Bislang wurden wir von Sonne und Landschaft verwöhnt. Nun aber - sonst wäre das hier nicht das Allgäu - sonniger Morgen, verregneter Nachmittag. Bestes Wetter, um sich an die traditionelle Urlaubs-Rezi zu machen. Also, auf geht's.
Supertramp! Für manchen Musikfreund sind die wahren Tramps die mit den beiden Erstwerken Supertramp (1970) und Indelibly Stamped (1971). Eine weitere Fangemeinde zählt regelmäßig, unter nicht verständlicher Missachtung des Werkes Crisis? What Crisis? (1975) die beiden Alben Crime of the Century (1974) und Even in the Quietest Moments… (1977) auf, und für eine weitere Gruppe der Supertramp-Hörer endet die Zeit mit den bislang genannten Alben inclusive des 1979 erschienenen Longplayers Breakfast in America. Zu poppig, und so wurde Supertramp der musikalischen Geschichte zugeordnet.
Was für ein Pech für diejenigen, die mit dieser Entscheidung die wie Phoenix aus der Asche wiederauferstandenen, zum Quartett geschrumpften Supertramp mit dem famosen Album Brother Where You Bound verpassten! Sechs Jahre nach "Breakfast..", Supertramp hatten viele schon gar nicht mehr auf dem Radar, das Gründungsmitglied Roger Hodgson gehörte nicht mehr zur Besetzung, war dieses Album in den Plattenläden erhältlich.
Supertramp - Brother Where You Bound
Gleich mit Cannonball nimmt das Album Fahrt auf. Ein Song in bewährter, "alter" Supertramp-Manier, der auch Klangenthusiasten verzücken wird. Viel Synthie, viel Bläser, John Helliwell bläst gewohnt gekonnt sein Saxophon, völlig unverständlich, wie solch ein Song discotauglich auf singleübliche 3 Minuten verstümmelt werden konnte. Auf dem Album selbstverständlich volle 7:39 treibende Minuten.
Cannonball
Nach dem für meinen Geschmack etwas schwächelnden Still In Love folgt mit No Inbetween eine etwas ruhigere Nummer, spärlich instrumentiert, jedoch mit ein paar satten Tiefbasseinstreuungen, die bei entsprechender Lautstärke die Gläser in der Vitrine zum Vibrieren bringen können. Einer meiner Lieblingssongs auf dem Album.
No Inbetween
Mit grandiosen Soundeffekten schließt sich Better Days an. Ein politischer Song, Gastmusiker Scott Page scheint mit seinem Flötensolo die dumme Wählerschar wie einst der Rattenfänger von Hameln hinter sich her zu den Wahlurnen zu ziehen. Wie auch ein Rezensent auf den BBS vermeine ich die eingestreute Stimme George H. W. Bush zu vernehmen.
Better Days
Mit diesem Song schließt Seite A des Longplayers. Wem das Album bislang trotz einiger hervorragender Songs doch zu belanglos schien und es vor dem Anhören der Seite zwei wieder in das Regal zurückstellte - großer Fehler. Das richtig scharfe Geschütz fährt die Band erst auf der B-Seite auf:
Brother Where You Bound - was für eine Granate! Satte 16:30 Minuten prasselt ein wahres Klanggewitter auf den Hörer hernieder. Gestartet wird mit dem Knistergeräusch einer abgenudelten LP, in welches sich bedrohliche Synthiegeräusche, eine gesprochene Stimme und ganz allmählich weitere Instrumente hineinmischen. Dermaßen düster geht es knapp zwei Minuten weiter, bis Piano und Davies Stimme für ein wenig Entspannung sorgen. David Gilmours Gitarrensoli und Scott Gorhams Rhythmusgitarre sorgen nach knapp einem Drittel für Gänsehautfeeling, und ab der neunten Minute wird es psychedelisch-proggig-instrumental. Schräge Klavierklänge, Schritte, die durch den Raum laufen, ...ein klasse Tempowechsel mit unterschiedlichster Instrumentierung sorgen fast fünf Minuten für unerwartete Abwechslung, bis das Thema des Songs wieder aufgenommen wird. Phantastisch!
Lange Zeit verschollen, ist das Video mittlerweile wieder online:
Brother Where You Bound 14:52
Allerdings glaube ich eher, dass dieses hier das ursprüngliche "Original-Video" war:
Brother Where You Bound 17:42
Den Abschluss des Albums bildet Ever Open Door. Stille, Schritte hallen durch den Raum, ein Klavierschemel wird zurechtgerückt. Die ersten Tastenanschläge, dann Davies' Stimme. Das Klavier wird lauter, von einem Synthie untermalt, ...einfach traumhaft schön. Ein würdiger Abschluss eines für mich grandiosen Albums.
Ever Open Door
Supertramp ist es mit diesem Album gelungen, an ihre ganz große Anfangszeit anzuknüpfen. Rick Davies glänzt mit seiner prägnanten Stimme, John Helliwells steuert seine beliebten Saxophon-Soli bei, Bob Siebenberg schlägt präzise die Drums und Dougie Thomson sorgt mit seinem E-Bass für den richtigen Groove. Ganz nebenbei sollte noch erwähnt werden, dass diese Scheibe nicht nur außerordentlich gute Musik bietet, sondern auch hervorragend produziert ist. So spricht es neben der musikalischen Seite auch die klangverwöhnten Ohren in hohem Maße an.
War es Pop? War es Rock? Ich habe mir angesichts des Titelsongs erlaubt, es in die Schublade "Progressive Rock" einzuordnen. Fremdlünkern ist ausdrücklich erwünscht.
1) Cannonball − 7:39 (Davies)
2) Still in Love − 4:37 (Davies)
3) No Inbetween − 4:36 (Davies)
4) Better Days − 6:17 (Davies)
5) Brother Where You Bound − 16:32 (Davies)
6) Ever Open Door − 3:02 (Davies)